A C H T U N D Z W A N Z I G

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Ich merke Silas an, dass er mit aller Macht versucht, mir die Zeit zu lassen, die ich brauche, um das Wort zu ergreifen. Ich komme zu dem Schluss, dass es absolut keinen Sinn hat, ewig zu warten. Das macht die Sache auch nicht leichter. Vielleicht ist da ja auch ein Teil in mir, der dieses Gespräch besonders stark hinauszögern will, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen? Mit dieser Möglichkeit will ich mich lieber nicht weiter beschäftigen.

»Also, äh«, setze ich höchst eloquent an. Silas wartet noch immer betont geduldig, bis ich weiter spreche. Aber ich sehe ihm an, dass es ihn fast umbringt, nicht zu wissen, was ich gleich sagen werde.

»Ich mache es kurz: Deine Ex hat mir aufgelauert und mich bedroht.«

Silas entgleisen die Gesichtszüge. »Bitte was?!«

»Ich bin ihr im Bus begegnet, sie ist mir nach draußen gefolgt und... naja. Sie meinte, ich soll mich von dir fern halten. Ich habe ihr ziemlich deutlich gezeigt, was ich von ihrer Aktion hielt, aber irgendwann ist mir bewusst geworden, dass ich sie nur dazu kriege mich in Ruhe zu lassen, wenn ich ihr sage, dass wir ins sowieso nicht mehr sehen.«

Silas starrt vollkommen desillusioniert vor sich hin. Wie betäubt hebt er den Kopf und sieht mich mit einem so verstörten Ausdruck in den Augen an, dass ich es bereits bereue, ihm überhaupt davon erzählt zu haben. Doch trotzdem sagt mir mein Gefühl noch, dass es das Richtige war. Auch wenn ich ihm den Schrecken gern erspart hätte.

»Hat... hat sie dir weh getan?«

Ich schüttle vehement den Kopf. »Nein, sie hat mich nicht angefasst und seitdem auch nicht weiter belästigt. Ich dachte mir einfach nur, dass es gut wäre, wenn du davon weißt.«

Er schweigt nachdenklich. Und dann sagt er etwas, das mich komplett unerwartet trifft: »Gut, dass sie ausgewandert ist.«

»Sie ist... was?!«

Silas nickt bekräftigend. »Tatsächlich hatte Nathalie das schon vor, bevor sie und ich uns kennengelernt haben. Es war schon immer ihr Traum. Aber ich habe ehrlich gesagt auch nicht mehr damit gerechnet, nachdem sie so obsessiv wurde, was mich betrifft. Sie ist jetzt schon seit gut einer Woche nicht mehr in meinem Café aufgetaucht, also... schätze, sie hat es wirklich durchgezogen.« Er blickt mir in die Augen, nur für einen sehr kurzen Moment, dann wendet er sich wieder mit roten Wangen ab. »Du solltest trotzdem auf dich aufpassen. Falls sie irgendwie doch noch zurückkommt und dich fertig machen will, gehen wir zur Polizei. Ja?«

Ich bin überwältigt von Silas' Fürsorge, sodass ich lediglich dazu imstande bin, zu nicken.

Stille breitet sich abermals zwischen uns aus und mir wird klar, dass es jetzt eigentlich an mir wäre, zu gehen. Ich habe ihm schließlich gesagt, was ich ihm sagen wollte. Er weiß Bescheid über meine Begegnung mit Nathalie. Es gäbe keinen Grund, jetzt noch zu bleiben.

Trotzdem sage ich nicht Nein, als Silas mich fragt: »Magst du einen Kaffee trinken?« Im Gegenteil, so ziemlich. Ich antworte enthusiastisch: »Sehr gerne!«

Ich hätte mir wirklich selbst eine reinhauen können.

Andererseits... warum eigentlich nicht? Schließlich wird es das letzte Mal sein, dass ich Silas sehe, wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle. Das kann ich doch genauso gut auch auskosten, oder?

Er erhebt sich und ich tue es ihm gleich. Etwas unschlüssig stehen wir voreinander, bis er sich schließlich mit dem Zeigefinger der Braue kratzt – eine herrlich verlegene Geste – und fragt: »Möchtest du mich in die Küche begleiten?«

»Äh, ja. Klar.«

»Du musst nicht. Wenn du willst, kannst du auch einfach hier–«

»Nein, ich würde dich gern in deinem Element sehen«, entgegne ich lächelnd. Silas lächelt zaghaft zurück, sehr kurz nur, wie immer. Dann nickt er kurz, dreht sich um und geht los. Ich folge ihm.

Auf demWeg zur Küche habe ich mir im Kopf bereits automatisch ein Bild davon gemacht, wie es dort aussehen könnte. Und ich sollte tatsächlich recht behalten mit meiner Vorstellung.

Ein belustigtes Schnauben entschlüpft mir und ich halte mir unwillkürlich die Hand an den Mund. Silas deutet meine Reaktion falsch und zieht eine peinlich berührte Miene. »Ich weiß, es ist etwas... mächtig. Pompös. Wie der Rest hier eben auch.«

Vehement schüttle ich den Kopf. »Nein, nein, so war das gar nicht gemeint! Ich musste nur lachen, weil... ich mir die Küche genauso vorgestellt habe. Nachdem ich den Rest des Hauses gesehen habe, meine ich.«

Silas legt den Kopf schief und betrachtet mich interessiert. Dass mir plötzlich sehr heiß wird, hat rein gar nichts mit der späten Nachmittagssonne zu tun, die schräg durch die riesigen Fenster in den Raum fällt. Unter Silas' Blick brodelt mein Blut förmlich. Ich weiß nicht, ob ich es hassen oder lieben soll, dieses Gefühl.

»Und?«, fragt er schließlich. »Gefällt es dir?«

»Gefällt es dir? Eher nicht, anscheinend«, erwidere ich. Gespielt mahnend hebt er den Zeigefinger und sieht mich dabei mit einem so durchdringenden Blick an, dass mir erneut heiß wird. »Ich habe zuerst gefragt. Gegenfragen zählen nicht.«

Er stützt sich auf der weißen Marmorinsel ab, die zwischen uns steht, und lehnt sich ein Stück zu mir vor. Seine Armmuskeln treten dabei deutlich hervor und ich widerstehe dem Drang zu überprüfen, ob ich Sabber im Mundwinkel habe.

Ich entscheide mich dazu, die Gelegenheit zu nutzen, um meinen Blick von ihm abzuwenden und die Küche zu mustern. Generell sind hier viele Flächen aus weißem Marmor gefertigt. Die Arbeitsfläche, die Platten auf der Küchenzeile, besagte Insel. Gold ist hier ebenfalls viel vorzufinden. Die Griffe der Schränke und Schubladen, der geschwungene Wasserhahn und sogar die Spüle.

Hier und da hängen und stehen auch ein paar Grünpflanzen, inklusive Kräutern, was dem ganzen Raum noch ein lebendiges Flair gibt. Sehr sympathisch finde ich auch, dass hier nicht alles super aufgeräumt, sondern leicht chaotisch ist. Wieder etwas, das der Küche Lebendigkeit einhaucht. Eine Küche, in der auch tatsächlich gekocht wird.

»Mir gefällt es sehr gut hier, muss ich sagen.«

Mein Blick wandert weiter und trifft auf eine Art Kaffee-Station, die sich überhalb eines niedrigen Küchenschrankes befindet. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich, dass es genau gleich gestaltet wurde wie die Kücheninsel, auf der Silas und ich uns gerade abstützen. Nur sehr viel kleiner.

Da ich noch immer nicht bereit bin, Silas wieder anzusehen, nehme ich diese Gelegenheit wahr und bewege mich auf die Kaffee-Station zu. Eine sehr teure, silbrig glänzende Siebträger-Maschine steht in der Mitte. Links und rechts davon befinden sich etwas, das wie eine Kaffeemühle aussieht und ein rundes Teil, auf dem der Tamper steht. Alle anderen Gerätschaften kann ich nicht ganz einordnen.

Silas räuspert sich. Dann sagt er: »Ich muss dir etwas gestehen, Romy.«

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