13.1: Im Krieg gibt es keine Helden.

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Eine Woche später reihte sich einer der wenigen Leute, die wegen ihres Mangels an magischen Fähigkeiten als untauglich aussortiert worden wären, in eine Schlange. Besagte Schlange führte zu einem Massen-Shuttle mit dem hart umkämpften Kriegsgebiet direkt an der Grenze zu Cyndara als Ziel. Wie bescheuert das war, musste ihm niemand sagen, gab es doch genug Deserteure, die gerade den umgekehrten Weg gingen. Die Stimmung um ihn herum reichte von erstarrter Entschlossenheit zu Nervosität, die die Leute auf ihren Plätzen tänzeln ließ, als müssten sie dringend auf die Toilette. Drei Positionen hinter ihm löste sich eine Person aus dem Schutz der Reihe und sprintete davon.

Wassertröpfchen sammelten sich über der Hand von einem der Männer, die auf dem Boden vor der Rampe zum Massen-Shuttle warteten. Älter als die anderen Soldaten, mit einer Brandnarbe auf seiner Wange und ersten blauen Verästelungen der Überbelastung am Hals. Er visierte den Flüchtenden mit grimmiger Miene an, ließ die Wassermurmeln immer schneller ihre Runden drehen, sie verschmelzen, zu einem immer dünner werdenden Kreis.

In der Zeit hatte der Flüchtende nicht ganz die Hälfte des Weges zum Zaun, der den asphaltierten Platz umgab, zurückgelegt. Man konnte ihn hysterisch schreien hören: „Ich kann das nicht! Ich will nicht sterben! Ich will nicht –"

Die fadendünne Wasserlinie trennte den Kopf des armen Tropfs mit Hochdruck von seinen Schultern. Blut spritzte der aufgehenden Sonne entgegen.

„Noch jemand, der lieber gleich sterben will?" Jetzt wieder ausdruckslos glitt Brandnarbes Blick über die Wartenden. „Dacht ich mir. Dann kommt in die Gänge. Los!"

Der Übernächste in der Reihe ließ vor Anspannung seine Identifikations-Karte fallen und murmelte Entschuldigungen, die Frau direkt vor Chander schien vollkommen ruhig und stolzierte die Rampe mit wiegenden Hüften zum Shuttle hinauf, als wäre es ein Catwalk.

Chander hielt seine Soldaten-ID an das Lesegerät, das ihm ein Soldat hinhielt. Gelangweilt knibbelte dieser mit dem Daumennagel an einer Unebenheit am Nagel des Zeigefingers. Das Gerät gab einen unzufriedenen Ton von sich und leuchtete rot.

„Noch mal", meinte der Mann, ohne aufzuschauen.

Erneut legte er die Karte auf, entschied sich dagegen, zu irgendwelchen Göttern zu beten. Mit demselben Ergebnis: ein Versagenston und ein wütendes Lämpchen. Jetzt hatte er die unwillige Aufmerksamkeit des Überprüfers doch. Außerdem die von Brandnarbe.

„Was ist da los?", wollte der alte Soldat wissen und setzte sich zu ihnen in Bewegung. „Denkt ihr, wir können heute noch starten?"

Mit Nachdruck presste Chander das Ding ein drittes Mal gegen das Gerät. Auf dem Plastik bildeten sich Schweißseen. Was man wohl mit jemandem machte, der sich zu der Grenze schmuggeln wollte? Dank des grünen Lichts würde er die Antwort wahrscheinlich niemals erfahren.

„Nichts, Major. Die Dinger waren doch schon am Anfang des Krieges Fossile." Er schüttelte den Ausleser und etwas darin kullerte hin und her.

Schnell betrat Chander das Shuttle, bevor ihm irgendeine Entität einen klischeehaften Stolperstein in den Weg legen konnte. Er setzte sich auf einen Sitz, dessen Polsterung kaum noch zu spüren war, an der Wand des nackten Gefährts und schnallte sich an.

Weitere Zwischenfälle gab es nicht, das Shuttle füllte sich stetig.

Zuletzt stieg der Major ein. Sein Blick blieb an Chander hängen und sein Mund verzog sich. Zu einer anderen Zeit hätte Brandnarbe wahrscheinlich ausgespuckt, um seine Verachtung zu verdeutlichen. „Fühlst dich komisch an, Soldat", murmelte er dann nur und machte sich auf in den vorderen Bereich, der von einer Tür abgetrennt war. Warme, kaffeeduftschwangere Luft wehte von dort zu ihnen.

Spürte er seine Magielosigkeit, war der grobe Kerl so feinfühlig? Wieso kam er sich wie ein verkrüppeltes Reh vor, das einem alten Wolf vor die Nase gelaufen war? Wieso war ein Major überhaupt hier und nicht an der Front? Einen Eindruck hinterlassen hatte er jedenfalls.


Es war eine Tagesreise in Stille. Vierzig Frauen und Männer, die man zum Henker eskortierte, in einem Konvoi aus fünf Fahrzeugen mit nochmal so vielen Insassen.

Als er am Zielort ausstieg, hatte er Kopfschmerzen und vergessen, was ihn dazu getrieben hatte, so etwas Dummes zu tun. Der Boden war hartgefroren, die Kälte bissiger, aber Schnee lag auch an der Grenze zu Cyndara nicht. Ähnlich zu Landra war der Himmel grau, hing nur tiefer, wollte die kahle Ebene und die Häuser zerdrücken.

Gelandet waren sie ein paar Meter vor dem kleinen Dorf Aresal. Das Militär hatte es zweckentfremdet und es zu ihrem Stützpunkt gemacht. Neue Containerlager waren aus dem Boden gestampft worden und viereckige Panzer-Shuttle parkten in breiten Straßen. Vereinzelt waren Soldaten zu sehen, einige vernarbt und mit Verbänden, manche mit eingebrannten Energieleitlinien auf der Haut, die ihnen kaum eines Blickes würdigten. Sonst wirkte das Dorf intakt, unberührt vom Krieg.

Mit seinem Trupp näherte er sich der blauen Schutzblase über dem Lager. Erneut wurden ihre Identitäten überprüft und er hielt als einer der Ersten dem neuen Überprüfer seine Karte hin.

Der jedoch schüttelte den Kopf. „Magische Signatur."

„Wie bitte?" Chander verschluckte sich an den Worten.

„Wir identifizieren Sie über Ihre magische Signatur. Das Schätzchen ist gestern frisch angekommen." Er hob einen Würfel in die Luft und war es offenbar noch nicht müde, stolz darüber zu lächeln. „Setzen Sie einfach etwas Magie frei und der kleine Wunderwürfel wird Sie bestätigen."

Chander ging seine Optionen durch und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: Irgendeine Entität musste ihn wirklich hassen. So lieb er konnte, lächelte er zurück. Und rannte dann los, an der Kuppel entlang.

Ein Blick über die Schulter zeigte ihm den vernarbten Major, der die rechte Hand erhoben hatte und ihm hinterhergrinste, und eine junge Frau neben ihm, deren Schläfe eine Brandnarbe aufwies.

Mit einem Druck aktivierte Chander seine Schutzhülle. Sie zerfiel zu glitzernder Asche, als Magie sie verbrannte. Seine Absorbierer liefen heiß.

Er schaute zurück. Jetzt zuckten auch die Mundwinkel von Brandnarbe-Zwei. Der Major schickte das Wasser mit Hochdruck los. Es schnitt auf der Höhe von Chanders Hals eine Kerbe in eine halbdurchsichtige goldene Wand.

„Immer das gleiche", erscholl eine heisere Stimme von der anderen Seite der Kuppel. „Erst köpfen, dann Fragen stellen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, Major Imres: Ich finde die Reihenfolge immer noch nicht gut."
Eine in einen schwarzen Umhang gewickelte Gestalt stand auf halbem Weg zwischen Chander und Major Imres.
„Ich kenne den Mann", fuhr Umhang fort und wog seine Worte ab, „er ist ein alter Freund von mir. Lasst ihn rein, ich verbürge mich für ihn."

Die Situation hatte etwas Unangenehmes, wie Chander da an den neuen und alten Soldaten vorbeilief, aber solche Begebenheiten zauberten zuverlässig ein Grinsen auf seine Züge. Das hatte ihm schon oft eine Faust im Gesicht eingebracht und auch hier schauten die Frauen und Männer nicht begeistert.

Umhang winkte ihm mit einer behandschuhten Hand zu und machte eine einladende Geste Richtung eines schwarzen Shuttles, bevor er ihm die Tür zur Rückbank öffnete und selbst vorne einstieg. Der hintere Shuttlebereich war durch einen schwarzen, undurchsichtigen magischen Wall vom vorderen getrennt, aber wenigstens konnte er nach draußen schauen. Sie steuerten auf die Mitte des Dorfes zu, wie sich herausstellte auf das mit Fahnen, Schnörkeln und leeren Blumenkästen verzierte Rathaus, wenn man den Lettern darauf glauben schenken konnte. Allerdings fuhren sie daran vorbei zu einem kleineren Haus, das sich in den Schatten des größeren Hauptgebäudes schmiegte. Weiß, einstöckig, zwei Frontfenster und auf keine Weise bemerkenswert. Sobald sie hielten, sprang Umhang raus und öffnete Chander wieder die Tür, winkte ihm, ihm zu folgen, ins Innere des Hauses.


Der Tanz von Sonne und MondWhere stories live. Discover now