V I E R Z E H N

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Ich habe Schwierigkeiten damit, eine Beschäftigung zu finden, während Silas arbeitet. Ich meine, außer verlegen daneben zu stehen, ihm über die Schulter zu gucken oder ihn anzugaffen, fällt mir nichts sinnvolles ein. Außerdem habe ich den Verdacht, dass es ihn leicht nervös macht, wenn ich die ganze Zeit jeden seiner Handgriffe observiere.

Also lasse ich ihn seine Arbeit machen und ziehe mich in mein Schlafzimmer zurück. Dort nehme ich ein Buch zur Hand – eins, das mir Susann empfohlen hat. Dummerweise muss ich dadurch wieder an sie denken und mache mir Sorgen. Ich finde, sie hat sich schon reichlich merkwürdig verhalten, weiß aber leider auch nicht wirklich, wie ich jetzt damit umgehen soll.

Doch ehrlich gesagt stelle ich nach einigen Seiten ohnehin fest, dass ich nicht unbedingt Redebedarf über den Inhalt des Buches verspüre. Außer vielleicht um mich zu beschweren. Die Protagonistin ist nervig und toxisch, die Handlung scheint jetzt schon vorhersehbar zu sein und der Typ, in den sie verknallt ist, benimmt sich wie ein waschechter Frauenhasser. In meinen Augen zumindest.

Seufzend lege ich das Buch weg und mache mir jetzt schon Gedanken, was ich mit dem Ding tun soll. Zu Ende lesen? Jemandem schenken, den ich nicht leiden kann? So viele Möglichkeiten...

Ich beschließe, doch noch weiterzulesen. Leider bereue ich dies im Endeffekt, denn besser wird es nicht wirklich. Im Gegenteil vielleicht. Abgesehen davon hat es jetzt sowieso keinen Sinn zu lesen, denn ich kann mich einfach nicht auf die gedruckten Worte vor meiner Nase konzentrieren. Es ist, als würde ich die ganze Zeit förmlich spüren, dass Silas im Raum nebenan ist. Irgendwie macht mich das richtig verrückt.

Vielleicht sollte ich einfach etwas in der Küche machen? Einen Kuchen backen, den wir nachher dann gemeinsam essen können? Irgendeine Mahlzeit zubereiten? Keine Ahnung, vielleicht wäre das etwas übergriffig. Andererseits kann Silas ja einfach ablehnen, wenn er keine Lust hat, was mit mir zu essen.

Manchmal frage ich mich schon, warum er sich dazu bereit erklärt hat – nein, es sogar von sich aus angeboten hat – sich meinen Rechner anzuschauen, wenn er nicht mal einen mickrigen Kaffee mit mir trinken wollte. Gut, man muss natürlich sagen, dass das zwei völlig verschiedene Sachen sind. Vielleicht war es ihm einfach zuwider, sich auf diese Art mit mir zu treffen. Also, auf ein Date zu gehen. Jemandem den Computer zu reparieren hat ja rein gar nichts romantisches an sich, würde ich mal sagen.

Ich schüttle den Kopf. Es ist auch völlig egal, er ist jetzt hier und macht auf jeden Fall nicht den Eindruck, als würde er was von mir wollen. Anders als David, der sich wirklich ausgesprochen viel Mühe mit mir gibt und mich behandelt wie eine Königin.

Bevor ich nochmal an diese bizarre Situation mit uns Dreien heute an der Tür denken kann, gehe ich zu Silas ins Wohnzimmer.

»Na, wie läuft's?«, frage ich betont lässig. Dieser konzentrierter Zug um seinen Mund macht Sachen mit meinem Herzen, die eigentlich nicht okay sind. Ich blicke für den Bruchteil einer Sekunde zu den Rosen. Mein Herz ist wieder ruhig.

Silas folgt meinem Blick und lächelt kurz. Sein Lächeln ist immer kurz, dafür umso... berauschender. Aber das sieht wahrscheinlich nur mein Silas-vernebeltes Hirn so.

»Das war wirklich aufmerksam von diesem Typen.« Ich bin etwas überrumpelt, dass er das anspricht.

»Ja, finde ich auch!«, gebe ich eine Spur zu strahlend lächelnd zurück. Silas betrachtet mich für den Bruchteil einer Sekunde prüfend – zumindest kommt es mir so vor – dann widmet er sich wieder meinem Rechner.

»Um deine Frage zu beantworten: Ich habe immer noch nicht wirklich raus, wo das Problem liegt. Es tut mir wirklich leid.«

»Oh, um Gottes Willen, das muss dir nicht leid tun! Wirklich, gar kein Stress.«

Er runzelt die Stirn: »Aber du kannst doch gar nicht arbeiten ohne.«

Ich halte mein Handy in die Höhe. »Ein bisschen was kann ich trotzdem erledigen und außerdem habe ich auch den ein oder anderen Entwurf gespeichert. Mach dir keine Sorgen.«

»Okay, wie du meinst. Ich kann dir auf jeden Fall versichern, dass es nicht mehr allzu lang dauert, bis ich das Problem gefunden hab. Selbst falls ich es heute nicht schaffen sollte, dauert es keine Ewigkeit mehr.«

»Es ist alles in Ordnung. Danke, dass du mir hilfst.«

»Gerne.«

Ich will mich schon abwenden und ihn weitermachen lassen, doch ich entscheide mich anders. Ich habe Lust, mich mit ihm zu unterhalten, solange er noch da ist. Zwar verlangsame ich damit ein wenig seine Arbeit, aber ganz ehrlich? Ich habe nicht wirklich ein Problem damit, sollte er dafür länger bleiben müssen.

»Da fällt mir ein...« Silas blickt wieder auf. »... woher hast du eigentlich deine Computer-Kenntnisse?« Er macht weiter und antwortet mir, ohne mich anzusehen. »Ich habe mich schon als kleines Kind dafür interessiert, wie die Dinge funktionieren. Einfach alles, nicht nur technisches Zeug. Wie geht das mit dem Regen, warum ist das Meer blau? Solche Sachen eben. Aber es hat mich schon immer fasziniert, dass ein so vielfältiges Bild auf einen Bildschirm generiert werden kann, ohne dass man es mitbekommt oder dem Gerät überhaupt ansieht... ergibt das Sinn?«

Ich erinnere mich nicht daran, jemals so viele Wörter von ihm am Stück gehört zu haben. Verwundert blinzele ich. Silas missinterpretiert meinen Gesichtsausdruck jedoch als Verwirrung, denn er seufzt, ein entschuldigendes Lächeln im Gesicht, und widmet sich wieder seiner Arbeit. »Wahrscheinlich nicht«, beantwortet er sich seine Frage selbst. Doch ich schüttle heftig den Kopf.

»Nein, nein, so ist das wirklich nicht! Ich verstehe sogar sehr gut, was du meinst. Du hast es sehr schön beschrieben.« Ich bin mir sicher, mir den rosa Schleier, der sich daraufhin auf seinen Wangen ausbreitet, nicht nur eingebildet zu haben. »Ähm, danke.«

Unschlüssig sehe ich Silas noch einige Sekunden dabei zu, wie er sich um meinen Rechner kümmert, dann überwinde ich mich und frage ihn: »Was hältst du eigentlich davon, später noch was mit mir zu essen? Ich würde mir sowieso was machen und das ist das mindeste, was ich nach deiner Mühe für dich tun kann.«

Mit angehaltenem Atem warte ich auf seine Antwort. Als ich mir schon sicher bin, dass er ablehnen wird, sagt er: »Klar, das klingt gut. Was gibt es?«

HerzschaumWhere stories live. Discover now