1.2: Nach draußen?

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Silbern blitzte der Zaun vor ihnen auf.

„Kannst du mich nach draußen bringen?"

„Nach draußen?" Anatols Stimme glich einem Hauch. „Ich weiß nicht. Ich darf nicht raus. Und ich müsste Magie verwenden, die ich nicht sehr oft benutze."

„Stehen bleiben!" Ein Shuttle näherte sich ihnen von rechts mit geöffnetem Dach. Der Wachmann auf dem Beifahrersitz hatte seine Waffe erhoben, doch sein Kollege fuhr ihn verbal an und die Waffe wurde gesenkt.

Inkompetente Idioten. „Ich muss hier raus", sagte Chander. „Ein paar Leute sind hinter mir her, wegen eines Missverständnisses."

„Vielleicht kann ich mit ihnen reden und wir können eine Lösung –"

„Wenn sie mich erwischen, sperren sie mich ein. Für immer. Oder bis zu meinem baldigen Tod. Ich brauche Zeit, um herauszufinden, wie es zu diesem Missverständnis kam. Ich brauche Beweise."

„Das klingt schlimm ..." Anatol runzelte die Stirn und wickelte eine Haarsträhne um seinen Finger. „In Ordnung. Ich helfe dir."

Der Reine hob ruckartig das Kinn. Vor ihnen drehte sich die Metallmauer nach rechts ein wie die Bedeckung einer Thunfischdose, die man öffnet. Ein Blitz blendete Chander für eine Sekunde, dann flackerte die, das Anwesen umspannende, blaue Schutzkuppel in die Sichtbarkeit, bevor sie goldene Risse bekam und kollabierte. Stücke regneten zu Boden und lösten sich zu Sternenstaub auf.

Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie die goldenen Ringe in Anatols Augen glommen. Man sah ihm den Magiegebrauch sonst nicht an. Während sich Chanders Härchen alleine bei dem Gefühl der Energie in der Luft aufstellten, ein kaltheißes Kribbeln durch seinen Torso floss. Rudimentäre Angst, tief verwurzelt in seiner DNS. Er leckte sich über die Lippen.

„Verdammt noch mal!", fluchte ein Wachmann. „Bleiben Sie stehen. Mister Nye ... Bitte."

Zu jeder anderen Zeit hätte Chander darüber gelacht.
Erst als sie draußen waren und sich der Zaun hinter ihnen wieder schloss, die Kuppel über alles legte, war er sich sicher, ohne ein Zittern in der Stimme reden zu können. „Wie kommt es, dass wir nicht auf dieser Magiekuppel zerschellt sind?"

„Ich habe den Absturz gesehen. Wärt ihr auf der Kuppel aufgekommen, hätte sie das als Angriff klassifiziert und euch pulverisiert. Ich habe sie kurz unterbrochen. Und wollte auch euren Fall abbremsen. Allerdings ist das mit Luft immer so eine Sache ... Man zerquetscht Dinge viel zu leicht. Und das Risiko wollte ich gering halten. Tut mir leid." Er war auf dem Beifahrersitz zusammengesunken und zupfte an den Fusseln seines Bademantels.

„Nein. Schon gut. Danke." Seine Gänsehaut war noch nicht verflogen. „Und jetzt wisch dir endlich diesen grünen Schleim aus dem Gesicht."

Während sich Anatol die Gesichtsmaske herunterzupfte, überquerten sie den Grünstreifen, der zwischen Mauer und Wald lag. Im Wald selbst standen die Bäume gerade weit genug auseinander, dass das Golfshuttle hindurchpasste. Zuträglich war die Tatsache, dass der Wald künstlich angelegt worden war, um gezielt Blicke abzuwehren, und damit eine gewisse Regelmäßigkeit besaß.

Die Sonne blitzte zwischen den Baumstämmen auf, bevor sie gänzlich verschwand und sich eine dunkle, kühle Decke über sie legte.


Am anderen Ende des Waldes führte ein steiler Abhang hinab zu einer Ansammlung von Häusern. Zweistöckige Dinger mit viel Holz und Grünzeug an der Fassade und abgerundeten Dächern, grau beschienen vom Mond. Nur vereinzelt brannte Licht in Fenstern, während über den paar Hauptstraßen leuchtend orange Kugeln schwebten. Chander wägte seine Optionen ab. Die Entscheidung war klar, bedachte man, dass ihn diese Nicht-Geschwindigkeit in den Wahnsinn trieb.

Der Tanz von Sonne und MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt