10 - „Hat sie noch einen Liebesbrief mitgeschickt?"

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Liebe Leser,
heute gibt es gleich zwei Kapitel zu lesen. Ein Bonuskapitel über Azads Vergangenheit könnt ihr direkt im Anschluss lesen.
Viel Spaß dabei!
Azad hat einiges zu erzählen.














Er lächelte.
Während man ihm die Wunde säuberte und ein Verband darauf klebte, verblieben seine Mundwinkel in der Höhe. Eine junge Krankenschwester fragte etwas, was völlig an ihm vorbeiging.
„Hm?", löste er sich aus der Trance.

„Hast du noch weitere Schmerzen?", wiederholte sie und räumte nebenbei die Utensilien ein.
„Ja"
„Wo tut es weh?"
„Das Leben tut weh... Also es ist schwer auf dieser Welt zu überleben.", gab er in einem beinahe manischen Zustand von sich. Die junge Dame hielt verspottet inne.

„Wer hat es schon einfach im Leben?", trat eine tiefe Stimme in den Raum hinein. Den Stethoskop nahm er ab und desinfizierte sich ein weiteres Mal die Hände. Heute wohl zum 100. Mal.

„Niemand, oder?", beantworte er seine Frage selbst und schnappte sich seinem Drehstuhl.
„Scheint so.", stimmte Azad zu.
„Der Schusswunde geht es gut. Sie hat sich nur nicht komplett geschlossen und Staub hat sich auf der Oberfläche gesammelt."
Ein Nicken gab der Verletzte von sich.

„Azad, oder?", grübelte der Arzt.
„Ja, und du Doktor Bilal."
„Genau"
Das Protokoll, das die Krankenschwester vorbeibrachte unterschieb er. Einen letzten Perplexen Blick warf sie auf Azad und verschwand. Bilal wartete, bis die Tür zu fiel.

„Der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe ausgelöst, Azad.", begann er zu reden.
Sein Gegenüber verkrampfte.
„Ich bin Arzt seit 30 Jahren und in der Autopsie habe ich auch viele Jahre verbracht. Beweismittel lügen nicht.", untermauerte er sein Wissen.
„Mir rennt kein Serienkiller hinterher.", vergewisserte Azad. Das Thema wollte er abschließen.

„Die Kugel, die aus deinem Arm rausgekommen ist, ist eine äußerst seltene, hochwertige... Wir sind unter uns, Azad.", deutete Bilal auf seine Loyalität.
Lange wartete der Arzt auf die Antwort.
„Weiß du was? Im Türkischen gibt es den Spruch, dass der Boden hören kann.", stand Azad auf.

Bilal lachte.
„Netter Spruch. Doch mein Boden ist taub.", bestand er auf seine Ehrlichkeit.
„Ich sollte langsam gehen. Danke für die Behandlung."


AZAD

Die Sonne knallte durch die Rillen der Jalousien als hätte ich um acht Uhr dreißig nichts besseres zutun als aufzuwachen.
Das kalte Wasser strömte aus dem Wasserhahn heraus. Paar mal klatsche ich mir das Wasser ins Gesicht. Mein Blick festige sich auf mein Spiegelbild. Im Hintergrund versank das Rauschen.

Warum bin ich hier? Und was mache ich hier?
Kann ich mir nicht einfach die Kugel geben und diese elende Welt verlassen?
Jeder hat dir den Rücken zugekehrt, Vuro. Wem willst du noch etwas beweisen? Dir selbst? Wofür? Verdammt nochmal wofür?

Schneller als gedacht geriet meine Hand zur Glock im Hängeschrank. Lange starrte ich das Plastikgehäuse der Glock an. Diese 710 Gramm schwere Pistole könnte das Ende meines Lebens bestimmens. Einfach so, weil ich am Abzug zog.
Der Lauf war leer.

Schwere Schritte brachten mich ins Schlafzimmer. Ich begann das Magazin zu laden. Die erste Patrone, die zweite, die dritte.
Mit einer scheiß Fakeidentität ging ich durchs Leben. Nicht mal eine wahre Identität besaß ich!Ich war schlichtweg eine Lüge.

Und dass ich so gut lügen konnte, müsste beängstigend sein.
Denn wenn ein Mensch sein Gesicht verlor, hat er alles verloren. Ich wusste nicht einmal, ob ich noch so etwas wie einen Anstand besaß, indem ich einfach das Leben eines Toten fortführte.

ALS ER KAMWhere stories live. Discover now