Kapitel 1

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Vorsichtig strich Soran über den Ledereinband des alten Buches, welches dauerhaft auf seinem Schreibtisch ruhte. Die Jahre waren vergangen und sein 18. Geburtstag lag bereits hinter ihm. Er hatte das Gartenhaus aufgegeben und war komplett in sein Zimmer im oberen Stock des Hauses eingezogen. Seine Oma und Mutter waren mittlerweile so gut wie gar nicht mehr zu Hause, sie schienen zu denken das es jetzt egal sei, da er ja bereits groß war. Die Annahme war falsch, er war unbemerkt in tiefe Depressionen gefallen und erholte sich erst vor zwei Jahren wieder richtig von ihnen. Jedoch waren die Depressionen nicht das Einzige was ihn belastet, er hörte Stimmen, sah Dinge, die nicht da waren. Vor acht Jahren hat seine Schizophrenie begonnen und sie machte keinen Anschein besser zu werden.

Er konnte zwar auch froh darüber sein, dass sie ihn noch nicht für verrückt erklärt und weggesperrt hatten, aber die Tabletten, die er von einer Heilpraktikerin, welcher man auf den Straßen hinterher flüsterte, sie wäre eine Hexe, waren in ihrer Wirkung auch nur beschränkt. Deprimiert schaute er in sein müdes Gesicht, der Spiegel war dreckig und überall bildeten sich seine Handabdrücke auf dem Glass ab. Die Augenringe waren über schminkt und die Tablette, die er gerade geschluckt hatte, ließ ihn sich wenigstens bis heute Abend normal fühlen lassen. Jedenfalls war das der Plan gewesen. Er kämmte noch ein letztes Mal durch die hellbraunen Haare, die auf seinem Kopf in alle möglichen Richtungen gingen und klemmte die weiße Strähne so weg, dass niemand sie sehen würde. Innerhalb der letzten Jahre hatte sie sich entwickelt und verschwand nicht mehr. Es war egal wie oft er versuchte sie abzuschneiden sie kam immer wieder. In seinem Zimmer wurde laut die Tür aufgerissen und er guckte kurz verwirrt aus seinem Bad raus, nur um seine 14 Jährige Schwester zusehen.

„Was willst du Lyra?" „Mutter sagt du sollst endlich losmachen, sie möchte keinen Brief von der Schule bekommen, während sie schläft." „Mutter hat sich die letzten 18 Jahre nicht um mich gekümmert, jetzt muss sie auch nicht mehr damit anfangen." Seine kleine Schwester verstummte und verließ das Zimmer. Genervt schnappte Soran sich seinen Beutel, den er gestern noch achtlos in die Ecke geworfen hatte. Doch bevor er sein Zimmer verlassen konnte sah er im Augenwinkel den kleinen grünen Edelstein auf seinem Tisch leuchten. Vorsichtig nahm er die Kette hoch und legte sie sich um den Hals. Sie war bereits seit Zerachiels Zeit in ihrem Familien Besitz und noch nie hat er einen Tag ohne sie bestritten. Nach dem nächsten lauten Rufen seiner Schwester, ging er zügig die Treppe hinunterbevor und konnte sehen wie sich die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter mit einem lauten Knall schloss.

Sie hätte ja mal wenigstens Hallo sagen können.
Das letzte Mal, das er sie wirklich gesehen hatte, war auch schon wieder drei Tage her, auch seine Oma musste in letzter Zeit viele Überstunden in der Schneiderei nehmen und war meist schon los, bevor er überhaupt aufstand. Hibbelig sprang Lyra bereits draußen auf und ab und wartete darauf das ihr Bruder endlich die Tür schloss. Gemeinsam bestritten sie den Schulweg und Soran verabschiedete sich von ihr auf dem Schulhof, während sie zu ihren Freundinnen rüberging und Soran selbst seine feste Freundin begrüßte. Langsam ging Megan auf die Zehenspitzen und lehnte sich für einen Kuss nach vorne, Soran rückte jedoch ein paar Schritte zurück. Sie waren zwar jetzt seit mehreren Monaten zusammen, doch Soran hatte jeglichen Körperkontakt und intimere Sachen abgeschlagen, zwar wiederholte er immer wieder wie sehr er sie liebte, doch das allein schien sie nicht mehr wirklich zu überzeugen.

Soran ignorierte einfach den verurteilenden Blick und begrüßte Kai mit einem Handschlag. Als die Klingel dann endlich über den Hof schallte, konnten sie auch endlich alle reingehen.
Die ersten Stunden vergingen entspannt und er konnte sich mit vielen Leuten unterhalten. Der gold-äugige war nicht gerade unbeliebt, einer der Gründe warum er überhaupt eine Chance gehabt hatte mit Megan zusammenzukommen. Doch dann kam die vierte Stunde und er sollte ein Vortrag halten. Normalerweise hatte er kein Problem damit, er war gut vorbereitet und hatte genug Selbstbewusstsein, um vorne nicht zusammenzubrechen, doch etwas war anders. Die Luft erreichte nicht richtig seine Lungen und sein Kopf brummte so sehr, dass er den Aufruf seines Namens schon nicht richtig mitbekommen hatte und dafür fast die Kreide seiner Lehrerin kassierte. Der Kurs wirkte verwirrt bei Sorans seltsamen Verhalten, schien es aber als Aufregung abzutun. Soran stand vorne und drehte sich kurz zu dem Tafelbild um, welches er in der Pause noch ordentlich mit der staubigen Kreide übertragen hatte, das grelle Licht verschlimmerte seine Schmerzen und er sah für kurze Augenblicke Punkte tanzen. „..." er stoppte, die Wörter auf seinen Zetteln begann zu verschwinden und ineinander überzugehen. Verzweifelt versuchte er noch irgendetwas etwas zu erkennen.

Crimson Stars [Boyxboy]Where stories live. Discover now