S I E B Z E H N

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Ich vermisse Susann.

Es ist nicht so, dass wir beste Freundinnen sind, aber ich würde sagen, wir spielen schon eine nicht unwesentliche Rolle im Leben des anderen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Wie verhalte ich mich richtig? Lasse ich ihr noch etwas Freiraum oder gehe ich wieder auf sie zu? Ich habe einfach das Gefühl, dass alles, was ich mache, falsch sein könnte.

Bei unserem letzten Gespräch hat sie noch davon erzählt, dass sie gerade etwas durchmacht und es ihr leid tut, dass sie mir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mehr sagen kann. Bei der Verabschiedung hat sie merkwürdig kurz angebunden gewirkt. Ich war und bin immer noch einfach nur verwirrt. Eigentlich weiß ich, dass sie kein Problem mit mir hat, doch es ist wirklich schwer, nicht auf so eine Idee zu kommen.

Ich wünsche, es gäbe irgendeine Möglichkeit, den Kontakt wieder zu ihr herzustellen. Susann war zwar nie unbedingt die sensibelste Person, die ich kenne, aber so schroff habe ich sie tatsächlich bisher noch nicht erlebt.

Ich könnte ihr schreiben. Das ist für sie vielleicht nicht so aufdringlich wie ein Anruf und sie weiß trotzdem, dass ich mich um sie sorge und an sie denke.

Ich beschließe, meine Idee in die Tat umzusetzen und verfasse eine kurze Nachricht: »Hey Susann, ich hoffe, dir geht es gut. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns mal wieder sehen könnten, aber es ist auch okay, wenn es nicht klappt. Falls du jemanden zu reden brauchst... du weißt Bescheid, ich bin erreichbar.«

Bevor ich es mir anders überlegen kann, schicke ich die Nachricht ab. Kaum, dass ich mein Handy aus der Hand gelegt habe, gibt es einen Signalton von sich. Schnell greife ich danach, in dem naiven Glauben, dass es Susann ist. Doch natürlich ist sie es nicht, ich hätte mich schon sehr gewundert, wenn sie so schnell antworten würde.

Mein Display zeigt Silas' Namen an. Ich ignoriere den rapiden Anstieg meines Herzschlags und lese die Nachricht. »Morgen hätte ich Zeit, wenn dir das passt.« Fast muss ich grinsen bei seinem trockenen Text. Ich bin es gewohnt und habe mittlerweile verstanden, dass Silas nicht der Typ für weite Ausschweifungen und tonnenweise Emojis ist.

Ich antworte: »Klar, perfekt. Danke dir nochmal!«

Eigentlich erwarte ich nicht, dass er mir darauf noch antwortet – so wie ich ihn kenne. Doch er überrascht mich gleich doppelt. Einerseits damit, dass überhaupt noch was kommt und andererseits wegen des Inhalts: »Kein Ding. Ich arbeite heute. Karamellkaffee geht heute aufs Haus, wenn du willst.«

Ich blinzele ungläubig. Ist das noch derselbe Kerl, der fast schon einen Ausschlag bei der Vorstellung bekommen zu haben schien, mit mir einen Kaffee zu trinken? Und jetzt will er mir sogar einen ausgeben?

Perplex antworte ich: »Sehr nett, gern!« Verwirrt lege ich mein Handy weg und blinzele vor mich hin.

Sind wir jetzt etwa sowas wie Freunde geworden?

...

Ich stelle erfreut fest, dass das Café sehr gut besucht ist, als ich darauf zugehe. Mich freut es für Silas, dass der Laden läuft.

Ich stelle mich bei der sehr langen Schlange an und versuche einen Blick auf das heutige Angebot an Gebäck zu erhaschen. Ich kann immer noch einige Sitzplätze ausmachen, obwohl es so voll ist. Im Notfall setze ich mich auch nach draußen, immerhin ist das Wetter heute gut und allzu kalt ist es ebenfalls nicht.

Als ich drankomme, lächelt Silas minimal, was schon was heißen muss, da er eher sparsamer mit seinen Gesichtsausdrücken ist. Seine Augen funkeln sogar ein ganz bisschen. »Romy, hallo.« Mein Name aus seinem Mund jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich habe doch echt nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Eine Frau mit der gleichen Schürze wie er bedient neben mir am Tresen einen anderen Kunden. Obwohl hier so eine hektische Atmosphäre herrscht, scheint Silas – wie immer – die Ruhe selbst zu sein.

Er bereitet meinen Kaffee zu und währenddessen entscheide ich mich für eine Zimtschnecke. Als beides vor mir liegt, setze ich schon dazu an, ihm das Geld für das Gebäck zu geben, doch Silas winkt ab. Ich hätte die Zimtschnecke zwar gern gezahlt, aber ich finde es auch sehr sympathisch, dass er da nicht so kleinkariert ist.

Ich nehme beides mit und setze mich in eine Sitznische für zwei Personen. Mir gefällt der Platz, da man Privatsphäre hat, aber dennoch ganz gut dazu in der Lage ist, den Raum zu überblicken.

Ich setze bereits an, um einen Schluck meines Karamellkaffees zu nehmen. Dann halte ich inne. Ist das ein...? Ich kneife die Augen zusammen. Das ist ein Herz. Auf meinem Milchschaum. Ich denke, es ist aus Zimt.

»Und? Habe ich das gut hinbekommen?«, fragt Silas, der sich soeben mir gegenüber in die Sitznische hat gleiten lassen. Ich bekämpfe den Drang, ihn einfach nur überfordert anzustarren und kichere stattdessen. Keine Ahnung, ob das die bessere Option war, denn bei dem Klang meines viel zu hohen Lachens würde ich mir am liebsten die Ohren zuhalten.

»Soll das ein Herz sein?«, frage ich, um ein Grinsen bemüht. Ich erwarte fast, dass er es abstreitet und sagt, er hätte etwas ganz anderes in den Schaum ›zeichnen‹ wollen, doch er sagt einfach nur: »Ja, das war zumindest der Plan. Konnte man es erkennen?«

»Äh, ja! Also ich habe es erkannt. Wirklich hübsch!«

Ich lasse den Blick durchs Café schweifen, um nicht Silas ansehen zu müssen. Ich stelle fest, dass es schon wieder deutlich ruhiger geworden ist – wahrscheinlich der Grund, warum er sich die Zeit nehmen konnte, sich zu mir zu setzen.

Doch dann bleibt mein Blick an einer sehr schönen, dunkelhaarigen Frau mit großen blauen Augen hängen. Sie sitzt einige Meter diagonal von uns entfernt... und starrt uns an. Nicht besonders nett, wenn ich das richtig einschätze. Ihr Blick huscht immer wieder kurz zu Silas, der mit dem Rücken zu ihr sitzt. Doch mich durchbohrt sie für längere Zeit am Stück mit ihren Augen. Irritiert wende ich mich ab.

»Links hinter dir sitzt ein Stück entfernt eine Frau, die die ganze Zeit zu uns schaut. Sie sieht ziemlich angepisst aus. Kennst du sie?«

»Das ist meine Ex-Freundin«, antwortet er unumwunden.

Was um alles in der Welt?

HerzschaumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt