Erster Versuch, neu anzufangen

106 5 3
                                    

Nimmt es einem Albtraum seinen Schrecken, wenn man weiß, dass es nur ein Traum ist?

Amanda stand wie jede Nacht mit den Füßen an der Wassergrenze. Schaumige Gischt spülte um ihre nackten Füße. Es waren kleine Füße. Kinderfüße. Ihre Zehen versanken im grünen Sand, der dem Meer vor ihr seinen Namen gab. Jede Nacht war es der selbe Sturm, der sich am Horizont zusammenbraute und Amanda war wieder vor Angst erstarrt. Wie an jenem Tag vor über zehn Jahren. Der Regen kam wie ein eisiger Vorhang auf sie zu, tränkte ihr dünnes Hemdchen. Sie hatte schon vor Jahren aufgegeben, aus diesem Albtraum fliehen zu wollen. Egal wohin sie sich drehte, es war das gleiche Bild, egal wie sehr sie versuchte aufzuwachen, es gab kein Entkommen.

In der Ferne bäumten sich bedrohliche Wellen auf. Das kleine Boot kam endlich in Sicht. Ein gutes Zeichen. Jetzt war der Albtraum fast vorbei. Nur noch ein, zwei Blitze, dann würde der Kahn in Zwei brechen und mit seiner gesamten Besatzung in der Tiefe verschwinden.
Amanda sah stumm zu. Schreien änderte nichts.
Sie konnte nur warten, bis die Stimme ihres Vaters aus dem Meer aufstieg, verzweifelt, hilflos. Erst wenn er ihren Namen rief, konnte Amanda endlich aufwachen.

Da war nichts als endlose Schwere, als Amanda träge die Augen aufschlug. Es war wie mit allem Schrecklichen: Wenn man es nur oft genug sah, stumpfte man früher oder später ab.

Sie schob sich aus dem Bett, nur um mit ihren Füßen in einer eisigen Pfütze zu landen. War das ihre Magie gewesen, oder war das morsche Fenster schon wieder undicht? Warum fragte sie sich das überhaupt noch? Das war ihr letzter Morgen an der Whiteshore.

Die neuen Klamotten fühlten sich seltsam und fremd an, aber Amanda bereute den Kauf nicht. Ihr war gerade noch rechtzeitig aufgefallen, dass sie nichts außer der Schuluniform und ausgetragenen Trainingssachen besaß. Jetzt schob sie den kleinen Koffer, der alle ihre Habseligkeiten enthielt, auf den stillen Flur hinaus. Niemand stand vor Sonnenaufgang auf, aber Amanda mochte die Einsamkeit.

Niemand, der sie beim Frühstück störte. Niemand der sie fragte, wie sie nach diesem Albtraum jetzt barfuß am Stand entlang laufen konnte. Niemand, dem sie erklären musste, dass das hier nicht der gleiche Strand war, den sie jede Nacht sah.

Amandas Blick glitt über das ruhige Wasser. Die Sonne kündigte ihren Aufgang an und färbte die Wellen blau und grün. Wenn man die Szene so sah, würde man kaum glauben, an welchem Ort man hier war.
Muir. Die letzte Insel im Grünen Meer, die sich noch dem Untergang widersetzte.

Amandas Weg führte sie an der Grasnarbe entlang, die Klippen hinauf, von denen man in den endlosen Krater sehen konnte. Das Meer hatte ihn nur wenige Tage nach seinem Entstehen in Anspruch genommen. Hätte man nicht die Gedenktafel errichtet, man könnte denken, es sei eine normale Bucht.

Jeden Morgen laß sie die Namen.
Erinnerte sich, wofür sie das alles tat. Bis sie seinen Namen erreichte. Sein Name war das einzige, was Amandas Finger zittrig werden ließ. Vorsichtig entfernte sie den Sand aus den Buchstaben.
„Für uns", flüsterte sie und schloss für einen Moment ihre Augen. „Für uns werde ich stark genug sein."

Gerade als die Sonnenstrahlen die Gedenkstätte erreichten, wand Amanda sich ab. Ihr letztes Lebewohl. Von jetzt an würde es keine Fehler mehr geben.

Auf dem Weg zurück zur Schule begegneten Amanda die ersten müden Gesichter. Niemand schlief gut auf Muir, nur manche versuchten härter als andere, auszuschlafen. Man nickte sich stumm zu, das Zeichen des Verständnis. Auch wenn jeder einen Bogen um die Hexe machte, so war da doch kein böser Wille. Sie alle kannten Amanda, wussten, wohin sie ging. Warum sie ging.
Amanda nahm es ihnen nicht übel. Ihre Angst. Ihre Scham. Sie machte ihnen keinen Vorwurf daraus. Nicht jeder war für diesen Kampf gemacht und das war okay. Sie würde stark genug für sie alle werden. Sie würde es ihnen beweisen.



______________________________

Ich sage nicht, dass das hier wirklich der neue Anfang ist. Ich wollte nur mal mit der neuen Amanda herumprobieren. Was denkt ihr nach diesem Prolog?

(Making of) Fate - New MagicTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang