I.VI

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Entscheidungen der Schuld


„Mein Kopf ist gerade ein schrecklicher Platz"

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Am anderen Ende der Stadt, war es still in dem Dorm der acht Idols. Wooyoung war bei Saejin und keiner hatten ihn von ihrer Seite bringen können. Er war praktisch an ihr geklebt. Aber niemand konnte es ihm böse nehmen.


San hingegen hatte keine Sekunde, seit er wieder zu Hause war, die Wohnung betreten. Im Gegensatz zu den anderen, war er auf dem Dach verblieben. Dort saß er stillschweigend da und hatte keine Motivation für auch nur irgendetwas. Seine Beine hatte er so nah an sich gezogen wie es auch nur ging und sein Kinn lag zwischen den Knien. Die Augen des dunkelhaarigen waren rot und geschwollen. Hätte es nicht angefangen zu regnen, so würde ein schimmernder Film auf seiner Haut zu erkennen sein, der davon zeugte, dass er viele Tränen verloren hatte.
Ihm standen seine Schuldgefühle ins Gesicht geschrieben. Es war kaum zu übersehen, wie schmerzgetränkt er war.


Der Regen hatte seine Klamotten durchnässt und er zitterte vor Kälte. Die Nächte wurden langsam kälter und die Temperaturen tiefer je länger die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war. Immer wenn eine Windböe San traf, Zucker er zusammen. Er fror. Aber es war ihm egal. In seinen Augen war es seine Strafe, denn die Schuld war nicht genug.
Zu mindestens sah er es so. Jeder andere hätte etwas anderes gesagt. Ihm Gründe aufgelistet, warum er sich nicht so schuldig fühlen sollte. Warum seine Trauer, seine Fehler nicht rückgängig machten und weshalb er nicht versinken sollte in der Schuld.


San sah das anders. Der Schmerz war das einzige was ihn dazu brachte klar zu denken. Es war toxisch. San konnte das nicht leugnen. Er wollte es auch nicht. Die Wahrheit war ihm bewusst.
Minuten später legte sich ein Stoff auf seine Schulter. Umarmte seine Schultern und spendete Wärme und Schutz vor dem Regen. Der Dunkelhaarige schaute sich nicht um. Er blieb starr sitzen und starrte in die Ferne. Was genau er dort ansah war ihm nicht wirklich bewusst, aber seine Augen hatten nach einiger Zeit eh den Fokus verloren.


Neben ihm ließ sich eine Person nieder und schaute still in dieselbe Richtung wie es San tat. Immer noch nicht hatte er das Bedürfnis herauszufinden wer genau ihm Gesellschaft leistete. Er wollte alleine sein, aber mit einer zweiten Familie war es schwer das durchzusetzen. Normalerweise hatte er Wooyoung. Sein bester Freund. Sein Seelenverwandter. Seine bessere beißende Hälfte. Er konnte ihm alles erzählen. Und nur er wusste über die Albträume, die Angst und die Gedanken. Doch der war bei seiner Schwester. Der Auslöser seines plötzlichen Zusammenbruchs. Aber er war selber Schuld.


So sah er es jedes Mal, wenn er die Augen schloss.


„Du solltest nicht hier draußen sitzen. Alleine, durchnässt und frierend", erklang eine Stimme neben ihm. Sie war klar und voller Verständnis. Man hörte ein Leiden aus ihr heraus, das San nicht wirklich zuordnen konnte.

„Du auch nicht, Jongho."

„Ich habe aber auch nicht vor zwei Stunden hier sitzen zu bleiben." Der jüngere schaute zu seiner Seite, nach einem Anzeichen, dass San nicht ganz kaputt gegangen war, aber es war schwer überhaupt etwas zu erkennen. Neben seinen vom Weinen geschwollenen Augen, war kein Gefühl zu erkennen. Der Dunkelhaarige sah tot aus und wahrscheinlich fühlte er sich auch so. Es ist nicht schlimm, dass du zusammen gebrochen bist. Du musst nicht immer den starken spielen. Und die Schuld liegt nicht nur bei dir. Die Scheiße damals, haben wir alle zu verantworten. Wir haben's nicht hinterfragt und einfach mitgemacht. Wir hätten eingreifen sollen."


„Aber ich habe die Scheiße verzettelt,...", Sans Stimme brach. Er kämpfte mit seinen Tränen. Er hatte seit Ewigkeiten vor anderen Menschen geweint oder seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Er hatte sich seit der Entführung nicht mehr so ausgezogen. Nicht vor jemand anderen als Wooyoung.

Minuten redete niemand. Jongho ließ dem Älteren seinen Raum. Ihm war bewusst wie persönlich das Thema war und wie schwer es San fiel darüber zu reden.


„Ich hab sie im Stich gelassen. Welcher Bruder tut das? Die Ermittlungen einstellen nur um seinem eigenen Ziel näher zu kommen. Ich habe nur an mich gedacht und Saejin durch die Hölle gehen lassen. Ich bin ein Arsch."


„Manchmal kann das Herz sich nicht entscheiden und der Kopf schaltet sich einfach aus. Wir haben sie alle im Stich gelassen. Vielleicht war es deine Idee, aber keiner von uns hat etwas dagegen gesagt. Wir sind genauso schuldig wie du."


So gern wie Jongho den Älteren in seine Arme genommen hatte, so sehr wusste er das er auf Abstand bleiben sollte. In dem Kopf seines Gegenübers spielte sich ein Drama wieder und wieder ab und nur er selbst konnte es abschalten. Zwar konnten die anderen San helfen, aber nur er konnte sich von seinem Leid befreien. Doch das würde er nur machen, wenn Saejin ihm verzeihen würde. Doch das stand recht in den Sternen. Es wäre dem Mädchen nicht zu verübeln, wenn sie es nicht schaffen würde der Gruppe zu verzeihen.


Ein Seufzen verließ Jonghos Mund. Mit einem letzten Blick zu dem Älteren stand er auf, bereit sich wieder ins Innere des Gebäudes zu verziehen. Noch bevor er das Dach verließ drehte er sich nochmal um, um nach dem jungen Mann zuschauen. Er rief ihm noch etwas zu was jedoch nicht wirklich bei San ankam, nur um hinter der Tür zu verschwinden.


San hingegen blieb sitzen. Er war sich nicht sicher wie lange er dort saß. Es hätten Minuten oder Stunden sein können. Es war tief in der Nacht und die Straßen unter ihm waren leer. Der Regen hatte sich verdünnt und nur noch wenige Tropfen fielen herab. Einen großen Unterschied machte das jedoch nicht. Sans Klamotten waren durchnässt. Seine Gedanken hingen Jonghos Worten hinterher. Ihm war bewusst, dass er nicht die alleinige Schuld trug, aber ohne ihn wäre die Schuld nie entstanden. Es hätte sie niemals gegeben. Und das machte alles nur schmerzhafter. Er war kurz davor aufzugeben und doch konnte er es nicht. Er wollte stark bleiben, als wollte er sich etwas beweisen müssen.


Tropfend stand San auf und ging in dieselbe Richtung wie Jongho zuvor. Er würde nicht mit den anderen reden, etwas essen oder so sonstige Aktivitäten in Anwesenheit andere Bewohner machen. Er würde duschen und schlafen. Zu mindestens es versuchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Albtraum ihn einholen würde war groß. Größer als in den letzten Wochen oder Monaten. Aber Wooyoung war nicht da. Der einzige, der ihn beruhigen konnte. Es würde eine lange Nacht werden. Und eine schmerzhaft obendrein.

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„Die Art wie sie dich verlassen, erzählt dir alles."

[𝐃𝐄, 𝐀𝐓𝐙] Das Gefängnis der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt