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Als ich die Tür zu meinem Schlafzimmer aufstiess, fiel mir als erstes das hellblaue Kleid auf meinem Bett auf.
Hatte mir Kyran etwa ein Kleid besorgt?
Aber wie? Er wusste meine Grösse nicht.
Meine Gedanken drohten sich zu überschlagen und so beschloss ich das Kleid als letztes anzusehen. Zuerst war die Frisur dran.
Dutt? Oder ein Zopf? Oder nur die obere Hälfte der Haare flechten?
Ich entschied mich für den Zopf. Gute fünf Minuten verbrachte ich damit meine Haare schön ordentlich zu flechten.
Als Nächstes überlegte ich mir, ob ich ausser meiner Kette noch weiteren Schmuck anlegen sollte.
Und wie ich mich so im Spiegel betrachtete, fiel mir auf, dass der tropfenförmige Edelstein an meinem Hals wieder seine gewohnte, rote Farbe angenommen hatte.

Es klopfte, «Andrea?», Kyran stand draussen und ich war froh noch etwas anzuhaben.

«Ja?», fragte ich und ohne dass ich es ihm gestattet hätte, öffnete er die Tür und trat ein.

«So weit bist du erst? Zack, zack, beeil dich», meinte er als er mich einmal von oben nach unten gemustert hatte, «Hübscher Saphir um deinen Hals übrigens», dann verschwand er wieder aus der Tür.

Saphir? Aber eben war er doch noch rot?
Kopfschüttelnd lief ich zum Kleiderschrank und holte meine etwas schickeren Schuhe heraus.
Silber oder schwarz?
Überlegend hielt ich das eine Paar mit der einen und das andere Paar mit der anderen Hand abwechselnd hoch.

«Kyran, such du aus. Silber oder schwarz?», öffnete ich die Tür und hielt ihm die beiden Schuhpaare vor die Nase.

«Was hat das mit mir zu tun? Schwarz, passt besser zum Sarg später», sollte das seine Art von Humor sein?

«Falls du sterben solltest», flüsterte er in einem Ton, der klang als wolle er mir auf die Sprünge helfen, den Witz zu verstehen.

Ich blickte auf seine Schuhe hinab, «Schwarz, das passt ja dann prima zu deiner Seele», damit zog ich die Türe zu meinem Schlafzimmer wieder zu und hörte ihn im Gang tatsächlich kurz leise belustigt ausschnauben.
Doch da konnte ich mich auch geirrt haben.

Die silbernen Schuhe versorgte ich wieder fein säuberlich, bevor ich die schwarzen anzog und dann mein jetziges Kleid ablegte, um das hellblaue Kleid auf meinem Bett anzuziehen.
Als ich es anhatte, betrachtete ich mich kurz im Spiegel. Das Kleid war wirklich hübsch, die weiten Ärmel verliehen dem ganzen etwas anmutiges.

«Bist du endlich fertig?», öffnete der Braunhaarige die Tür erneut und nickte bei meinem Anblick.

«So wie es aussieht ja. Von wem ist das Kleid?», es war also nicht von ihm. Ein Teil von mir hatte sich gewünscht es sei von ihm, ein anderer Teil wollte nur so schnell wie möglich weg von Kyran.

«Warum willst du wissen von wem das Kleid ist?», fragte ich zurück.

«Damit ich weiss, ob ich die Person feuern kann oder nicht», kam es wie aus der Pistole geschossen.
Feuern? Warum?
Weil es schlecht aussah oder weil es zu gut aussah für seinen Geschmack? Ich beliess es dir Frage nicht auszusprechen.

«Und jetzt komm, das Abendessen beginnt bald», damit ging er aus meinem Zimmer voran und führte den Weg zum Essaal an, gefolgt in gedrosseltem Tempo von mir.

Sobald wir eintraten, sahen alle zu uns, «Ah, Kyran, Andrea, schön euch zu sehen. Setzt euch, setzt euch! Ich hoffe du magst diese Speisen, Andrea», zum Ende hin nickte Erik mir lächelnd zu, ehe jeder sich die gewünschten Menge von den jeweiligen Gerichten auf den Teller schöpfte und damit auch die Erlaubnis zu essen da war.

Da mir nichts besseres einfiel, setzte ich mich links neben Kyran, Calandra sass mir gegenüber, während Alexej seinem Sohn gegenübersass und Erik hatte es sich auf seinem Platz am Kopfende des Tisches, links von mir, bequem gemacht.
So assen wir alle eine Weile schweigend, bis Alexej ein Wort an seinen Sohn richtete und damit automatisch unserer aller Aufmerksamkeit hatte.

«Deine Mutter und dein Grossvater wissen schon Bescheid, aber was hälst du davon, wenn wir für Andrea Unterricht organisieren?», fragte er Kyran, ehe er in meine Richtung sah.

«Ich schlage vor, dass wir dir Unterricht erteilen, damit du das Leben am Hof lernst. Was meinst du?», einen kurzen Blick zu Kyran werfend nickte ich langsam und zustimmend.

«Gut, dann wäre das geklärt», keiner sagte ein Wort.
Jeder kaute nur in Ruhe sein Essen und hing seinen Gedanken nach.
Ich war fast fertig mit meinem Essen, als der Vater von Kyran erneut das Wort ergriff, seine beiden Augen, von denen eines Grün und eines Braun war, sahen zu mir. Er hatte die braunen Haare, die Kyran wohl von ihm geerbt hatte.

«Ich will, dass Sheila an den Hof kommt», sein Blick glitt von mir zu seinem Sohn, «Falls Andrea der Rolle nicht gewachsen sein sollte.»

Ein Plan B, falls ich der Rolle der Kronprinzessin nicht gerecht werden sollte.
Kyran sagte zu der Aussage seines Vaters nichts, er zeigte keine Reaktion. Es sah fast so aus, als wäre es ihm schlichtweg egal.
Calandra sah ihren Mann mit einer Mischung aus Empörung und Unverständnis. Ihr Blick wanderte zu mir, ihre bernsteinfarbenen Augen liessen sie in Kombination mit ihren langen, roten Haaren aussehen wie eine Göttin, wunderschön. Die Wellen in ihren Haaren verstärkten diese Wahrnehmung nur.

«Schön, da wir das nun auch geklärt haben, verabschiede ich mich hiermit und wünsche euch allen eine gute Nacht», seine Stimme war kühl und monoton, er erhob er sich von seinem Platz und verliess den Saal.

Eine eisige Stille herrschte und am Rande bemerkte ich, wie bald darauf auch Kyran aufstand und den Tisch verliess.
Nur um der starren Atmosphäre zu entrinnen erhob auch ich mich, verneigte mich kurz vor Erik und Calandra und verliess dann eilig den Saal. Beinahe rannte ich schon die Treppe zum ersten Stock hoch, wo unter anderem mein Zimmer lag, doch ich mahnte mich zur Langsamkeit.

Sobald ich jedoch die Zimmertür meines Schlafgemachs hinter meinem Rücken geschlossen spürte, gab es für die einzelnen kleinen Tränen kein Halten mehr.
Das einzige, was mich davon abhielt, drauf los zu heulen, war die Tatsache, dass ich wusste, dass sie Türen nicht schalldicht waren und Kyran mich so gehört hätte. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.

Reagan -Little Ruler-Where stories live. Discover now