N E U N

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Im Normalfall hätte ich jetzt Susann angerufen und ihr von meiner Begegnung mit Silas erzählt – nicht, dass sie überhaupt etwas von ihm wüsste. Doch gerade fühle ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, sie anzurufen... oder überhaupt mit ihr zu reden.

Nachdem ich mir meinen Karamellkaffee von Darcy abgeholt habe (es war wirklich schön, mal wieder mit ihr zu reden), denke ich mir auf dem Heimweg, dass es doch absolut schwachsinnig ist, dass Silas überhaupt so viel Platz in meinen Gedanken einnimmt. Ich date einen wirklich netten Typen, der mir all die Aufmerksamkeit schenkt, die ich verdient habe. Was ist dann mein Problem?

Ich finde es so schade, dass ich mich gar nicht richtig darauf konzentrieren kann, mich über David zu freuen. Diese Schmetterlinge in meinem Bauch sollten eigentlich für ihn flattern... und nicht für jemanden, der meine Aufmerksamkeit gar nicht verdient hat.

Ich werfe den leeren Kaffeebecher weg, bevor ich zu Hause ankomme. Ich ziehe mir meine sonnengelbe Jacke aus, die meine Stimmung nur kurzfristig heben konnte, und lasse mich entmutigt auf meinem Sofa nieder.

Ich ärgere mich.

Ich ärgere mich über Silas, über meine blöden Schmetterlinge und über Susann, die sich so merkwürdig benimmt in letzter Zeit.

Plötzlich habe ich keine Lust mehr, das einfach so hinzunehmen.

Ich nehme mein Handy in die Hand und wähle Susanns Nummer. Nach dem vierten Klingeln nimmt sie ab.

»Ja, Romy?« Sie klingt nicht gerade erfreut, von mir zu hören. Ich seufze. »Hi Susann.« Dass ich mir vorher keine Worte zurechtgelegt habe, rächt sich jetzt. Fieberhaft überlege ich, wie ich meine Gedanken am besten formulieren könnte, doch dann entscheide ich mich dazu, schlicht das zu sagen was ich denke.

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass irgendwas zwischen uns nicht ganz stimmt in letzter Zeit. Ich finde das sehr schade und... keine Ahnung. Täusche ich mich da? Hast du gerade einfach nur eine schwierige Zeit? Wenn ja, dann weißt du, dass du mit mir immer darüber reden kannst.«

Sie schweigt sehr lange, bevor sie mir antwortet, doch ich bleibe geduldig und gebe ihr die Zeit, die sie braucht.

»Ach, Romy... es ist etwas schwieriger, als du denkst. Mach dir keine Gedanken. Ich kann noch nicht darüber reden, aber... ja. Im Prinzip hast du recht, ich mache gerade keine einfache Zeit durch. Nimm es mir nicht böse, dass ich dir nicht mehr erzählen kann.«

Für einige Sekunden muss ich ihre Worte sacken lassen. Dann antworte ich: »O-Okay, danke, dass du mir dass gesagt hast. Lass dir alle Zeit der Welt. Wenn du bereit bist, bin ich für da.«

»Ja. Danke. Tschüss.«

Noch bevor ich mich angemessen von ihr verabschieden kann, legt sie auf und ich höre ein stetiges Tut-Tut.

Überfordert lehne ich mich auf der Couch zurück und starre an die weiße Decke. Es fühlt sich nicht wirklich so an, als hätte sich diese Situation mit meiner Freundin gelöst, aber wenigstens bin ich etwas schlauer. Wenn Susann etwas beschäftigt und sie selbst noch den Raum braucht, um das für sich zu verarbeiten, dann ist das so. Sie weiß auf jeden Fall jetzt, dass sie mit mir reden kann, wenn sie jemanden braucht.

Ich beschließe, gleich den nächsten Punkt in Angriff zu nehmen, der mich beschäftigt: David. Ich möchte uns beiden die Möglichkeit geben, einander kennenzulernen. Wirklich kennenzulernen. Auf eine schöne, kitschige Art. Aber wenn ich es immer wieder zulasse, dass sich ein Typ in meine Gedanken schleicht, der dort nichts verloren hat und auch gar nichts von mir wissen will, geht das nicht.

Silas werfe ich hochkant aus meinem Kopf und öffne zeitgleich die Tür für David noch ein Stückchen weiter. Ich denke, wir müssen einfach etwas mehr Zeit miteinander verbringen. Wie soll man auch eine Verbindung zueinander aufbauen, wenn man sich nicht sieht? Vielleicht bin ich auch zu ungeduldig und versuche gewissermaßen, das Gras aus der Erde zu ziehen. Aber es hat nun mal sein eigenes Tempo beim Wachsen.

Ich greife zu meinem Handy und verfasse eine Nachricht an David: »Hey! Ich fand es letztens echt toll mit dir und habe mich gefragt, ob du Zeit und Lust hast, dich demnächst wieder mit mir zu treffen? Für den Rest der Woche hätte ich Zeit.«

Er und ich haben noch ein paar Mal miteinander hin und her geschrieben nach unserem Date, aber es ging dabei nie um unser nächstes Treffen, weshalb ich das nun in die Hand genommen habe.

Ich checke mein Social-Media-Profil, nachdem ich die Nachrichten-App geschlossen habe. Mein Herz macht einen freudigen Hüpfer als ich sehe, dass meine Follower-Anzahl um ein gutes Stück angestiegen ist seit dem letzten Mal, als ich bewusst drauf geschaut habe. In Momenten wie diesen wird mir abermals bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich den Erfolg habe, den ich habe. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich dazu imstande bin, mit meiner Leidenschaft Geld zu verdienen – auch, wenn es nicht gerade die Welt ist. Es reicht gut zum Überleben und dazu, sich ab und an was gönnen zu können. Ich gehöre auf jeden Fall nicht zu den Influencern, die sich Villen und Designer-Zeug von dem Geld kaufen können, das sie verdienen.

Ich schneide einiges an Videomaterial, das ich noch vor Kurzem gefilmt habe und notiere mir weitere Ideen für die nächsten Beiträge. Gerade als ich fertig bin, gibt mein Handy den Signalton für eine neue Nachricht wieder. Es ist David. »Hey Romy! Ich fand es, wie gesagt, auch sehr toll mit dir. Klar, das würde mich sehr freuen, wenn wir uns wieder treffen! Wie wäre der kommende Freitag-Abend für dich? Oder ist dir etwas Ungezwungeneres am Tag lieber?«

Während ich eine Antwort schreibe, folgt eine weitere Nachricht von ihm: »Wir können natürlich auch ungezwungen Abends essen gehen, so ist es nicht.« Seiner Nachricht folgt ein Lachemoji.

»Abendessen klingt gut! Ob gezwungen oder ungezwungen.« Ich lasse meiner Nachricht ebenfalls einen Emoji folgen, der scherzhaft die Zunge rausstreckt.

Wir tauschen noch einige Nachrichten aus und kommen schließlich zu dem Schluss, dass wir uns in einem Burgerrestaurant treffen wollen – das ist etwas gehobener als irgendeine Fastfood-Kette, aber nicht ganz so spießig wie ein schickes Restaurant.

Bis Freitag sind es nur noch zwei Tage. Ich hoffe darauf, dass die Zeit schnell vergeht, denn plötzlich kann ich es kaum erwarten, David und mir die Möglichkeit zu geben, eine tolle Verbindung zueinander aufzubauen.  

HerzschaumHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin