Kapitel 15

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Sein Herz schlug wild in der Brust. Die Kerze flackerte immer wieder in dem kalten Wind und erlosch komplett mit dem nächsten Luftzug. Die Mauern waren hoch gewesen, höher als er gedacht hatte und der Weg nach unten nur durch die hinter ihm liegende Treppe möglich gewesen. Die Wachen waren unaufmerksam gewesen. Müde von der Nachtschicht, sie hatten sein Kerzenlicht für eine der im Wind zuckenden Fackeln gehalten, deren Licht immer wieder unruhig die grauen Treppen erhellte. Immer wieder hallte das Scharren von Krallen in seinem Ohr wider. Es war egal wie sehr er es versuchte in die Dunkelheit zu verdrängen. Ihre Krallen griffen immer noch nach ihm und hinterließen tiefe Furchen in seiner Haut. Wunden die nur langsam heilten. Die Kerze hatte ihm Sicherheit und Wärme gegeben. Wärme, die ihm zeigte, dass seine Adern noch nicht vom Frost bedeckt waren. Doch jetzt war sie erloschen und damit auch seine Hoffnung Orientierung in dem Schwarzen Meer aus Bäumen vor ihm zu finden. Der Wind war kalt, kälter als je zuvor und er blies heulend durch die Bäume. Früher hatte er Wälder geliebt, er hatte die Mauer geliebt also hatte er auch ihren umgebenden Wald geliebt, aber jetzt machte er ihm Angst. Riss noch nicht ganz verheilte Wunden wieder auf und schien ihm zum Ausbluten zurückzulassen. Zitternd schritt er nach vorne. Es war egal wie sehr die Krallen nach ihm griffen, er hörte, wie der Sand in seiner Uhr langsam auslief. Achtlos ließ er die erloschene Kerze fallen, sie würde ihm nicht mehr helfen können. Mit jedem weiteren Meter, der hinter ihm lag, schlug sein Herz schneller. Seine Adern gefroren und sein Körper fühlte sich an als wäre er kälter als Eis. In der schwarzen Dunkelheit schienen sogar die Äste der Bäume nach ihm zu scharren. Die Blätter unter seinen Füßen fingen an ein fast schon ein metallisches Geräusch anzunehmen. Wie ein langes Schwert welches auf dem Boden schliff oder das Geräusch von raschelnden Ketten.
Oder Zähne die wie Metall im Mondschein glänzten und meinem Hals immer näherkamen.
Nein keine Zähne. Alles nur keine Haifischzähne.
Sein Körper kam im trockenen Laub auf. Seine Beine hatten nachgegeben, bevor er es hatte realisieren können.

Tropf.
Tropf.
Tropf.

Die ersten Regentropfen fielen wie in Zeitlupe vom Himmel. So als würde sogar der Himmel dieser kalten Nacht hinterher weinen. Er rührte sich nicht, aber das metallische Geräusch blieb. Das waren nicht die Blätter.
Sein Hals schnürte sich zusammen und sein Herz schien sich weiter zu beschleunigen. Ich muss hier weg. Egal wohin, einfach weg.
Es war überall. In der Ferne, neben ihm, in den Baumkronen und unter ihm schallte es mit jedem schneller werdenden Schritt zurück. Es schien egal, welche Richtung er einschlug, das Geräusch hatte sich bereits in seinem Ohr wie ein Parasit festgesetzt und wurde nur noch lauter.

Lauter.
Lauter.
Lauter.

Es soll aufhören. Ihn in Ruhe lassen. Es soll die Kälte, die ihn umschlang, wieder mit sich nehmen.
Die Panik ließ sich nicht mehr abschütteln und das wusste er. Irgendwo tief in sich drin. Vielleicht ja an dem gleichen Ort an dem er auch seinen Funken Mitleid für Reagan gefunden hatte. Doch dieser Funke hatte ein Feuer der Verdammnis entfacht. Ein Feuer, das so kalt brannte, dass er nicht sicher war, ob jedes seiner Gelenke von Hitze oder bitterlicher Kälte verschlungen wurde. Aber dieses Geräusch brachte kein Feuer mit sich, nichts wo er nicht genau wusste was es überhaupt war. Denn das was das Geräusch brachte war kalt und ihm wohl bekannt. Es war nur kalt. Kalt wie der eisige Tod, der ihn erwarten würde, sollte er nicht schnellstmöglich von ihr wegkommen. Doch es war bereits zu spät. Sein Körper schien eingefroren. Es schlängelte sich langsam durch jede Ader seines Körpers und schien sein Blut mit Frost zu überziehen.
Die Äste um ihn herum brachen und Gestalten erhoben sich aus der Dunkelheit.

Eins.
Zwei.
Drei.
Vier.
Fünf.
...
Soran gab auf zu zählen als er sah das die letzten Personen noch mit dem Schatten verschmolzen.
Dies waren keine Gesichter, die er kannte. Sie trugen keine der Silbernen oder Goldenen Rüstungen. Sie gehörten nicht zu Reagan. Niemand würde ihnen Befehle erteilen ihn nicht an Sklavenhändler auszuliefern. Ihre Haare waren zerzaust und Narben übersäten die entblößten Hautstellen. Tierfelle kleideten die restlichen und in ihren Augen lag ein Blick, den er nur einmal in seinem Leben gesehen hatte. Damals war er dreizehn gewesen und musste in die Augen eines Tollwütigen Hundes blicken. Der Schaum floss bereits aus seiner Schnauze und die Augen strahlten etwas aus was Soran bis heute einen Schauer über den Rücken fahren lässt und sein Herz für eine Sekunde tiefer in die Brust sinkt. Diese Augen die Entschlossenheit ausstrahlten, Entschlossenheit alles zu attackieren was einem in den Weg kommen würde. Und genau diesen Blick fand er in den fast schwarzen Augen vor sich wieder. Der Mann war nicht sehr groß, vielleicht etwas größer als er selbst, der Mann zu seiner linken war jedoch dreimal so breit gebaut wie Reagan und auch drei Kopfe größer als dieser. Es war als würde eine Wand vor ihm stehen. Doch der Riese war die Person vor denen Sorans Herz noch am langsamsten Schlug. Dann war da noch die Frau zur rechten des Mannes. Feuerrote Haare und Augen die in der Dunkelheit vor Mordlust zu glühen schienen. Ihm wurde unwohl bei ihrem Anblick. Ihr junges Gesicht wirkte fast schon gespenstisch und die Brandnarben an ihren Armen sahen zwar komplett verheilt aus doch noch nicht einmal ansatzweise verblasst. Aber das war nicht das schlimmste, der wahre Schreck rollte wie eine Welle durch seinen Körper als sie ihm ein breites Lächeln entgegenwarf.
Zähne wie Metall. Haifischzähne. Seine Zähne. Warum müssen sie aussehen wie seine Zähne.
„Komm schon Stella. Wir dürfen unseren neusten Fang nicht gleich verschrecken."
Der Mann in ihrer Mitte trat mehrere Schritte nach vorne.

Das Geräusch. Dieses Grausame kalte Metallische Geräusch kam von ihm.
Und zu Sorans Horror erblickte er auch schnell den Verursacher.

Halswirbel.

Da hing eine Kette aus, mit Metall verzierten, Halswirbeln. Sie begann an dem Stab welchen er wie ein Gehstock jedes Mal beim Laufen aufsetzte und ging durch die Luft bis sie sich einmal um seine Hüfte schlag.
Sie ist lang und an ihr ist bestimmt noch Platz für einen weiteren Knochen.
Meinem Knochen.
Endlich schien sein Körper aus seinem Schock erwacht zu sein und wich einen Schritt nach hinten, während der Mann Mitte zwanzig immer näherkam. „Gar nicht mal so hässlich. Zierlicher Körper, interessante Haare und diese Augen. Oh, diese goldenen Augen. Die Angst in ihnen macht sie nur noch schöner. Es ist fast schon zu schade sie auszustechen. Weißt du Augen ohne einen Körper sehen immer so leer aus, keine Emotionen, nicht diese Todesangst, die in ihnen aufblitzt, kurz bevor das Feuer ihren Körper verschlingt und nichts als Knochen und Augen zurücklässt." Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter und Sorans Zittern stärker. „Hast du dich verlaufen oder bist du wo möglich...geflüchtet?" er blickte in die Richtung der hinter ihm liegenden Mauern des obersten Bezirks. Soran antwortete nicht. „Ja du bist geflüchtet. Oh, oh, oh... Eine ganz dumme Entscheidung. Die Arbeit im Palast ist zwar nicht einfach, die außerhalb aber nur umso grausamer. Und da du so mager bist hast du definitiv als Diener gearbeitet. Das macht alles noch schwerer. Die Leute werden sich nicht davor scheuen mit dem Stock weit auszuholen." Er schwieg für ein paar Momente, öffnete dann jedoch wieder diesen grausamen Mund. „Aber das sind ja nicht einmal die schlimmsten Folgen deines Wegrennens. Sobald du die Mauer verlässt stehst du nicht mehr unter Reagans Schutz. Der Grund warum die Armee zu größten Teilen gut läuft, es noch keine Verräter gab oder seine Bediensteten nicht auf offener Straße angefasst werden ist einfach. Alle Bürger haben Angst vor Reagan. Alle in dieser Mauer und in den Ländern die weit außerhalb seiner Macht liegen. Sie fürchten sich vor ihm. Viele von ihnen würden lieber selbst in den Tod springen als ihr besiegeltes Schicksal Reagan in die Hände zu geben." Er redete zwar immer von den anderen, aber es schimmerte dieser kleine Funke in seinen Augen der ihn eindeutig verriet.

Er hat auch Angst.

Aber diese Angst war nun nutzlos. Er hatte unerlaubt den obersten Bezirk verlassen und Reagan würde nichts mehr tun, um ihn vor den Konsequenzen zu bewahren. Die Szenen von dem grausamen Abend, etwas mehr als eine Woche zuvor, begannen sich wieder vor seinen Augen abzuspielen. Die Angst und Panik, die durch seinen Körper geflossen war, quoll langsam aus seinem Inneren wieder auf. Das Adrenalin schoss durch seinen Körper und bevor er es überhaupt realisiert hatte, rannte er bereits auf die Dunkelheit zu. Weg von den einzelnen Fackeln die einige dieser Monster hinter ihm in der Hand gehalten hatten. Weg von dem Licht. Weg von dem einzigen, das ihm Hoffnung gegeben hatte und rein in die absolute Dunkelheit. Rein in, dass, wo er die Monster nicht sehen konnte die noch auf ihn warteten und in den Schatten ihre Krallen schärften. Aber konnten diese Monster grausamer sein als die, die er im Licht gesehen hatte.

Ja. Ja sie konnten genauso grausam sein, den das was einmal im Licht erleuchtet war, muss nicht für immer in diesem verweilen. Soran konnte sehen, wie die letzten Strahlen die durch die Schwärze gedrungen waren erloschen.
Sie machen die Fackeln aus. Sie wollen ihren Standort nicht preisgeben.
Sorans Herz schlug härter. Die Nacht schien kälter als Eis und seine Lungen begannen zu brennen. Jeder Atemzug schmerzte und schien ihm mehr die Luft zu rauben als ihm neue zu schenken. Fast schon blind stolperte er durch die Bäume und fand sich in der Mitte einer großen, von ihnen eingeschlossenen Lichtung. Gerade als Soran wieder in unter den Bäumen verschwinden wurde trat ein Wesen zwischen ihnen hervor. Dann noch einer. Und noch einer. Und nach einem einzelnen Wimpernschlag schien in jeder Lücke eines der Monster zu stehen.
Sieht aus als würde es hier wohl enden. Erbärmlich. Was habe ich in meinem Leben schon erreicht? Gar nichts. Die ersten Jahre war ich ein sorgenloses Kind und als dieses starb saß ich Tag ein Tag aus trüb in meinem Zimmer.
Es gab kein Entrinnen mehr. Hinter ihm waren die im Mondlicht blitzenden Metallzähne, zu seiner linken türmte der Riese, vor ihm klapperten die Knochen und zu seiner rechten stand ein Wesen in dunkle Mäntel gehüllt.

Crimson Stars [Boyxboy]Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz