18.1: Vater hat mich ausgebildet.

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Was ihn weckte, war ein Heizgebläse, das ihm direkt ins Gesicht wehte und beim Blinzeln die Augen trocknete. „Gah! Was soll d..." Eine Sekunde fragte er sich, ob er einer seltsamen Art von Erblindung unterlegen war. Er starrte, bis das Bild einen Sinn ergab. Zumindest so viel Sinn wie möglich. Draußen hatte sich die Welt in eine Winterwunderlandschaft verwandelt. „Es hat geschneit? Wie lange habe ich geschlafen?"

„Nein, der Schnee war einfach von einem Moment auf den anderen da. Dafür hagelt es. Und ... ungefähr drei Stunden."

„War das Sarkasmus?"

Anatol grinste schief, sah aber weiterhin starr auf das, was sich vor ihnen befand. „Leider nicht." Er fuhr leicht nach links und ein Eisblock, halb so groß wie das Shuttle, schlug neben ihnen ein.

Über die Schulter blickte Chander dem Gebilde nach, runzelte die Stirn. „Was war das denn bitte?"

„Es hagelt", wiederholte der Reine nur.

„Beschönigst du immer alles auf diese Weise? Zombies? Vom Himmel fallende Eisberge?" Seine Stimme war lauter geworden, aber so kurz nach dem Aufwachen konnte niemand von ihm Selbstbeherrschung erwarten.

„Ich habe alles im Griff. Ich spüre die Magie. Immerhin haben wir die letzte Stunde überlebt, oder?" Der Reine warf ihm einen zuversichtlichen Blick zu, ruckte dann das Lenkrad rechts herum und verschaffte ihnen durch das Ausweichmanöver etwas mehr Lebenszeit.

Diese Situation, in der er wortwörtlich nichts weiter tun konnte, als still zu sitzen und andere nicht bei ihrer Arbeit zu stören, zerrte an seinen Nerven. Wie die in immer kürzeren Abständen einschlagenden Hagelfelsen. Wie die Vollbremsung, die seinen Körper in die Gurte warf. „Was zum Erd...!" Chander verfluchte den Fluch der Lunarier innerlich gleich doppelt.

Sich den Kopf haltend starrte Anatol durch zusammengekniffene Augen nach draußen. „Überall", krächzte er.

Es sah aus, als würde die Zeit dem Schneesturm erliegen und einfrieren. Flocken, gerade noch dabei zu Boden zu tanzen, blieben in der Luft stehen. Setzten ihren Weg wieder fort, doch nach oben. Einzelne Eiskristalle am Grund folgten, dann mehr und immer mehr, bis die gesamte weiße Decke explodierte und um sie herum schwebend verharrte. Im Inneren dieser Wolke brachen die Schneeflocken Licht und glitzerten in Regenbogenfarben.

„Okay", flüsterte Chander. „Okay. Okay." Er fuhr sich durch die Haare. „Okay. Warum nicht."

Mittlerweile besah sich der Reine das Geschehen mit großen Augen. „Das ist eigentlich ganz schön." Bunte Lichter flackerten auf Anatols Gestalt und gaben ihm etwas Außerweltliches. Sein Mund war leicht geöffnet, während er den Kopf hin und her wandte, alles aufsaugte, was er sah.

„Hmm", brummelte Chander und streckte die Hand aus, um Anatols Gesicht zu sich zu drehen. Langsam beugte er sich vor, zuckte bei einer Bewegung im Augenwinkel aber zurück.

Mit einem Ruck zischte der Schnee dem Himmel entgegen, löste sich dort auf und kam als Wasserschwall zurück zu Boden. Ein nasser Hammerschlag donnerte auf das Dach und überflutete den Grund, dann war der Spuk vorbei.

Chander versuchte sich an einem kleinen Lächeln. „Das war immerhin nicht das Schrägste oder Gefährlichste, das ich in den letzten Tagen gesehen habe." Wie um seinen Worten etwas entgegenzusetzen, rumorte der Untergrund.

Anatol beschleunigte den Wagen und Chander betete, dass sie nicht von einem Loch verschluckt wurden, das sich wieder schließen und sie für alle Ewigkeiten in einer Erdschicht einschließen würde. Doch nein, es taten sich keine Löcher auf. Aus dem bewässerten Erdreich schoss ein Urwald in die Höhe. Einer Monsterwelle gleich drückte sich das mit bunten Blumensprenkeln versehene Grün hinter ihnen aus dem Boden. Der Prozess verfolgte sie mit gleichgültiger Wucht.

Der Tanz von Sonne und MondWhere stories live. Discover now