Mama. Ist. Hier!

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Vivek

Träume ich? Ich muss wohl wieder eingenickt sein!

Aber...

Nein-

Nein, das kann unmöglich sein.

Kavita ist real. Sie hat mir schon in den Arm geknufft, weil ich nicht glauben konnte, dass sie wirklich hier ist. Also muss Mama doch auch real sein. 

Oder?

„Vivek", flüstert meine Mutter jetzt und streckt ihre Arme, an denen immer Armreifen baumeln, nach mir aus.

Ich mache ihr nach und tatsächlich berühren sich unsere Zeigefinger. Nur flüchtig und trotzdem lange genug, um zu wissen, dass Mama wirklich hier ist!

Mama .Ist. Hier!

Tränen, die ständigen Begleiter der letzten Tage, der letzten Stunden, füllen meine Augen und ich höre einen Schluchzer, der nur so aus meinem Mund sprudelt, wie Wasser, das sich einen Weg sucht.

Mama kommt mir die wenigen Schritte, die uns trennen, entgegen.

Sofort hüllt mich ihre Wärme ein, als ich in ihren Armen liege und obwohl ich mich schon bei Kavita fallen gelassen habe, zerbreche ich ein weiteres Mal. Mamas Duft nach einem Mix aus typischen Gewürzen, die in der indischen Küche verwendet werden und der mich durch meine ganze Kindheit und Jugend begleitet hat, lullt mich sofort ein und obwohl ich so traurig bin und mein Herz... weint, bin ich gleichzeitig überglücklich. Sie riecht nach Heimat und Geborgenheit. Nach einem Tag am Meer und gleichzeitig nach einem Tag im Krankenbett. Nach so vielem, das ich gar nicht in Worte fassen könnte. Die Angst Mama für immer verloren zu haben und nie wieder zu sehen, ist genau in diesem Moment mehr als präsent, frisst ein Loch in mein Herz, aber alleine ihre Anwesenheit schafft es, dass das Loch nicht größer wird. Ihre Liebe setzt ein Pflaster darauf und hinterlässt ein wohliges Gefühl in mir.

Mama. Ist. Hier!

Bei mir!

Als ich ihre Arme von mir drücke, scheppern die Armreifen, die sie um ihr Handgelenke trägt, aufeinander.

„ Du bist Oma geworden...", flüstere ich jetzt und wische mir die Tränen von den Wangen. Mit meiner Hand greife ich nach Kavitas und halte sie fest, während Mama sacken lässt, was ich ihr gerade gesagt habe. In ihren Augen sammeln sich die Tränen. Ungehindert fließen sie ihre Wangen hinab und gleichzeitig lacht Mama. Kavita und mich, zieht sie zu sich und so stehen wir für ein paar Minuten da.

„Die Besuchszeit in der Säuglingsstation ist leider schon vorbei. Außerdem glaube ich, dass ich die Gutmütigkeit der Schwestern dort, heute schon mehr als ausgeschöpft habe... Aber du wirst Josha bald sehen können. Er ist wirklich ein Sonnenschein und so stark".

„Josha..." In Mamas Stimme schwingt purer Stolz mit. „ Das ist ein wunderschöner Name... Sehr weise gewählt. Papa freut sich sicherlich auch sehr darüber."

„Ist Papa auch hier?", frage ich unsicher. Von einem auf den anderen Moment ist die Stimmung wieder richtig angespannt. Die Wucht der letzten Ereignisse überrollt mich erneut und ich schnappe nach Luft. So tröstlich und wunderschön es auch ist, Mama hier bei mir zu haben, umso mehr erinnert sie mich daran, dass Papa mir noch immer nicht verzeihen kann.

Mama streichelt mich. Sie fährt mir durch die Haare, so wie sie es schon gemacht hat, als ich noch ein kleiner Junge war. Unter normalen Umständen würde ich das nicht erlauben. Aber heute ist es angenehm und tröstet mich.

Mamas Gesichtszüge haben sich verändert. Jetzt sehe ich in ihrem Gesicht nicht mehr das Lächeln, das noch bis eben ihre vollen Lippen ausgefüllt hat. Stattdessen sacken ihre Mundwinkel leicht in sich zusammen und das Karamell in ihren Augen verschwindet. Jetzt zeigt sich ein dunkleres, intensives Braun in ihren Pupillen.

„Du weißt doch, wie verbohrt dein Vater ist", sagt sie schließlich seufzend. „ Ich liebe und verehre euren Papa wirklich sehr, aber..." Sie stockt kurz und schaut abwechselnd Kavita und mich an. „Jeevans Glauben ist so stark. Er gibt das weiter, was er von seinem Vater mit auf den Weg bekommen hat. Von Opa. Ihr wisst ja beide was für ein gutes Verhältnis Papa und Opa hatten. Jeevan...er ist wirklich stolz darauf. Für ihn war es ein großer Fehler, beinahe schon ein Vergehen, als du uns aufgegeben hast, nur um hier in Deutschland mit Nele und deinem Kind glücklich zu werden. Für Papa wäre es wichtig gewesen, dass du bei ihm bleibst und das tust, was er sagt. Dein Papa ist... gekränkt. Ich fürchte er wird noch mehr Zeit brauchen."

All das weiß ich. Trotzdem hatte ich diese winzige Hoffnung in mir.

Wie Papa wohl reagiert hat, als Mama und Kavita hierher nach Deutschland geflogen sind, um mich zu besuchen und mir beizustehen.

„Wie geht es eigentlich Dayita?", frage ich Mama. Ich will das Thema wechseln. Die Atmosphäre hier im Krankenhaus ist sowieso schon angespannt genug. Das weitere Gespräch um Papa sollten wir uns für einen neutraleren und vor allem privateren Boden aufheben. Zu bereden gibt es auf jeden Fall noch eine Menge.

Stattdessen kommt mir Dayita in den Sinn. Bevor Nele ins Krankenhaus kam, habe ich öfters mit ihr geschrieben, weil sie meinen Rat suchte. Mittlerweile bin ich absolut nicht mehr auf dem neuesten Stand. Ob Dayita schon mit ihrem Vater gesprochen hat? Lange war es nicht mehr hin, bis zu ihrer Verlobung und Hochzeit mit dem neuen Auserwählten ihres Vaters.

„Ich soll dir ganz liebe Grüße von ihr ausrichten. Sie hat den Mut gefunden und mit ihren Eltern gesprochen und ihnen alles über ihre Liebe zu Ram erzählt. Es scheint, dass sie dir vieles zu verdanken hat. So zumindest der letzte Stand, den ich mitbekommen habe." Mama schaut mich lange an. Mehrmals runzelt sie sorgenvoll die Stirn. „ Es ehrt dich, dass du dir trotz der Umstände solche Gedanken um Dayita machst. Das ist nicht selbstverständlich und ich bewundere dich dafür".

„Ich will einfach, dass sie... glücklich ist.", Es fällt mir sehr schwer die richtigen Worte zu finden. „Weißt du Mama... Ich liebe Nele wirklich sehr, aber in den letzten Stunden habe ich feststellen müssen, dass ich eigentlich noch gar nichts von ihr weiß. Ich wünsche mir so sehr, dass sie aufwacht, damit wir uns besser kennen lernen können. Ich möchte alles von ihr wissen. Das Gute, aber auch das Schlechte, das sie ausmacht und zu der Person gemacht hat, die sie jetzt ist. Mit ihr gemeinsam will ich über uns hinaus wachsen, damit wir nicht auf der Stelle stehen bleiben. Ich wünsche mir eine Zukunft mit ihr. Mit allem, was das Leben uns so vorsetzen mag... Mit Dayita... naja mit ihr habe ich diesen Wunsch nie gehegt. Seit der ersten Minute nicht. Sie ist ein wirklich liebes Mädchen, ja genau genommen eine wunderbare Frau, aber ich... ich habe nicht das Bedürfnis alles von ihr wissen zu müssen. Ich möchte nicht auf der Stelle stehen bleiben. Deshalb wünsche ich mir diesen einen Mann für sie, der sie genauso sehr lieben wird, wie ich Nele liebe. Der alles von ihr wissen will und für den sie, sie alleine die Welt ist. Und nicht nur ein... Ehemann."

„Ich bin... unglaublich stolz auf dich, Vivek", wispert Mama.

My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now