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Amanda schreckte aus dem unruhigen Schlaf hoch. Ein Albtraum. Mal wieder.

Mit einer Hand wischte sie das schweißnasse Haar aus ihrem Gesicht. Wild und kraus bauschte es sich um ihren Kopf und sah mit seinem Übergang von Schwarz zu Seeschaumtürkis aus wie das wilde Meer in ihren Träumen. Egal wie fest sie die Zöpfe machte, jede Nacht fand ihr Haar einen Weg sich zu befreien. Aber sie war auch nicht hier um gut auszusehen. Sie war hier, um stark zu werden. Stärker, als alle anderen.

Obwohl der Schlafmangel keine gute Voraussetzung dafür war.

Seit Wochen waren die Nächte nicht mehr erholsam und Amanda hatte es aufgegeben, sich gegen die Albträume zu wehren. Was brachte es schon? Außer noch mehr Stress.

Eine schnelle Dusche und ein herzhaftes Frühstück brachten deutlich bessere Ergebnisse, also zwang sie sich aus dem Bett und ins Bad. Ihre Locken verbarg sie unter einer altmodischen Duschhaube, weil es Stunden oder Tage dauern konnte, bis die hüftlangen Locken getrocknet waren. Diese Zeit hatte sie heute nicht.

*

"Hey Manda", trällerte eine Stimme hinter der Hexe, kaum dass sie im Speisesaal Platz genommen hatte.

Bereit jemanden anzuschnauzen, fuhr Amanda mit dem Kopf hoch. Elena. Ihre ehemalige Zimmernachbarin.
"Hey", grummelte Amanda.

Sie mochte Spitznamen oder Abkürzungen nicht. Aber Elena war eine Ausnahme. Sie hatte Probleme mit dem Sprechen gehabt, als sie nach Whiteshore gekommen war und hatte noch lange den ersten Buchstaben von Wörtern verschluckt. Ein vergifteter Apfel hatte ihre Stimmbänder gelähmt. Fast wie im Märchen. Nur das auf Muir keine Prinzen kamen und einen retteten. Auf Muir kämpfte jeder mit Händen und Füßen um sein eigenes Leben. Elena hatte ihren Kampf gewonnen, das konnte Amanda respektieren.

"Ich habe gehört, heute ist es soweit. Bist du aufgeregt?"

Amanda ließ die Gabel sinken und sah auf ihren Teller mit Gemüse und Reis. Sie hatte sich keine Zeit gelassen, damit ihr Gehirn sich diese Frage selber stellen konnte. Seit dem letzten Brief hatte sie Tag um Tag einen noch strengeren Zeitplan eingehalten, als zuvor. Aufstehen, Frühstücken, das erste Training vorm Unterricht. Unterricht, Mittagessen, Training bis die Mittagspause vorbei war. Noch mehr Unterricht, Hausaufgaben und ein letztes Mal Training, bis sie vor Erschöpfung ins Bett fiel. Immer die leise Hoffnung, endlich zu erschöpft zu sein für einen Traum.

"Ich weiß nicht", gestand Amanda schließlich. "Es ist ein seltsamer Gedanke, Whiteshore zu verlassen. Muir zu verlassen." Langsam rührte sie das Gemüse unter den Reis. "Ich bin hier geboren und aufgewachsen." Das waren die wenigsten Schüler, die auf Whiteshore unterrichtet wurden. Aber sie alle kamen von Inseln, die Muir sehr ähnlich waren. Inseln, die langsam aber sicher von den Kreaturen aus der Tiefe verschlungen worden waren und unbewohnbar zurückgelassen wurden. "Das ist das erste Mal, dass ich diese Insel verlasse."

"Also ich würde sofort die Koffer packen und gehen", meinte Elena verträumt. "Und dann auch noch Darkwood. Das ist die beste Schule, die ich kenne!" Mit einem Finger in ihrem Schälchen mit Honig träumte Elena weiter. "Das ist die absolute Elite. Stell dir vor, du hast sogar die Chance, eine Partnerschaft einzugehen!"

Amanda schüttelte sich bei dem Gedanken. "Danke, ich verzichte."

"Das sagst du nur, weil die Partnerschaften hier so mies sind. Aber normalerweise ist es etwas Wunderbares."

"Und das weißt du woher?" Amanda grinste schon wieder halb.

Elena meinte es nicht böse. Sie war eine Erdfee und dadurch nicht sehr glücklich, auf einer Insel mit sehr begrenzter Landfläche zu leben. Natürlich träumte sie davon, aufs Festland gerettet zu werden. Und wenn ihr Retter dabei auch noch attraktiv war, wäre das nur ein weiterer Bonus.

(Making of) Fate - New MagicWhere stories live. Discover now