Z E H N

412 49 36
                                    

Ich liebe es, dieses prickelnde Gefühl beim Aufwachen zu spüren, wenn man weiß, dass einem ein schöner und aufregender Tag bevorsteht.

Es ist endlich Freitag und ich begegne meinem Wecker in der Früh mit einem Lächeln, was an und für sich schon ungewöhnlich genug ist. Heute steht vor meinem Date mit David viel auf dem Plan und ich spüre die nötige Energie, um all diese Dinge in Angriff zu nehmen.

Ich muss Videos für meinen Kanal posten, Kommentare beantworten und über die ein oder andere Kooperationen nachdenken, die mir in letzter Zeit angeboten wurden. Als ich noch ganz neu im Geschäft war, dachte ich, dass ich bei jeder Anfrage positiv antworten müsste, da ich noch nicht die Reichweite habe, um wählerisch zu sein und es ebendieser Reichweite vielleicht gut täte. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, dass das auf gar keinen Fall stimmt. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und daraus gelernt.

Außerdem muss ich noch einige Einkäufe tätigen und meinen Karamell-Kaffee möchte ich eigentlich dabei auch nicht auslassen. Mein erster Reflex ist es schon, darauf zu hoffen, dass Silas heute nicht arbeitet. Doch ich möchte es mir angewöhnen... naja. Drauf zu scheißen.

Und genau deshalb schiebe ich diesen Gedanken einfach weit von mir. Wenn er nicht da ist, gut. Wenn er da ist, ist er eben da. Auch kein Weltuntergang, es spielt absolut keine Rolle für mich.

Zumindest hoffe ich, dass das irgendwann der Wahrheit entsprechen wird. Momentan fällt es mir noch schwerer als mir lieb ist, so zu denken.

Einige Stunden und viele Supermarkt-Warteschlangen später bin ich schließlich an dem Punkt, wo ich mich für gewöhnlich mit einem Karamellkaffee belohnen würde. Doch ich ertappe mich selbst dabei, wie ich den Gang zu meinem Stammcafé hinauszögere, indem ich komplett unnötig anfange, die Badewanne zu putzen – das habe ich erst vorgestern getan. Danach habe ich immer noch nicht genug und mache gleich mit dem Waschbecken weiter. Ich bin so ein Volltrottel.

Anschließend stehe ich etwas unentschlossen in meinem sehr, sehr sauberen Badezimmer und komme zu dem Schluss, dass es sicherlich nicht schaden könnte, nochmal an den Computer zu schauen. Vielleicht könnte ich doch noch das ein oder andere Video schneiden...

Ich ziehe mir einen fliederfarbenen, langen Mantel an (der zu einem wahren Albtraum wird, wenn es darum geht, ihn zu reinigen), damit ich nach der Arbeit am PC nicht noch auf die Idee komme, das Zimmer neu zu streichen, oder irgendwas in der Art. So motiviere ich mich vielleicht etwas, dann auch wirklich vor die Tür zu gehen. Keine Ahnung, ob das Sinn ergibt, aber einen Versuch ist es allemal wert.

Ich setze mich in meinen kleinen Bürobereich, den ich mir extra eingerichtet habe und will den Computer anschalten. Irritiert stelle ich fest, dass sich nichts tut. Normalerweise braucht der nicht so ewig lang...

Plötzlich färbt sich mein Bildschirm leuchtend blau und eine merkwürdige Schrift ziert die Fläche. Ich versuche zu verstehen, was da steht, werde aber nicht wirklich daraus schlau.

Wenige Sekunden später wird der Bildschirm wieder schwarz und ich höre, dass sich mein Rechner ausgeschaltet hat. »Verdammt, wehe du gehst jetzt kaputt!«, murmle ich verzweifelt und versuche, das Ding wieder einzuschalten. Gebannt warte ich darauf, dass sich etwas tut, doch mein Bildschirm zeigt nichts an. Ich kann jedoch hören, dass der Rechner läuft. Wie komisch.

Frustriert drücke ich ein paar Tasten, bewege die Maus, aber es passiert nichts. Irgendwann gebe ich auf und schalte ihn wieder aus. Verzweifelt lege ich mein Gesicht in die Hände und stoße ein gedämpftes Stöhnen aus. »Was für eine elendige Scheiße!«, zische ich wütend. Allein bei dem Gedanken an die Reparaturkosten wird mir schon heiß und kalt. Vor allem kann ich mir damit auch nicht ewig Zeit lassen, da ich meinen Computer für meinen Job brauche.

Ich nehme mir ein paar Minuten Zeit, um runterzukommen. Dann richte ich mich mutlos wieder auf und erhebe mich von meinem Schreibtischstuhl. Vielleicht kann ich später mal im Internet recherchieren, was das Problem ist. Möglicherweise bekomme ich es dann sogar selber hin, die bescheuerte Kiste zu reparieren und spare mir das Geld.

Doch jetzt kann ich ohnehin nichts an dem Desaster ändern. Ein Blick auf die Zeit verrät mir, dass ich noch einen Kaffee holen gehen und mich danach bequem für mein Date fertig machen könnte, ohne in Stress zu geraten.

So ziehe ich mir also meine Schuhe an und schnappe mir meinen Geldbeutel, bevor ich mich zügigen Schrittes aus der Wohnung mache.

Auf dem Weg sind meine Gedanken so voll mit meinem Computer-Problem, dass ich überhaupt nicht an Silas denke. Als ich also in die gemütliche Atmosphäre des Cafés eindringe, bin ich noch immer so in meiner eigenen Welt gefangen, dass es mich wie ein Schwall kaltes Wasser trifft, als ich plötzlich direkt vor ihm stehe. Überrumpelt bremse ich, denn ich wäre tatsächlich fast in den Tresen gelaufen. Er jedoch sieht mich wie die Ruhe selbst nur abwartend an.

»Hi. Was kann ich für dich tun?«

Selbst seine Stimme hat einen so ruhigen, unbeeindruckten Klang. Er wirkt immer so... gefasst. Aber wer weiß, vielleicht ist das auch nur die Fassade, die er alle um sich rum sehen lässt? Eigentlich sollte es mir auch egal sein.

»Ja, hi. Ich hätte gerne–«

»Einen Karamellkaffee?«

Ich öffne und schließe meinen Mund wie ein Goldfisch auf dem Trockenen. Sicher nicht das erste Mal, dass ich das in seiner Gegenwart tue. Er müsste es mittlerweile gewohnt sein.

»Ähm, ja. Danke.«

Kommentarlos macht er sich daran, ihn zuzubereiten. Doch dann blickt er doch kurz über die Schulter und sagt: »Du wirkst etwas durch den Wind in letzter Zeit.« In letzter Zeit. Er sagt es ja gerade so, als würden wir uns öfter sehen. Tun wir zwar auch irgendwie, aber... ach egal.

Ich schüttle den Kopf und winke ab. »Bei mir ist einiges los. Lange Geschichte. Dann kam gerade eben noch dazu, dass mein Computer den Geist aufgegeben hat.«

Da wird er hellhörig. »Ach? Was ist denn passiert?«

Ich erzähle ihm in knappen Worten, was sich zugetragen hat. Als ich fertig bin, sagt er eine ganze Weile gar nichts und kümmert sich weiter schweigend um meinen Kaffee. Da es hier schon immer so war, dass nicht gerade die modernste Technik genutzt wird, benötigen manche Handgriffe mehr Zeit. Silas muss den Siebträger per Hand füllen und mit dem Tamper bearbeiten. Ich fand immer genau das schon sehr sympathisch hier. Es gefällt mir, bei all diesen Handgriffen zuzusehen. Vor allem wenn das bedeutet, Silas' starke, gleichzeitig feingliedrigen Händen dabei zu beobachten, wie sie meinen Kaffee zubereiten. Irgendwie fühlt sich das fast schon verboten an.

Schließlich stellt er mein Getränk vor mir ab und fragt mich dann, ob ich noch was dazu möchte. Ich verneine und bezahle. Als ich mich schon zum gehen wenden will, sagt er auf einmal: »Ich könnte dir vielleicht helfen. Mit deinem Computer.«

HerzschaumWhere stories live. Discover now