N E U N U N D Z W A N Z I G

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Bei diesen Worten beschleunigt sich mein Herzschlag rapide. Was kommt jetzt?

Mit angehaltenem Atem warte ich darauf, dass er weiterspricht. Schließlich sagt er mit gesenktem Blick: »Ich habe leider keinen Karamell da.«

Mein Hirn braucht einige Sekunden, um diese Wörter zu verarbeiten. Dann wird mir klar, was er da gesagt hat. Kein Karamell... ernsthaft? Und ich dachte schon, jetzt kommt etwas tiefgründiges.

»Das ist kein Problem«, antworte ich, wobei ich mir die Irritation in der Stimme nicht ganz verkneifen kann.

»Äh, okay... ist Vanille auch in Ordnung?« Ich bejahe und Silas macht sich sofort daran, meinen Kaffee zuzubereiten. Ich beobachte ihn bei einigen Handgriffen, kann irgendwann jedoch einfach nicht mehr hinsehen. Wenn ich seinen Rücken betrachte, der mir zugewandt ist, muss ich daran denken, wie es sich wohl anfühlen würde, ihn dort zu berühren. Keine gute Idee.

Wenn ich sein Profil betrachte, kommt mir in den Sinn, mit meinen Lippen über seinen Kiefer zu streichen. Ebenfalls keine gute Idee. Sehe ich seine Hände, die routiniert einen Handgriff nach dem anderen tätigen, stelle ich mir vor, wie diese Hände sich wohl auf meiner Haut anfühlen würden. Definitiv die schlechteste Idee überhaupt.

Nur schreckliche Ideen.

»Bitteschön!« Ich werde gewaltsam aus meinen selbstzerstörerischen Gedanken gerissen, als mein Kaffee vor mir auftaucht. Er steckt in einer kunstvoll getöpferten, sonnengelben Tasse und hat Milchschaum obendrauf.

Nein... um genauer zu sein, ist es Herzschaum.

Mit offenem Mund hebe ich den Blick und begegne Silas' bernsteinfarbenen Augen, die mich ruhig mustern. Er deutet auf die Tasse. »Die, äh, Farbe... erinnert mich an dich.«

Plötzlich werde ich wütend und kann mich gerade noch so davon abhalten, die Tasse an die Wand zu werfen.

»Warum tust du das?«, spucke ich aus.

Das bringt ihn komplett aus dem Konzept. »Warum tue ich... was?«

»Du weißt genau, was ich meine!«

»Ehrlich gesagt nicht... oh. Doch.« Jetzt scheint es ihm zu dämmern und seine Wangen färben sich vor Verlegenheit rot. »Ich habe nicht daran gedacht. Es tut mir leid.«

»Es tut dir leid?«, speie ich aus. Seine Entschuldigung macht mich eigenartigerweise noch wütender, als wenn er sich in irgendeiner Form dafür gerechtfertigt hätte. »Was um alles in der Welt tut dir leid, hm? Dass du mit meinen Gefühlen spielst? Dass du mir erst sagst, was du für mich empfindest um mich im selben Atemzug abzuweisen? Dass du uns beiden nicht einmal eine Chance gibst? Los, sag es mir!«

So wütend habe ich mich selbst selten erlebt. Normalerweise ist es so gar nicht meine Art, derart die Beherrschung zu verlieren. Doch nun ist der Moment gekommen, in dem all die angestaute Frustration, der Schmerz, die Wut, aus mir herausbrechen.

»Alles davon. Alles tut mir leid«, sagt Silas.

»Hör auf dich zu entschuldigen, verdammt!«

»Warum?«, will er wissen, jetzt wieder etwas lauter geworden. Auch in seiner Miene kann ich nun neben Schuldgefühlen Frustration erkennen. Wieder befeuert er meine Wut.

»Weil du derjenige bist, der es so kompliziert macht!«

»Das stimmt nicht!« Er wird lauter.

»Doch! Und du weißt es ganz genau!« Ich werde noch lauter.

Er wirft die Hände in die Luft. »Schön, vielleicht hast du recht! Ich bin derjenige, der es kompliziert macht, meinetwegen! Mir ist auch klar, dass ich diese Situation mit uns alles andere als elegant angegangen bin. Aber ich habe einen Grund für meine Entscheidung!«

Ich knurre genervt. »Klar, der Grund ist, dass du zu feige bist, es überhaupt zu versuchen!«, zische ich. Für einen kurzen Moment kommt mir der Gedanke, dass ich vermutlich entsetzt wäre, könnte ich mich selbst so sehen.

Stille breitet sich in der Küche aus. Irgendwo in der Ferne höre ich einen Motor aufheulen.

»Das ist nicht wahr«, durchbricht Silas' leise Stimme die dichte Stille.

»Doch, ist es!«, erwidere ich alles andere als leise.

Er macht einen Schritt auf mich zu. Ich merke am Rande, dass ich noch immer die Tasse in der Hand halte, bin jedoch gerade nicht dazu imstande, sie zur Seite zu stellen. Zu sehr nehmen mich meine Emotionen und Silas' intensiver Blick gefangen.

»Romy. Bitte.«

Ich habe keine Ahnung, worum er mich bittet. Darum, aufzuhören? Zu gehen? Zu bleiben?

Sanft nimmt er mir die Tasse aus der Hand und ich sehe, dass der Schaum bereits eingefallen ist. Das Herz aus Zimt ist mittlerweile merkwürdig verzerrt.

»Romy. Ich–«

»Hör auf, meinen Namen zu sagen! Hör einfach... auf.«

Ich wende mich von ihm ab und beginne mit geschlossenen Augen, meine Schläfen zu massieren.

»Okay, ich... es tut mir–«

»Wage es ja nicht!«

»Ja. Okay.«

Erneut macht sich Stille zwischen uns breit. Es ist so still, dass es schon fast wieder laut ist. Ich bilde mir sogar ein, mein eigenes Blut in den Ohren rauschen zu hören.

»Hey. Darf ich... darf ich es erklären?«

»Hast du doch schon«, erwidere ich müde.

»Vielleicht nicht genug«, entgegnet er daraufhin. Humorlos schnaube ich. »Also, für mich war das definitiv genug.«

»Ich will, dass du mich verstehst.«

»Dann werden wir wohl nicht weiterkommen«, brumme ich trocken.

»Es würde mir viel bedeuten, wenn du mich ein letztes Mal anhörst.«

Ich lasse meine Hände von meinen Schläfen sinken und öffne wieder die Augen. Dann, ganz langsam, wende ich mich ihm wieder zu. Er sieht mich weder bittend, noch flehend an. Silas hat einen seelenruhigen Ausdruck in den Augen, der dennoch von einer solch tiefen Traurigkeit gezeichnet ist, dass es mir unwillkürlich kalt den Rücken herunterläuft.

Ob das der Grund ist, aus dem ich schließlich nicke und gewillt bin, mir anzuhören, was er sagt, weiß ich nicht. Vielleicht. Doch mein Gefühl sagt mir, dass es mehr mit der Endgültigkeit in seiner Stimme zu tun hat.

»Ich denke, dafür sollten wir uns hinsetzen.«

Verwirrt blinzele ich. Mir liegt schon ein ›Warum?‹ auf der Zunge, doch ich schlucke es herunter. Resigniert zucke ich also einfach die Schultern und folge ihm ins Wohnzimmer, wo wir zuvor schon waren.

Als wir uns diesmal in die Sessel setzen, ist das Sonnenlicht, welches von der Seite durch die Fenster fällt, schon deutlich goldener. Bald ist es Abend.

Eine Weile sehen wir uns einfach nur an. Irgendwann atmet er tief durch. Dann beginnt Silas, zu erzählen.

HerzschaumNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