Z W E I

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Zwei hellbraune Augen fixieren mich. Es ist der Typ von vorhin. Der große Mann, der vorhin in das Restaurant gekommen ist. Stirnrunzelnd scheint er auf eine Antwort von mir zu warten. Ich bin jedoch komplett überfordert, öffne und schließe meinen Mund wie ein Goldfisch.

»Kennst du den?«, fragt Tim irritiert. ›Nein, keine Ahnung wer das ist‹, will ich schon antworten, doch dann geht mir endlich ein Licht auf. Dieser Typ versucht wahrscheinlich mich zu retten. Er hat gesehen, wie unangenehm mir das Date mit Tim ist.

Anders könnte ich es mir jedenfalls nicht erklären, denn ich kann tatsächlich nicht behaupten, dass ich ihn kenne.

Endlich schaffe ich es, mich zusammenzureißen und antworte Tim: »Ja, er ist auch in dem Theaterkurs hier... ähm...«

»Um die Ecke beim Stadttheater«, hilft mir der Mann. Seine Stimme ist samtig und tief, er würde also tatsächlich keinen allzu schlechten Schauspieler abgeben. Nicht, dass ich mich mit sowas auskennen würde.

»Genau, heute ist Probe! Ich bin in letzter Zeit so durcheinander, dass ich es vergessen haben muss, sorry!«, versuche ich eine möglichst überzeugende Darstellung abzugeben. Dem Gesicht des Fremden nach zu urteilen scheint mir das lediglich in Maßen zu gelingen. Doch Tim sieht tatsächlich so aus, als würde er es mir abkaufen.

Der Typ schüttelt den Kopf. »Das ist nicht das erste Mal, dass du eine Probe verpasst. Wenn wir wollen, dass die Aufführung am Ende was wird, müssen wir alle an einem Strang ziehen!«

»Ich weiß, es tut mir leid«, murmle ich und weiß gar nicht, wie mir geschieht. Heute Morgen habe ich noch gedacht, dass das ein relativ ereignisloser Tag wird. Nun sitze ich hier in dieser Situation, die an Absurdität kaum zu überbieten ist.

Tim räuspert sich. »Okay, bedeutet das, dass wir hier fertig sind?«

»Ja. Sorry.« Ich klinge absolut leidenschaftslos, als ich das sage. Doch mein schauspielerisches Talent habe ich für den heutigen Tag bereits aufgebraucht. Er räuspert sich erneut. »Nun gut, ich finde das zwar nicht sehr schön von dir, aber... was will man machen?«

»Können wir dann los?«, fragt der fremde Typ jetzt und ich willige erleichtert ein. »Klar, los geht's.«

Als wir schon fast die Tür erreicht haben, ruft Tim noch hinter meinem Rücken: »Wollen wir denn nicht Nummern austauschen?« Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört und trete nach draußen.

Da das Restaurant eine Glasfensterfassade besitzt, müssen wir tatsächlich den Weg zum Theater einschlagen.

»Okay, ähm... danke?«, versuche ich, ein Gespräch zu beginnen. Der Typ nickt nur knapp. »Das hat verdammt unangenehm ausgesehen. Ich konnte es nicht mit meinem Gewissen ausmachen, dich da mit diesem Vollpfosten sitzen zu lassen.«

Ich betrachte ihn von der Seite, wobei ich ein wenig den Kopf in den Nacken legen muss. Er sieht... wirklich nicht schlecht aus. Wobei ›nicht schlecht‹ eine maßlose Untertreibung ist. Seine Augen sind der Hammer, das weiß ich bereits, seit er dieses Restaurant betreten hat. Doch als ich seine scharfe Kieferpartie und das kurze, pechschwarze Haar sehe, schmelze ich nochmals dahin und drohe, zu einer Pfütze auf dem Gehweg zu werden. Wow.

Nach einer Weile kommen wir schließlich zum Stehen. Das ist wohl der Moment, um sich zu verabschieden.

»Danke, nochmal. Ja, das war... danke«, stammele ich nicht sonderlich geistreich. Gott, wie peinlich. Doch der Kerl sieht mich nicht einmal an, sondern fixiert nur den Gehweg vor uns. »Halte ich dich irgendwie auf?«, frage ich, denn mein schlechtes Gewissen meldet sich abrupt. Er schüttelt knapp den Kopf. »Nein. Aber ich muss dann auch weiter.« Okay, gesprächig scheint er nicht gerade zu sein...

»Gut, dann... danke nochmal! Hat mich gefreut«, sage ich und lächle ihn breit an. Er schaut mir nun doch kurz in die Augen und nickt einmal kaum merklich. Ein undefinierbarer Ausdruck liegt in seinem Blick, doch bevor ich ihn festmachen kann, wendet er sich schon ab und geht.

Während ich ihm hinterher sehe, verspüre ich einen leisen Stich des Bedauerns. Seine breiten Schultern stecken in einer abgewetzten schwarzen Jeansjacke, die Hose ist aus dem gleichen Material, sieht allerdings neuer aus. Er hat einen wirklich schönen Gang. Sehr schade, dass nicht er mein Date heute war.

Und bevor ich weiß, was ich tue, höre ich mich selbst rufen: »Warte mal!« Er bleibt stehen und dreht sich stirnrunzelnd zu mir um. Die geraden schwarzen Brauen kräuseln sich dabei leicht.

Ich überbrücke die Distanz zwischen uns hastig und schaue zu ihm hoch. Er sieht mich immer noch abwartend an und mir wird klar, dass ich jetzt etwas sagen sollte. Toll gemacht, Romy.

»Ich wollte dich nur fragen, ob... also, ob ich dir mal einen Kaffee ausgeben könnte? So als Dank für die Rettung heute?«, bringe ich schließlich sogar einigermaßen flüssig und mit fester Stimme hervor. Um Himmels Willen, dieser Typ beschert mir im wahrsten Sinne des Wortes weiche Knie. Ich erinnere mich nicht an das letzte Mal, dass mich ein Mann so aus der Ruhe gebracht hat – auf die gute Art versteht sich.

»Kein Interesse. Sorry. Und danke trotzdem.«

Verdattert starre ich ihn an. Dann dringt das Gesagte von ihm zu mir durch. Er hat Nein gesagt.

Ich winke betont gleichgültig ab. »Kein Problem, war nur so eine Idee. Ich... naja, habe eben ein schlechtes Gewissen gehabt, dass du deine Zeit für so einen Schwachkopf investieren musstest, deshalb–«

»Du brauchst dich nicht schlecht fühlen. Ich habe die Zeit nicht in ihn, sondern dich investiert.«

Ich könnte heulen! Warum ist er so toll? Kann er nicht einfach ein Blödmann sein, damit ich diese Zurückweisung leichter schlucken kann?

Kurz entsteht eine unangenehme Stille, dann verabschiedet sich der Mann nochmal durch ein knappes »Tschüss« und geht, diesmal etwas schneller. Vermutlich hat er Angst, dass ich ihm wie eine Irre hinterherrennen und nochmal zu einen Treffen überreden könnte. Doch diese Sorge hätte er sich auf jeden Fall sparen können, denn ich habe doch einen gewissen Stolz in mir, der das verhindert hätte.

Reichlich entmutigt trete ich meinen Heimweg an, wobei ich eine Sprachnachricht an Susann verfasse. »Was, um alles in der Welt, hast du mir denn da angedreht?! Und woher kennst du diesen Tim überhaupt?« Ich fahre damit fort, ihr von dem schrecklichen Abend zu berichten und all dem Müll, den er von sich gegeben hat. Das Ereignis mit dem Fremden, der mich aus der Situation gerettet hat, erwähne ich nur flüchtig. Zu frisch ist noch der Kratzer an meinem Ego.

Als ich die Sprachnachricht beendet habe, stecke ich seufzend mein Handy in die Tasche. Warum ist es so verdammt schwer, ein gutes Date zu finden? Und weshalb sind scheinbar alle guten Typen entweder vergeben, glücklich alleine, oder nicht interessiert?

HerzschaumWhere stories live. Discover now