V I E R U N D Z W A Z I G

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Jetzt, wo es mir wieder deutlich besser geht, beschließe ich, mal wieder bei meinen Eltern daheim anzurufen. Beide sind in letzter Zeit sehr beschäftigt gewesen, sodass es nicht leicht war, sich zu treffen. Sie renovieren gerade ihre Küche komplett und haben sich ein neues, größeres Sofa besorgt. Zusätzlich gab es wohl auf der Arbeit auch noch eine Menge zu tun, doch den Nachrichten der beiden zu entnehmen, hat sich alles mittlerweile wieder ein wenig beruhigt.

Als ich versuche, meine Mutter per Videoanruf zu erreichen, habe ich keinen Erfolg. Ich probiere es dann bei meinem Vater und er nimmt nach kurzer Zeit ab. Sein Bild erscheint auf meinem Display und er braucht erstmal einige Sekunden, bis er verstanden hat, wo er auf dem Bildschirm hin tippen muss. Ich muss ein Grinsen unterdrücken.

»Hallo, mein Kind«, meldet er sich schließlich. »Hallo, Papa. Ist Mama grad beschäftigt? Sie geht nicht ran.«

»Ja, sie macht heute Überstunden auf der Arbeit. So eine Küche finanziert sich leider nicht von selbst. Du wirst dich also mit mir zufrieden geben müssen.« Ich lache. Der trockene Humor meines Vaters ist einfach unschlagbar.

»Schade, aber besser als nichts«, witzele ich zurück. Er lacht.

»Also, was gibt's?«, fragt er.

»Nichts eigentlich, ich wollte mich einfach nur mal wieder bei euch melden. Wie geht's euch?«

Mein Vater schnaubt. »Uns geht's gut. Die Frage ist viel eher, wie es dir geht?«

Ich stutze. »Warum denn das?«

»Ach, Romy. Ich kenne dich nicht seit gestern. Das ist dir klar, oder?«

»Ähm... ja?«

»Gut. Dann erzähl doch mal.«

Ich zögere. Ich hatte schon immer sehr fürsorgliche und aufmerksame Eltern, weshalb es mich nicht wirklich wundert, dass mein Vater sofort gemerkt hat, dass es mir nicht so wie immer geht und mich etwas beschäftigt. Überrumpelt bin ich natürlich trotzdem ein wenig.

Ich fasse kurz für ihn zusammen, was in den letzten Wochen alles passiert ist, angefangen bei meinem Horror-Date mit Tim, Silas' Rettungsaktion, seiner Antwort, nachdem ich ihn auf einen Kaffee einladen wollte, David und seiner netten, ehrlichen Art, Silas im Café, Silas, wie er meinen Computer repariert, dazwischen Susann und dann wieder Silas.

Als ich fertig bin, merke ich, dass es wohl doch nicht nur bei einer ›kurzen Zusammenfassung‹ geblieben ist. Ich habe so viel und auch schnell geredet, dass mir tatsächlich ein wenig die Puste ausgegangen ist. Belustigt blinzelt mein Vater mich an.

»Bist du fertig?«

Ich verdrehe die Augen. »Ha, ha, sehr witzig. Ja, ich bin fertig.«

»Ich mach nur Spaß, Kind, das weißt du.«

»Ich weiß, ich weiß. Also, was sagst du?«

Er schnauft tief durch. »Puh, gute Frage. Was sage ich? Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich sage. Das ist wirklich eine ganze Menge Zeug, mit dem du dich da rumschlagen musst. Und ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben den Namen Silas so oft in so kurzer Zeit gehört.«

Unwillkürlich spüre ich, wie ich rot werde, was meinem Vater natürlich nicht entgeht.

»Ich gehe davon aus, dass du diesen jungen Mann ziemlich lieb gewonnen hast, richtig?«

»Ja, das hast du sehr scharfsinnig beobachtet.«

»So bin ich eben.«

Ich schüttle lachend den Kopf.

Eine Weile sagt keiner von uns beiden etwas. Irgendwann räuspert sich mein Vater schließlich und macht »Hm«.

»Was ›Hm‹?«, hake ich nach. Er wiegelt den Kopf und zuckt dann die Schultern. »Ziemlich schwierige Situation, würde ich sagen.«

»Ja, das habe ich mittlerweile auch schon gemerkt«, murmle ich bitter.

»Weißt du, Romy, du musst das tun, was gut für dich ist. Wenn Susann nichts dazu beiträgt, dass eure Freundschaft erhalten bleibt, dann ist es auf jeden Fall nicht deine Aufgabe, ihr hinterherzurennen, bis sie es doch kann. Das heißt ja gar nicht, dass sie es unbedingt böse meinen muss. Aber du musst dich priorisieren. Das gilt übrigens auch für diese Silas-Sache. Er mag es auch nicht böse meinen und scheint in meinen Augen auch sehr verantwortungsvoll gehandelt zu haben, wenn es wirklich so ist, dass er nicht zu einer Beziehung fähig ist momentan. Damit erspart er dir zum Beispiel auch eine ganze Menge Mist. Aber...« Erneut zuckt mein Vater die Schultern. »... es ist natürlich auch gut möglich, dass er es sich sehr einfach macht und von vornherein nicht den Mut besitzt, es mit dir zu wagen. So oder so ist es auch hier nicht deine Aufgabe, auf ihn zu warten, bis er seine Meinung geändert hat.«

Ich nicke langsam, etwas überwältigt von den Worten meines Vaters. Normalerweise ist eher meine Mutter diejenige, die gute Ratschläge gibt. Scheint aber, als hätte ich meinen Vater da massiv unterschätzt.

»Ja, du hast recht. Silas hat auch gesagt, dass er nicht will, dass ich auf ihn warte.«

»Richtig so. Du solltest dein Leben leben und nicht in irgendeiner Was-wäre-wenn-Fantasie festhängen.«

Ein tiefer Seufzer entweicht mir. »Ja, das stimmt. Trotzdem ist es manchmal schon echt schwer, sich nicht davon mitreißen zu lassen, was man hätte haben können.«

»Klar, das verstehe ich. Versuch lieber, nach vorne zu schauen. Ich weiß, es ist nicht leicht. Aber versuch's.«

»Mach ich.«

»Und was diese David-Sache angeht: Es ehrt dich natürlich sehr, dass du dir da deine Gedanken gemacht hast und immer noch machst, aber wir sind auch nur Menschen und machen ständig Fehler. Wichtig ist eher, wie man damit dann im Nachhinein umgeht. Und ich finde, du bist gut damit umgegangen.«

»Das freut mich echt zu hören, du hast ja keine Ahnung. Ich komme mir nur manchmal vor wie ein Monster, wenn ich daran denke, wie nett, verständnisvoll und zuvorkommend er eigentlich war.«

Mein Vater schnaubt. »Jetzt hör aber auf, Monster sehen anders aus. Sei nicht so hart zu dir. Du hast am Ende das Richtige getan, das ist es, was zählt. David selbst scheint es ja nicht einmal so schwer zu nehmen, vielleicht solltest du es dann auch nicht tun.«

Nachdem wir aufgelegt haben, starre ich etwas überwältigt vor mich hin.

Je öfter ich darüber nachdenke, desto eher komme ich zu dem Schluss, dass ich mich viel zu stark überfordere. Ich erwarte einfach Dinge von mir selbst, die ich zum jetzigen Zeitpunkt niemals erreichen werde. Es hat absolut keinen Sinn, mich wegen David fertig zu machen oder in Lichtgeschwindigkeit über Silas hinwegkommen zu wollen. Oder auch, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ob ich möglicherweise nicht doch irgendwas falsch gemacht haben könnte, das Susann dazu verleitet hat, mich zu meiden.

Das alles sind unfassbar ungesunde Denkmuster. Es gibt einen Unterschied dazwischen, reflektiert zu sein und konstant den Fehler bei sich selbst zu suchen.

Das mit Silas wird wohl noch eine Weile dauern. Ich sollte mir selbst erlauben, die Dinge zu fühlen, die ich fühle. Ich muss dem Gefühl von Bedauern, Traurigkeit und Wut Raum geben. 

HerzschaumWhere stories live. Discover now