D R E I

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Ich erreiche meine süße Zwei-Zimmer-Wohnung und streife mir frustriert die Schuhe von den Füßen. Genervt beobachte ich sie dabei, wie sie umkoordiniert zur Seite kullern. Das sind die besten weißen Sneakers, die ich besitze und ich dumme Nuss habe sie auch noch für das Date heute geputzt.

Ich lasse mich auf meinem fliederfarbenen Mini-Sofa nieder und werfe einen Blick auf mein Handy. Susann hat mir mittlerweile geantwortet. Müde lasse ich meinen Kopf im Nacken kreisen und halte mir dann den Lautsprecher ans Ohr, um mir ihre Sprachnachrichten anzuhören.

»Oh, nein! Das klingt ja schrecklich! Es tut mir unglaublich leid, dass ich dich mit so einem auf ein Date geschickt habe. Ich kenne ihn nur flüchtig über ein paar andere Freunde und hätte jetzt wirklich nicht gedacht, dass er so ein Arsch ist. Mir hat es voll leid getan, dass du einfach nicht den Richtigen zu finden scheinst, obwohl du so, so, so toll bist! Da habe ich vielleicht möglicherweise ein Auge zu viel zugedrückt bei Tim. Es ist nicht so, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe, aber... naja, ich dachte eben einfach, dass er nur ein bisschen Probleme mit sozialer Interaktion hat und bloß mehr Zeit braucht, um aufzutauen – zumindest klang das so, als meine anderen Freunde ihn beschrieben haben. Naja... es tut mir jedenfalls leid. Was für ein Scheiß-Freitagabend!«

Ich werfe das Handy neben mich auf die Polster des Sofas nachdem die Sprachnachricht endet und lehne mich frustriert in die Polster. Aus irgendeinem Grund geht es mir nach Susanns Nachricht noch schlechter. Aber immerhin fühlt sie mit mir, das tut schon ganz gut.

Ich verbringe noch ein paar Minuten damit, vor mich hinzustarren, dann kann ich mich schließlich dazu aufraffen, aufzustehen und mir etwas zu essen zu kochen. Bei meinem grandiosen Date habe ich ja nichts kriegen können.

Während ich Wasser zum Kochen aufsetze (ich habe Appetit auf Nudeln mit Soße bekommen, eines meiner Lieblingsgerichte), schweifen meine Gedanken zu dem Typen zurück, der mich von diesem komplett desaströsen Date befreit hat. So dankbar ich ihm auch bin, sind meine Gefühle ihm gegenüber trotzdem gemischt. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt er mir doch etwas kalt vor, wenn nicht sogar überheblich. Nicht, weil er mich abgewiesen hat, sondern viel mehr wegen der Art und Weise, wie er es getan hat.

Ich zucke die Schultern. Aber was soll's, es bringt mir jetzt ohnehin nichts, mir den Kopf über ihn zu zerbrechen. Klar, war es unfassbar peinlich, von ihm so zurückgewiesen zu werden, aber davon geht die Welt auch nicht unter. Außerdem werde ich den Kerl wahrscheinlich sowieso nie wieder in meinem Leben sehen.

...

Kurz bevor ich schlafen gehe, schminke ich mich noch ab. Nachdenklich betrachte ich mein Spiegelbild.

Mir gefällt gut, was ich sehe. Heute ist mir mein Make-up besonders toll gelungen – was Tim nicht besonders zu schätzen wusste. Allein wenn ich daran zurückdenke, wie abfällig er über mich und meinen Beruf geredet hat, könnte ich in das Waschbecken vor mir kotzen. Selbst jetzt, Stunden später, entzündet er eine brennende Wut in meinem Inneren.

Ich wische mir sanft mit einem in Augenmakeup-Entferner getränktes Wattepad den schillernd grünen Lidschatten mit den goldenen Reflexen von den Lidern. Er harmonierte wunderbar mit meiner gelblich-grünen Augenfarbe.

Nachdem ich auch mein restliches Gesicht vom Make-up befreit habe, sehe ich im Schein der Deckenleuchte, dass meine Haut noch immer von den Pigmenten des Lidschattens leicht glitzert. Unwillkürlich muss ich grinsen und bewege meinen Kopf so, dass ich die Lichtreflexe bewundern kann.

Ich wasche mir mein Gesicht noch mit einem Reinigungsschaum, bevor ich in die Dusche steige und gewissermaßen den heutigen Abend von mir runterspüle. Frisch abgetrocknet und eingecremt widme ich meine Aufmerksamkeit nochmal meinem Spiegelbild. Meine nun von Sommersprossen gespickte Haut glänzt rosig und ich sehe trotz des turbulenten Abends, den ich hinter mir habe, frisch und zufrieden aus. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die Aussicht auf mein weiches Queensize-Bett, die mich so zum Strahlen bringt.

Ich föhne mir meine blonden, langen Haare und putze meine Zähne. Beides zusammen nimmt erneut so viel Zeit in Anspruch, dass ich mir erstens überlege, ob ich meine Haare schneiden lassen und zweitens, mir eine elektrische Zahnbürste beschaffen soll. Mit diesen Gedanken im Kopf lasse ich mich schließlich ins Bett fallen, wobei ich allerdings direkt wieder aufstehen muss, da ich noch immer meinen Bademantel trage. Seufzend ziehe ich mir meinen zweiteiligen Schlafanzug an, welcher aus einem salbeifarbenen Satin-Hemd und passender Hose besteht, dann lasse ich mich erneut auf die Matratze sinken.

Ich werfe einen letzten Blick auf mein Handy, bevor ich es für heute weglege und sehe eine weitere Benachrichtigung von Susann. Sie schreibt: »Tim hat mich gerade nach deiner Nummer gefragt. Ich gebe sie ihm nicht, oder?«

Ungläubig reibe ich mir über die Augen, dann lese ich ihren Text nochmal. »Natürlich nicht!«, antworte ich, dann lege ich das Handy irritiert weg. Wie kommt Susann überhaupt auf die Idee, noch zu fragen? Sie hat doch mitbekommen, was für ein totales Desaster dieses Date war!

Ich schließe die Augen und mummle mich in meine Decke ein. Während ich in den Schlaf drifte, wird mir klar, dass sie vielleicht nur aus Respekt nochmal nachgefragt und sich nichts weiter dabei gedacht hat. Trotzdem... ein wenig komisch ist es schon.

...

Am nächsten Morgen nehme ich mir wie immer Zeit, um richtig aufzuwachen, zu frühstücken und für einen Moment in mich zu gehen, bevor ich mich Social Media widme.

Es ist interessant zu beobachten, dass das Gefühl, das ich beim Öffnen der diversen Apps empfinde, nun ein ganz anderes ist, als noch vor zwei Jahren – dem Zeitpunkt, als ich mir das erste Mal einen Account erstellt habe.

Damals hat es sich wie ein Hobby, wie Freizeit angefühlt, nun fühlt es sich etwas mehr wie eine Verpflichtung an. Das bedeutet natürlich nicht, dass es keinen Spaß mehr macht, denn dann würde ich das alles gar nicht mehr tun. Aber es ist schon so, dass jetzt sehr viel mehr Gedanken und Mühe in meinen Social Media Auftritt und meine Beiträge fließen, als noch zuvor. Das bringt eben auch eine gewisse Anstrengung und mehr Zeit, die dafür aufgebracht werden muss, mit sich.

Ich mache mich daran, ein Tutorial für Contouring, wie ich es bei mir selbst immer mache, hochzuladen – ein Video, das ich vor ein paar Tagen bereits gefilmt und geschnitten habe – und neue Videos zu drehen. Ich habe gut geschlafen und verspüre die Energie, um heute viel schaffen zu können.

Etwa drei bis vier Stunden später bin ich fertig damit, genug Videomaterial für die nächsten Tage gesammelt zu haben. Vieles von dem Gefilmten wird ohnehin rausgeschnitten, bevor das ›perfekte‹ Video zum Hochladen entsteht. Viele Menschen wissen das zum Beispiel nicht und tun meinen Job dann als anspruchslos ab – Tim ist das beste Beispiel dafür.

Ich schüttle entschlossen den Kopf und verbanne Tim aus meinen Gedanken. Er ist es gar nicht wert, dass ich auch nur eine Sekunde länger über ihn nachdenke! Stattdessen beschließe ich, mich den ganzen netten (und zu einem kleinen Teil auch nicht so netten) Kommentaren unter meinem letzten Post zu widmen.

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