S E C H S

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Ich versuche mir einzureden, dass der Grund dafür, dass ich mich erneut auf einer Dating-Plattform herumtreibe, nicht die Begegnung mit Silas ist. Aber ein kleiner Teil von mir muss natürlich anerkennen, dass dem zumindest ein wenig so ist. Immerhin war es schon ein harter Schlag für mein Ego, eine Abfuhr von ihm zu kassieren – ihm dann auch noch erneut begegnen zu müssen hat es nicht gerade besser gemacht.

Ich verstehe nicht, warum mir das so nahe geht... schließlich ist es nicht das erste Mal, dass es einfach nicht ganz gefunkt hat bei einem Typen und mir. Es kam schon vor, dass ich jemanden gut fand, mit ihm ausgegangen bin und eigentlich nichts dagegen gehabt hätte, auf ein weiteres Date zu gehen und der Typ dann gesagt hat, dass es ihm nicht so geht. Unangenehm, aber keine große Sache.

Doch aus irgendeinen Grund ist es mit Silas anders. Es ist nicht nur wegen seines guten Aussehens, dessen bin ich mir sicher. Er geht mir einfach unter die Haut. Ich kann nicht genau erklären, warum das so ist. Ich habe es schon irgendwie gespürt, als er das Restaurant betreten hat und sich unsere Blicke gekreuzt haben.

›Schön und gut, aber es spielt keine Rolle‹, rufe ich mir in Erinnerung. Ich bin wirklich nicht dazu bereit zuzulassen, dass er meine Gedanken dominiert und mir dadurch eine Chance auf reales Dating-Glück zu versauen. Apropos Dating...

Ich sehe, dass mein Posteingang auf der Plattform den Eingang einer neuen Nachricht anzeigt. Hoffentlich ist es nicht wieder irgendeine plumpe Anmache oder die Forderung von Nacktbildern. Unglaublich, was sich manche da erlauben.

Doch als ich darauf klicke, empfängt mich eine nette Nachricht von einem Typen namens David. Er schreibt: »Hey, Romy! Cooler Name übrigens. Ich bin vorhin auf dein Profil gestoßen und fand dein Lächeln einfach toll. Dein Make-up gefällt mir auch richtig gut. Mein Favorit ist glaube ich dieser dunkelblau glitzernde mit dem weißen Rand.« Ich muss lächeln. Eines der ersten Male, dass ich grafischen Eyeliner mit Lidschatten kombiniert habe. Sehr zeitintensive Angelegenheit, doch das Ergebnis kann sich in der Tat sehen lassen.

Auf meinem Dating-Profil habe ich natürlich etwas von meiner Arbeit mit einfließen lassen, doch es besteht nicht nur aus Bildern von mir, in denen ich mich für meinen Blog geschminkt habe. Auch Freizeitaktivitäten wie mich beim Lesen, Badminton und Sticken habe ich dort in Bildern festgehalten.

Ich lese weiter: »Filme sind mir fast lieber als Serien, wobei ich den Reiz einer sehr guten Serie schon auch zu schätzen weiß.« Er spielt auf die Beschreibung in meiner Bio an, wo ich erkläre, dass ich ein totaler Serien-Junkie bin. »Ich würde mich sehr freuen, dich kennenzulernen. Wie geht es dir da?«

Ich nehme mir einen kurzen Moment Zeit, um sein Profil zu studieren. Er scheint ein Tierliebhaber zu sein, hat allerdings keine eigenen Haustiere. Ihm gefällt es, spazieren zu gehen. Zu Avocado sagt er nicht nein... klingt alles ganz sympathisch. Sein Aussehen ist ebenfalls nicht schlecht: blondes kurzes Haar, hellblaue Augen, sehr nettes Lächeln. Hm... warum eigentlich nicht?

Ich antworte: »Hi David, ich finde deine Profilbeschreibung auch echt sympathisch! Avocados gehören auf jeden Fall ebenfalls zu einer meiner Schwächen. Ich würd mich gern mit dir auf einen Kaffee treffen. Wann passt es dir denn?«

Ich lege das Handy weg und beschließe, mich vorerst mit anderen Dingen zu beschäftigen. Leider neige ich dazu, ständig auf meinen Bildschirm zu starren, wenn ich eine mir wichtige Antwort von jemandem erwarte und ich versuche, mir das abzugewöhnen. Gesund ist das auf jeden Fall nicht.

Da ich noch genügend Content für die nächste Zeit gefilmt habe, setze ich mich kurz vor den Computer und schneide einige Videos. Danach mache ich mich daran, mein Bildmaterial zu bearbeiten. Viel mehr als Kontrast und Belichtung ändere ich nicht. Ich sehe aus, wie ich aussehe – mir fällt kein Grund ein, warum ich anderen Menschen etwas zeigen sollte, was es nicht gibt. Natürlich könnte ich mir definiertere Wangenknochen zaubern oder sowas, aber ich verspüre den Drang danach nicht.

Ich erinnere mich daran, dass ich einiges von meinen Make-up-Produkten aussortieren muss, da besagte Dinge entweder leer oder abgelaufen sind. Immer, wenn ich Videos filme, lege ich mir vorher alle Utensilien bereit. Ich will gar nicht wissen, wie viel Zeit es mich schon gekostet hat, zwischen all den unbrauchbaren Sachen das richtige heraus zu wühlen.

Ich beschließe, Susann anzurufen und sie von meinem neuen Dating-Kontakt zu berichten. Dann muss sie sich auch nicht schlecht fühlen wegen Tim, falls sie das noch tut.

Ich stelle mein Handy auf Lautsprecher und arbeite währenddessen weiter. Nach dem dritten Klingeln geht sie ran. »Ah, hi Romy! Wie geht's?«

Ich lächele. »Sehr gut, danke. Dir?«

»Mir auch. Du klingst so gut gelaunt«, sagt sie verschwörerisch.

»Ich bin auch gut gelaunt! Dreimal darfst du raten, was mir gerade passiert ist.«

»Ähm... hast du irgendwas gewonnen?«

»Nicht direkt. Mich hat jemand super nettes angeschrieben!«

Kurz ist es still in der Leitung. Dann: »Ah, das ist doch gut. Ich bin nur etwas verwirrt... ich dachte, du willst dir etwas mehr Zeit lassen, nachdem Tim dich so enttäuscht hat.«

»Nein, im Gegenteil. Warum sollte ich mich denn von solchen Erfahrungen aufhalten lassen?« Mir fällt ein, dass ich ihr die Geschichte mit Silas noch gar nicht erzählt habe, was ich nun nachhole. Susann und ich kennen uns schon seit vielen Jahren. Ich vertraue ihr und es fühlt sich komisch an, ihr sowas vorzuenthalten.

Nachdem ich fertig erzählt habe, schweigt meine Freundin wieder einen Moment. Schließlich sagt sie: »Ich weiß nicht, Romy. Wäre es nicht besser, das alles erst mal sacken zu lassen und dann weiterzumachen? Ich finde, du übernimmst dich generell etwas. Auch mit deiner Arbeit. Ich habe das Gefühl, du bist ständig dabei, irgendwas zu machen. Ruh dich doch auch einfach mal aus! Gesund kann das nicht sein.«

Ihre Antwort irritiert mich etwas. Ich könnte das, was sie da gesagt hat verstehen, wenn ich tatsächlich übertreiben und auf ein Burnout zusteuern würde. Dem ist allerdings nicht so. Ich bin einfach nur gerne beschäftigt, das war schon immer der Fall. Eigentlich kennt mich Susann gut genug, um das zu wissen.

Bevor ich eine Antwort gebe, überlege ich kurz. Dann sage ich: »Ich weiß deine Sorge sehr zu schätzen, glaub mir. Aber ich muss dir trotzdem sagen, dass das so nicht ganz stimmt, was du da sagst. Ich kann dir versichern, dass ich genug Pausen mache und auf mich achte. Ich mag das einfach, viel beschäftigt zu sein, das weißt du ja. Was das Dating angeht: ich fühle mich zurzeit einfach emotional und mental bereit dafür. Ich investiere schon viel Energie darin, jemanden zu finden, das stimmt. Ich will aber nichts forcieren, auch wenn das vielleicht so rüberkommen mag.«

»Gut, wenn du meinst. Ich muss leider auch wieder weiter, sorry. Hat mich gefreut von dir zu hören, tschüss.« Bevor ich mich von ihr verabschieden kann, hat sie auch schon aufgelegt. Verwirrt starre ich mein Handy-Display an, auf welchem vor wenigen Sekunden noch Susanns Name stand. Was war das denn gerade?

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