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Zwar wusste ich nicht wie, doch ich überstand das Abendessen, irgendwie. Nun sass ich in dem dunkelblauen Sessel, der in meinem Zimmer platziert war, und las mir die Aufzeichnungen der Kriege mit meinem Heimatland durch.

1726: Feindesland griff an. Sagte wir hätten die Sonnengöttin verärgert. 183 Tote. Unsere Königin und unser König überlebten.

1794: Wir griffen an. Sie hatten uns einen blauen Kristall geschenkt, eine billige Nachahmung. 21 Tote. Unsere junge alleinstehende Königin hat uns in den Sieg geführt, jedoch einen Arm verloren.

1863: Der alte König des Feindeslands griff an, ohne Grund. 50 Tote. Unser Königshaus blieb unversehrt, der alte König fiel.

1955: Wir griffen an, wir fanden einen Spion unter unseren engsten Beratern. 330 Tote. Die Eltern des Kronprinzen des Feindeslands fielen. Der Ehemann unserer Königin erhielt eine tödliche Verletzung.

2004: Wir attackierten, sie hatten uns eine Kriegserklärung geschickt. 23 Tote. Der König des Feindeslands fiel, unsere Königin wurde in einem abgelenkten Moment von einer falschen Wache erdolcht.

Bei dem letzten Teil wurde ich traurig. Es hatte also vor nicht allzu langer Zeit noch einen Krieg gegeben. Kriege waren hier nicht einfach etwas der Vergangenheit.
Mit einem Knoten im Bauch klappte ich das Buch zu, es hatte keinen Sinn jetzt noch weiterzulesen, dafür war es zu spät.
Es klopfte. Überrascht stand ich vom Sessel auf, legte das Buch auf meinen Nachttisch und öffnete die Tür.

«Alles gut?», ich blinzelte ein paar Mal schnell hintereinander, dann nickte ich und liess ihn eintreten.

«Du hattest bloss etwas wässrige Augen, da dachte ich, ich sollte vielleicht besser nachfragen», der junge Mann liess sich in dem Sessel nieder, in dem ich bis eben gesessen hatte und sah mich mit einem besorgten Blick in den Augen an.

Seinen Blick ignorierend zupfte ich mein Nachtkleid zurecht und liess mich auf die Kante meines Bettes sinken, «Bist du nervös, wegen der Krönung? Oder spukt etwas oder jemand anderes in deinem Kopf herum?», er liess mir die Wahl und so konnte ich nicht anders, als zu seufzen.

«Klar bin ich nervös, mir wird ein ganzes Königreich zu Füssen gelegt und ich weiss nicht einmal, ob mein König mich auch nur annähernd liebt. Ganz zu schweigen, wie er auf meinen 'Hofverrat' reagieren wird–», ich malte Gänsefüsschen mit meinen Fingern in die Luft, «–und ich könnte wetten, dass er mich einsperren wird. Sogar Georgia, die ihn schon länger kennt als ich, vermutet das stark. Inzwischen bin ich mir auch ziemlich sicher», der Lykaner mit den blauen Augen hörte meinem Sorgenklagen ruhig zu und sagte kein Wort.

«Ich bin vom Feindesland, verdammt», flüsterte ich so leise wie nur möglich, «Und ausserdem will Kyran nicht aus meinen Gedanken verschwinden», fügte ich fast noch leiser dazu.

«Wehe du sagst das weiter», drohte ich und sah meinen Leibwächter streng an, dieser grinste jedoch nur und schüttelte den Kopf, zog dann den unsichtbaren Reissverschluss an seinem Mund zu, verschloss das Ende und warf den imaginären Schlüssel hinter seine Schulter.

«Meine Lippen sind versiegelt.»

❥︎ ❥ ❥︎

«Andrea? Kann ich kurz mit dir reden?», sprach mich Kyran am nächsten Tag im Flur an und bereitwillig lenkte ich meine volle Aufmerksamkeit auf ihn.

