I.XIII

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Geteilter Schmerz

"Höre zu, denn einige Kriege sind still."

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San hatte durch die dünne Wand das Schluchzen und das Wimmern seiner Schwester gehört. Er hatte die stillen Schreie nach Hilfe gehört. Er hatte gehört, wie sie zu Boden gefallen war. Und mit einem Mal war sein Herz wieder zerrissen. Er hatte sich mental auf das Wiedersehen mit seiner Schwester vorbereitet. Er war stundenlang  alles durchgegangen. Und hatte jede Möglichkeit ihrer Reaktion durchlebt in seinen Gedanken. Doch er hatte nicht geglaubt, dass seine Schwester zusammenbrechen würde, wenn sie das Zimmer betrat. Die anderen hatten sich entschieden gehabt, es so zu lassen, wie es war und als sie umgezogen sind, waren sie sich alle einig, dass sie ein neue Zimmer für Saejin brauchten. Sie hatten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. San hatte das auch nicht. Er hatte sich bloß in seinen Schmerzen versteckt und gehofft, dass Saejins Abwesenheit sie besser machen würden.

Er hatte falsch gedacht. So oft hatte er falsch gedacht. Die Schmerzen vergingen  nicht. Sie wurden Tag für Tag noch schlimmer. An diesem Abend haben sie ihren Höhepunkt erreicht. San wollte schreien. Er wollte weinen. Er wollte die Schmerzen seiner Schwester nicht mehr hören, denn sie erinnerten ihn an das, was passiert war. An seinen Fehler. An alle seine Fehler. Und er wollte sie vergessen. Er wollte nicht an sie erinnert werden. Er wollte sie richtig stellen und dann aus seinem Leben verbannen. Doch genau das konnte er nicht. Der Schmerz, die Schuld und die Wut auf ihn selbst saßen viel zu tief, als dass er sie einfach so verdrängen konnte. Das Weinen seiner Schwester brachte auch San zum Weinen. Er unterdrückte die Schluchzer. Er wollte Wooyoung nicht wecken. Wooyoung schlief nicht. Saejin hatte auch ihn wach gehalten. Die beiden waren nicht die einzigen. Jeder der Acht konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Sie alle hörten Schluchzer. Sie hörten, wie Saejin an sich selbst zerbrach. Erneut. Doch sie alle wussten genau so gut wie jeder andere, dass Saejin niemals wollen würde, dass einer von ihnen sie so sah. Und so blieben sie in ihren Zimmern.

Für San war es das Schwerste, das er in dieser Woche getan hatte. Er wollte seine Schwester in die Arme nehmen. Ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Wie sehr ihm alles Leid tat. Er konnte es nicht. Er wollte Saejin nicht noch mehr zerbrechen. Das würde aber passieren, wenn er nun zu ihr ging. Er musste sie alleine lassen. Allein in dem Schmerz. Allein, wie sie es die letzten Jahre war. Seine Tränen wurden größer und schwerer. Sein Schmerz zerriss ihn innerlich. San zog seine Knie an sich. Ein jämmerlicher Versuch, die Schmerzen zu vermindern. Sein Herz schmerzte trotzdem weiter.

Wie war er nur so dumm gewesen? Warum hatte er nur so entscheiden können? Er sah nun anders auf die Situation. Saejin hatte nie in seinem Weg gestanden. Sie wäre nie ein Grund gewesen, nicht ein Debüt zu haben. Er war einfach nur selbstsüchtig. Und Karma hatte ihn schlimmer erwischt als das er es je träumen konnte. Er verstand nicht, warum sein bester Freund ihm immer an seiner Seite stand. Warum er ihm verziehen hatte. Er verstand nicht, wie ein Mensch so etwas verzeihen konnte. Und so konnte er auch nicht daran glauben, dass Saejin ihm jemals verzeihen konnte. Er war es nicht wert. Das machten ihm die Geräusche aus Saejins Zimmer erneut klar. Ihr Streit hatte so viel ausgelöst und er selbst wusste nicht einmal, was der Auslöser für die angespannte Beziehung zwischen den beiden gewesen war. Welchen Weg waren sie falsch gegangen, um dort zu landen, wo sie gelandet waren?

Es waren Fragen, die er nicht beantworten konnte. Niemals hatte er gewollt, dass die Beziehung der beiden so endete. Die Zwei waren immer eng miteinander verbunden gewesen. Sie hatten so viel durchmachen müssen und waren am Ende gespalten voneinander gegangen. Manchmal war das Schicksal eine grausame Sache. Das Leben hatte viele Sachen für die Gruppe bereit gehalten. Das, an was sie sich erinnern konnten, waren die schrecklichen, traurigen und schmerzhaften Momente. Aber war es nicht immer so? Man vergaß immer die schönen Momente.

Sie waren nicht so einschneidend, wie die, die dein Leben für immer veränderten. Wie die, die dich für immer verändern. Und das waren eben in den meisten Fällen die negativen Ereignisse. Auch wenn Saejins Tränen aufhörten, Sans taten das nicht. Sie rollten in Strömen über seine Wangen. Sie ließen ein Wrack hinter sich und brachen seine Seele mit jeder Sekunde. Der Schmerz war kaum noch tragbar für ihn. Er drohte darin zu versinken. San hatte schon lange akzeptiert, dass er versank. Wooyoung hatte das nicht. Er versuchte, ihn über Wasser zu halten. Er hatte in den letzten Jahren vieles verloren, sein bester Freund sollte keines dieser Dinge sein. Und genauso wie er es in den Nächten zuvor getan hatte, so hatte er sich auch in dieser Nacht zu San gelegt. Er hatte ihn fest in seine Arme geschlossen und leise Sachen in sein Ohr geflüstert. Sachen, die ihn aufmuntern sollten. In der Hoffnung, dass er irgendwann aufhörte zu weinen. Nach einiger Zeit, vielleicht einer halben Stunde, hatte sich San beruhigt. Aber er war lange noch nicht in der Lage zu schlafen. Auch wenn er das musste.

Der kommende Tag würde anstrengend, nervenaufreibend sein und er würde mittendrin stecken.Morgen würde die Sonne mit seiner Schwester aufgehen und er würde das erste Mal seit einer Woche sie wieder zu Gesicht bekommen. Er sollte nicht wie ein Zombie aussehen und so Saejin verschrecken.

Wooyoung hatte sich dazu entschieden, ihm eine Geschichte zu erzählen. Es waren die kleinen Dinge, die den Brünetten zum Schlafen brachten. Liebend gerne dachte sich der Jüngere der Beiden eine Geschichte aus. Er würde alles tun, um seinem Freund das Leben leichter zu machen.Er konnte den Schmerz nicht nachempfinden, aber er sah ihn in Sans Gesicht und das reichte vollkommen aus, um ihn genauso leiden zu lassen. Er litt auf eine andere Weise, aber die Schmerzen gingen auf ihn über. Wooyoungs Seele war mit der von San verbunden und das änderte nichts. Er konnte nicht anders als sich um den Älteren zu kümmern. Auch wenn er die ganze Nacht keinen Schlaf bekam. San hatte es verdient und er braucht Wooyoung mehr als Wooyoung den Schlaf brauchte.

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"Schmerz ist vorübergehend. Reue ist für immer."

[𝐃𝐄, 𝐀𝐓𝐙] Das Gefängnis der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt