12.2: Schon wieder?

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Er stieg die Stufen der nächsten HUS-Station herab, hielt die Augen in den zwielichtigen Gängen offen und passierte die dank des Krieges ausgeschalteten Barrieren unbehelligt. Bei seinem Gleis angekommen lehnte er sich an eine Wand und lauschte. Außer dem Pochen seines Herzens und einem leisen Phantomschmerz darin verfolgte ihn scheinbar nichts. Durch die Nase sog er ein paarmal tief Luft ein, behielt sie in sich und entließ sie durch seinen Mund.

Jetzt erst ließ er den Blick über den Wartebereich schweifen. Eine einzige Lampe kämpfte darum, Trost zu spenden, der aber kaum etwas erreichte.

Aus der Dunkelheit ihm gegenüber schälte sich eine zusammengekauerte Gestalt, die ihn aus zusammengekniffenen Kinderaugen musterte. Chanders Blick schien das Kind zu beunruhigen, trieb es schließlich auf die nackten Füße. „Was gibt's da zu glotzen, Opa?" Feuer loderte um kleine Fäuste auf, erhellte ein dreckiges, schmales Gesicht, das genauso gut einem Mädchen, wie einem Jungen gehören konnte.

„Was sollen diese Anspielungen auf mein Alter heute", murmelte Chander nur und begann, in seinem Rucksack herumzukramen. „Ab einem Alter, wird man als alt abgestempelt, das ist mir schon klar. Aber ich bin ganz sicher noch nicht in diesem gewissen Alter. Also wirklich." Er rollte eine Dose über den Boden, auf das Kind zu, das mehrere Meter zurückwich. Chanders Lachen echote durch die Tunnel und er klappte den Mund schnell wieder zu. „Das ist etwas zu Essen, Kind."

Kinds Blick huschte zwischen der Dose und Chander hin und her. „Dafür tu ich dir aber keinen Gefallen, Opa." Mit einem Satz hatte es die Konserve in der Hand und war mit wenigen weiteren im Tunnel verschwunden, durch den Chander erst gekommen war. Flink war es, wenn auch nicht besonders mächtig. Vielleicht würde es überleben. Vielleicht hatte er gerade auch nur eine Essensration verschwendet.

Sein HUS fuhr ein, aber er wartete, bis sich das Transportmittel zur Abfahrt bereit machte, bevor er als letzter Passagier hereinsprang und sich einen Platz nahe der Tür suchte. Im selben Abteil saßen nur eine alte Oma und zwei Anzugträger. Mager, blass und mit Dreitagebart. Die vielleicht einmal maßgeschneiderten Kleidungsstücke an Ellenbogen und Knien geflickt, was zur neuen Mode geworden war.

„Denkst du nicht, bei uns wird das gleiche passieren wie in Kamsk?", fragte der Linke gerade. „Wir sollten Landra verlassen und weiter in den Norden ziehen. So weit weg von der Front wie möglich."

„Das Ganze ist doch noch nicht mal bestätigt", antwortete Rechts. Sein Knie hüpfte auf und ab. „Vielleicht versuchen sie nur, uns Angst zu machen. Wenn wir uns am Wiederaufbau beteiligen, können wir uns hier richtig was aufbauen und –"

„Kamsk? Denkst du wirklich, Kamsk will uns Angst machen, indem ihr Reiner explodiert und das halbe Land auslöscht?"

„Vielleicht ist das ein Täuschungsmanöver", entgegnete Rechts und verdrehte die Augen. „Aufnahmen kann man fälschen! Vielleicht planen sie was im Hintergrund. Oder Cyndara hat das ausgeheckt. Was weiß denn ich."

Links schnaubte. „Ich gehe lieber auf Nummer sicher. Hast du dir unseren Reinen mal angesehen? Er war ja schon immer ein halbes Hähnchen, aber jetzt ist er ein ganzes Wrack! Hat nur immer noch dieses dumme Lächeln im Gesicht ... Wenn es hart auf hart kommt, hat er bestimmt eine kürzere Zündschnur als Cyndaras Reiner. Wenn er was drauf hätte, wäre der Krieg schon lange vorbei. Nein, wenn die Reinen nicht wären, wäre der Krieg erst Recht schon lange vorbei und dabei nicht halb so zerstörerisch ausgefallen!"

„Anstatt hier herumzusitzen und sich zu beschweren", platzte es aus Chander heraus, „kannst du ja an die Front gehen und den Reinen unterstützen!"

Die beiden starrten ihn an. „Warum sollten wir?" Links stand auf. „Es ist die Pflicht des Reinen, Genrivien und sein Volk zu beschützen. Ich kann nichts dafür, dass wir so ein mangelhaftes Exemplar abbekommen haben."

Der Tanz von Sonne und MondOnde histórias criam vida. Descubra agora