Ich nickte, «Sicher, wo willst du reden?», er nahm zaghaft meine Hand und zog mich mit sich in sein Arbeitszimmer, wo er mir bedeutete mich auf die Couch oder den Sessel am Pult, ihm gegenüber, zu setzen.

Als ich mich ihm gegenüber gesetzt hatte und er es sich ebenfalls in seinem Sessel bequem gemacht hatte, begann er zu sprechen, «Ich möchte mit dir über die Krönung reden. Wie du weisst, ist diese schon in ein paar Tagen und bis wir dafür bereit sind, brauchen wir noch ein paar Kleinigkeiten. Zu aller erst sollten wir überprüfen, ob dir das Kleid passt und so gefällt, wie es ist. Ausserdem müssen wir entscheiden, wer zuerst gekrönt wird, du oder ich?», bei Erwähnung des Kleides nickte ich verstehend, mit seiner Frage überlegte ich kurz, ehe ich ihm eine Antwort gab.

«Ich würde sagen, du solltest zuerst gekrönt werden, dann hast du deinen Thron. Wenn du dann König bist, könntest du sogar nochmals überdenken, wen du als deine Königin haben willst», erklärte ich und meine eigene Aussage brannte in meinem Herzen wie giftige Säure, doch ich musste es sagen.

«Gut, dann werde ich zuerst gekrönt. Willst du die Krönung auch gleich als Hochzeit sehen, oder lassen wir die weg, wir können sie auch danach irgendwann nachholen», stellte er seine nächste Frage und wieder wog ich den Kopf hin und her.

«Vielleicht holen wir die Hochzeit später nach? Wer weiss, ob wir überhaupt heiraten werden», lachte ich, bemüht die Situation etwas aufzulockern und ihm eine Wahl zu geben, ob er mich nun überhaupt zur Frau wollte oder doch nicht.

«Dann wäre das also auch entschieden, Blumen brauchst du aber. Schon Ideen?», ich schüttelte den Kopf und daraufhin drückte mir mein Seelengefährte eine Art Katalog in die Hand in der Aberhunderte Blumengarten festgehalten worden waren. Jede mit Namen, Farbe und sogar Bedeutung, ob sie giftig waren oder was für eine heilende Wirkung sie hatten.

«Den Katalog kannst du mitnehmen, damit du dir deinen perfekten Blumenstrauss zusammenstellen kannst. Die Beschaffung der Blumen ist kein Problem, tob dich ruhig aus», überfordert nickte ich einfach nur und legte den Katalog, der mehr einem Lexikon für Blumen ähnelte, auf meinen Schoss.

«Hast du noch Wünsche? Bisher habe ich nur meine eigenen Ideen und Wünsche aufgeschrieben und geäussert, hast du also noch welche?», fragte er nachdem er alles mögliche auf seinem Blatt notiert hatte und mich neugierig ansah.

«Wenn meine Familie da sein könnte, wäre das grossartig», flüsterte ich schliesslich und spiele mit meinen Händen, sah auf sie hinunter und mied seinen Blick, der den meinen suchte.

«Super, ok», damit stand er auf und wie in einer Trance folgte ich ihm einfach, sodass ich wenige Augenblicke später wieder vor meinem Zimmer stand, diesmal allein.

Was mache ich denn jetzt?
Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, räusperte sich jemand hinter mir, «Ich hab bemerkt, dass du immer noch nervös bist und wollte dir diese Anemone schenken», Erik hielt mir aufmunternd lächelnd die künstliche Blume hin.

Dankend nahm ich die Anemone entgegen und schlug im Zimmer sogleich die Bedeutung nach, natürlich erst, nachdem ich sie an meinem Schminktischspiegel befestigt hatte.

Anemone: Erwartung, Hoffnung, Aufrichtigkeit. Jedoch auch Vergänglichkeit, Verlassenheit, Enttäuschung.

Reagan -Little Ruler-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt