19.1: Doch, muss ich.

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Mittlerweile saß Chander wieder am Steuer, dankbar für jeden Windzug, der sich dazu herabließ durch die geöffneten Fenster einzusteigen und die dicke Luft zu vertreiben. Anatol und ihr Gast hingen in den Sitzen wie nasse Säcke, bleich um die Nase, zittrig und verschwitzt. Dagegen spürte Chander die Magieschwankungen oder das Leiden des Landes, wie es Anatol ausgedrückt hatte, lediglich als dumpfes Pochen hinter seiner Stirn.

Die Sonne versank gerade hinterm Horizont, da schälte sich eine kleine Ansammlung Häuser aus dem Nebel über der Grasebene. Im Zentrum des Dorfes lag eine Kirche, die sich mehr als dreimal so hoch wie das höchste Haus dem Himmel entgegenstreckte. Lächerlich, eigentlich, wenn man außer Acht ließ, dass Hize Teil des Kreises aus Städten und Dörfern war, der sich um den Einschlagskrater des Reinenkometen und den Tempel in seiner Mitte erstreckte.

Sie hielten am Rand des Dorfes, mit einer Gruppe hektisch winkender Menschen zur einen und einer in der Dunkelheit endlos erscheinenden Wüste zur anderen Seite.

Auch ohne die übertriebenen Gesten wäre Chander nicht weitergefahren. Nicht blind in einen Sandkasten, den es eigentlich gar nicht geben sollte. Magische Lichtkugeln erhellten eine Linie, der man in die Sandwelt folgen konnte. Eine der leuchtenden Bälle in der Ferne zerplatzte, was Chander die Stirn runzeln ließ. Er stützte sich mit einem Arm auf dem Fensterrahmen ab und wandte sich der Gruppe Schaulustiger zu. „Guten Abend. Wir sind auf dem Weg zum Tempel. Wurde dieser Pfad dafür angelegt?"

Bei seinen Worten bildete sich auf einigen Gesichtern ein resigniertes Lächeln. Ein Mann trat schließlich vor. Näher am Shuttle konnte man die Dreckschlieren auf seinem Gesicht und seiner Kleidung sehen. Sandkörner rieselten bei jeder Bewegung aus seinen Haaren. „Guten Abend. Zum Tempel wollen wir hier alle, aber ich muss Sie leider enttäuschen: Seit dem Tod des Reinen von Kamsk, spielt die Welt verrückt." Er deutete mit dem Zeigefinger Richtung Sandberge. „Hier sollte normalerweise ein Wald stehen. Na ja ..." Die erhobene Hand nährte sich seinem Gesicht, wo Finger über einen Dreitagebart strichen. „Das tut er auch manchmal. Manchmal befindet sich aber auch nur Wüste hier oder eine Eislandschaft. Und gestern erst war es ein gewaltiger See. Glücklicherweise bleiben die Dörfer und Städte am Rand des Kraters von diesem Irrsinn verschont. Das muss ein Zeichen –"

„Also warten wir, bis hier wieder ein Wald steht?" Chander sah seine gesamte Zeitplanung komplett aus dem Fenster fliegen.

Der Mann wiegelte den Kopf hin und her. „Egal, welche Welt entsteht: Freundlich ist sie nicht. Selbst mit einem Shuttle brauchte man von hier aus früher eine halbe Stunde zum Tempel. Was heute bedeutet: genug Zeit, dass ... einiges schief gehen kann. Wir sind allerdings dabei, einen sicheren Weg zu bereiten. Helfende Hände sind immer gern gesehen." Er schenkte ihm ein Lächeln. Prediger sahen genauso aus, wenn sie um Spenden für den guten Zweck baten.

„Was habt ihr vor?"

„Wir setzen Absorbierer ein, um eine konstante Schneise zu bereiten." Prediger nickte Richtung Pfad und seufzte.

Erst jetzt erkannte Chander, dass sich unter dem Licht der Leuchtkugeln kein Sand befand, sondern sich Gras und Laub im Wind wog.

„Die wilde Magie mag sie nur nicht sonderlich. Wir müssen die Absorbierer ständig reparieren. Glücklicherweise sind in unserer Gruppe ein paar Lunarier. Dank ihnen und ein paar Kämpfern haben wir bis jetzt nur wenige Verluste zu verzeichnen." Stolz blickte er in die Runde hinter ihm. Einer Handvoll Menschen wurde von nickenden Leuten auf den Rücken geklopft.

Chander räusperte sich, um die Aufmerksamkeit zurück auf sich zu lenken. „Und wie lange wird das noch dauern?"

„Das können wir nicht sagen. Wir arbeiten hier in Hize bereits eine Woche am Pfad und sind fast bis zur Hälfte gekommen. In anderen Städten haben wir nicht mal über ein Viertel geschafft, ich bin zumindest zuversichtlicher." Er lächelte, wie ein Pfarrer seine Schäfchen anlächelte. Es konnte alles oder nichts bedeuten.

Der Tanz von Sonne und MondKde žijí příběhy. Začni objevovat