Wo bist du?

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Nele

Marleen, Noah und ich sind jetzt seit zehn Tagen in Mumbai. Wirklich sonderbar, dass ich diesen süßen Inder nicht aus meinem Kopf bekomme. Marleen ist sich ja zu einhundert Prozent sicher, dass ich verknallt bin, aber ich bin da komplett anderer Meinung. Zumindest versuche ich mir das immer einzureden. Ich glaube schon lange nicht mehr an so etwas wie Liebe und für die Liebe auf den ersten Blick hatte ich noch nie etwas übrig. Das passiert doch nur in Filmen oder in Romanen, aber doch nicht im echten Leben.

Meine letzte Beziehung ist zwei Jahre her, ich war damals gerade siebzehn geworden und hatte die bekloppte Idee, mich in meinen besten Freund zu verlieben, den ich schon seit dem Kindergarten kenne. Ich denke, ihr ahnt sicher schon, wie diese Story zu Ende gegangen ist. Zum Schluss hatte ich ein gebrochenes Herz, woraufhin ich drei Wochen lang nicht aus meinem Zimmer kommen wollte und zu allem übel auch keine beste Freundin mehr, weil mein besagter Ex-Freund und sie, zusammen in der Kiste gelandet sind. Ja wirklich toll war das nicht und damals war ich wirklich am Boden zerstört, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, realisiere ich, dass es das Beste ist, was mir passieren konnte-

Trotzdem auf eine neue Beziehung, habe ich jetzt überhaupt keine Lust.  

Marleen ist vor einer halben Stunde eingeschlafen. Ich bin ehrlich gesagt noch nicht müde und ständig kommt mir der Gedanke, warum mein Unbekannter seit meinem ersten Abend hier in Mumbai nicht mehr hier am Hotel gewesen war. Okay wahrscheinlich war er nicht direkt aus Mumbai und selber nur auf der Durchreise oder er hatte einfach keine Lust mehr, hierher zu kommen. Dabei war ich mir so sicher, dass er ein zweites Mal auftaucht. Zumindest hatte ich es mir erhofft. Irgendwie eben... Ich schaue in das Reisebettchen, in dem Noah liegt. Er schläft noch nicht, beschwert sich aber auch nicht. 

Und spontan kommt mir eine Idee!

Sonderlich schlau war meine Idee nicht. Ich schiebe Noah durch die Straßen von Mumbai, aber selbst, wenn ich meinen Unbekannten finden wollte, denke ich habe ich kaum eine Chance. Überall wimmelt es von Menschen. Schließlich finde ich mich an einem Ort wieder, den Marleen mir mal im Internet gezeigt hat und ich kann nur über meine große Schwester schmunzeln. Ich hätte es mir denken können, dass sie sich ein Hotel in Mumbai aussucht, das nicht weit weg ist vom Zuhause von Shah Rukh Khan. Ich staune trotzdem, als ich mich ein wenig näher an das imposante Anwesen ranwage. Sonderlich viel gibt es hier aber nicht zu sehen. Kein Wunder. Ich glaube, wenn ich einer der berühmtesten Menschen in Indien wäre, dann würde auch ich mein Haus so einzäunen, dass niemand einfach mal so hineinschauen kann. Vor allem, wenn ständig irgendjemand davor herumlungert.

Ich betrachte den Sonnenuntergang, während ich mich auf den Heimweg ins Hotel mache. Seit vier Monaten ist alles in mir schwarz und voller Leid, doch plötzlich scheint es mir, als würde ein kleines Licht in die Dunkelheit strahlen. Ich muss mir eingestehen, dass Marleen Recht hat und ich mich tatsächlich verknallt habe. Es scheint, dass die Liebe auf den ersten Blick doch existiert. So wenig wie ich auch immer daran geglaubt habe!



Vivek

Seit einer Woche hänge ich mit Papa in Delhi fest. Unsere Firma hat kurzfristig einen super Auftrag dort bekommen und Papa wollte mich dabei haben, damit ich verstehe, wie das Geschäft funktioniert, um es eines Tages von ihm zu übernehmen, wie auch er es schon von seinem Vater übernommen hat und immer so weiter über mehrere Generationen hinweg. Ich interessiere mich wirklich für die Arbeit und es macht mir Spaß Architektenpläne zu gestalten, mit unseren Partnern zu verhandeln und zusammenzuarbeiten. Ich habe auch keine Probleme, stundenlang vor dem PC zu sitzen, nur genau jetzt fühle ich mich hier in Delhi sehr unwohl. Ständig denke ich an das Mädchen vor dem Hotel, an ihre tiefblauen Augen und ihr perfekt gesprochenes Englisch. An ihre zarte Stimme und die Empörung darin. Ich halte mir den Bauch, weil er schon wieder drückt und ich weiß ganz genau, dass ich weder Hunger habe, noch auf die Toilette muss. Das ist schon Wahnsinn. Was mache ich eigentlich, wenn ich das Mädchen nie mehr wiedersehe? Gehen die Schmetterlinge dann irgendwann einfach wieder weg? Oh ich hoffe so sehr, dass ich sie noch einmal wiedersehe. Am besten gehe ich gleich zum Hotel, wenn wir wieder in Mumbai sind. Papa wirft mir von der anderen Seite des Raumes einen besorgten Blick zu, also lasse ich meinen Bauch schnell los. Auch meine Gedanken stoppen für den Moment.

"Ich denke wir sollten eine Pause machen", meint Papa schließlich. 

Nach weiteren zwei Tagen sind wir endlich zurück in Mumbai. Ich mache mir nicht einmal die Mühe, meine Reisetasche in mein Zimmer zu bringen. Ich stelle sie einfach in die Eingangshalle und hoffe darauf, dass nicht einer unser Hausangestellten auf die Idee kommt, diese für mich auszuräumen. Manche Arbeiten mache ich dann doch lieber selbst.

"Ich gehe erstmal joggen", schreie ich nach oben, damit Mama Bescheid weiß.

"Das Essen ist fertig", ruft Mama zurück. " Es gibt Tandoori Chicken, das liebst du doch so". Mir läuft schon nur bei  Erwähnung meines Lieblingsessen, das Wasser im Munde zusammen. 

"Ich habe keinen Hunger", flunkere ich. Mein Magen straft es mir mit einem fiesen Magenknurren. Egal- Ich muss jetzt unbedingt zum Hotel. Wahrscheinlich ist das Mädchen schon längst wieder nach Hause geflogen und ich werde sie nicht mehr wieder sehen, aber ich muss mein Glück einfach versuchen.

"Ich habe dich vermisst Vivek...". Meine kleine Schwester stolpert zur Tür rein. Sie wirft sich gleich in meine Arme. Ihr geflochtenes, schwarzes Haar kitzelt meinen Hals, während sie versucht sich mir entgegenzustrecken. Sie ist viel kleiner als Papa, ein wenig größer als Mama, aber mit meinen 1,79 cm überragt mich keiner in unserer Familie. " Das ist so unfair", meckert sie, als ich mich mit Absicht von ihr wegdrehe, dass sie keine Chance mehr hat mich weiter wie ein Klammeraffe zu umschlingen. "Ich habe dich fast zehn Tage nicht gesehen und einfach nur schrecklich vermisst".  

Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange, dann will ich endlich los, aber sie hält mich zurück.

 "Du bist verknallt", wispert sie und schenkt mir ein breites Grinsen. 

Dieses kleine Biest

"Du musst mir alles erzählen...", bettelt sie mich an. " Bitte Vivek." 

Ich lasse sie einfach stehen, drehe mich aber noch einmal zu ihr um und verabschiede mich mit einem breiten Grinsen. 

"Ich wusste es", kichert Kavita. " Wie heißt sie?"

Wenn ich das nur wüsste...

My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now