17.1: Wenn du willst.

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„Wir wollen keinen Ärger", begann Chander und schob sich vor Anatol, Handflächen offen nach vorne zeigend. „Wir sind auf der Durchreise. An der Grenze zu Kamsk entlang Richtung Norden."

Mit erhobener Hand gebot sie ihm, zu schweigen, und hielt ihm dann ebenjene Hand hin. Chander ergriff sie.

„Noch mal", forderte sie. Ein Metallreif an ihrem Oberarm tauchte ihre kalten Züge in kälteres blaues Licht.

Entweder bluffte sie oder das Ding war wirklich ein Lügendetektor. Er wollte sein Glück nicht herausfordern. „Wir sind auf der Durchreise. An der Grenze zu Kamsk entlang nach Norden."

„Deserteure?"

„Mein Freund hier kann nicht mehr weiterkämpfen, auch wenn er das anders sieht." Er musste sich gar nicht anstrengen, seiner Stimme einen nachdrücklichen, harten Klang zu verpassen. Jetzt zog er Anatol doch etwas vor, schob einen Ärmel hoch, was den Reinen dazu veranlasste, die Steine am Boden zu zählen.

Die Frau presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

Er ließ den Ärmel wieder an seinen Platz rutschen und die Narben verdecken. „Und ich bin ... Lunarier", fuhr Chander fort und strich mit dem Daumen über die Ringe seiner freien Hand. „Ziemlich ohne Magie und auch als Absorbierer nicht zu gebrauchen."

Bei seinen Worten tauschten die Männer und Frauen Blicke aus.
Doch weiterhin war es nur die Anführerin, die sprach. „Sie wollten euch nicht gehen lassen, hm?"

Chander nickte. „Richtig. Wenn sie uns in die Finger bekommen, sind wir tot."

„Ist es Zufall, dass ihr hier seid?" Sie neigte den Kopf etwas zur Seite und verlagerte das Gewicht auf ihr rechtes Bein. „Gerade hier, bei einer Zuflucht für Lunarier?"

„Nein", gab Chander zu. „Ich bin nicht Hals über Kopf aufgebrochen. Wir haben nicht vor, euch zu verraten. Wir wollen nur ein paar Stunden rasten und dann weiter."

„Verfolgt man euch noch?" Nach Chanders Nicken fuhr sie fort. „Wie dicht ist man euch auf den Fersen?"

„Wir haben einen Verfolger in Odetha gesehen."

„Carter, Simmons? Sucht eine Truppe zusammen und patrouilliert heute zusätzlich zu den üblichen Wachen die Umgebung." Sie ließ Chander los und hob die Schultern. „Ihr beide könnt hierbleiben, wenn ihr wollt."

Ein Mann der Gruppe stöhnte und schüttelte den Kopf. „Du bist viel zu großherzig. Vor allem zu diesem Magier." Um seine Worte zu unterstreichen, zog er seine Sonnenbrille von seiner Stirn auf die Nase. Was in Hinsicht der hinter den Hügeln verschwindenden Sonne lächerlich wirkte. Andererseits hatte Sonnenbrille recht; einen eigenen Sinn für Gemeinschaft und Zusammenhalt war eine Schwäche vieler Lunarier. Chander hatte nie die Chance gehabt, sie sich anzueignen.

„Du siehst doch, dass er von seiner Magie aufgefressen wird", fauchte Anführerin zurück. „Falls nicht, setz die Sonnenbrille ab und zieh deine normale Brille auf. Hab etwas Respekt vor einem Krieger, der über seine Grenzen hinaus gekämpft hat. Und an einen Bruder, der ihm zur Seite steht." An Anatol gewandt fuhr sie sanfter fort: „Es liegt keine Schande darin, aufzuhören, bevor es einen umbringt. Man sieht, dass du mehr als genug gegeben hast."

Anatol sah nur weiter zu Boden, weshalb Chander einsprang. „Er ist anderer Meinung. Hätte ich ihn nicht überzeugt, mit mir zu kommen, er würde immer noch an vorderster Front kämpfen." Sie machten sich in Richtung Lager auf den Weg.

„Vielleicht könnten wir das verstehen, wenn wir ein zu Hause hätten, für das es sich zu kämpfen lohnt", spuckte ihnen eine andere, jüngere, Frau vor die Füße.

Der Tanz von Sonne und MondWhere stories live. Discover now