8.2: ... power dich aus.

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Es war schließlich einige Blocks weiter ein Gebäude am Rand des Bezirks, auf das sie zusteuerten. Ein weißer Betonwürfel, der an eine Kuppel in der Größe von zehn Fußballfeldern grenzte. Rillen zogen sich vertikal über die Fassade, gaben ihr etwas von einem Strichcode. Selbst zu dieser frühen Zeit tröpfelten Menschen jeglichen Alters in gleichem Maße durch die verglasten Schiebetüren des Eingangs, wie sie auch wieder ausgespuckt wurden. Nur verschwitzter und langsamer. Und obwohl es so viele waren, schenkte keiner dem Bettler neben dem Eingang mehr als einen kurzen Blick. Gerade noch so erhellte das Licht, das durch die Tür fiel, die Halbglatze des Mannes, malte etliche Schatten auf sein faltiges Gesicht. Er zog die Decke etwas enger um sich, aber sie konnte die Spuren eines langen Lebens, in dem Magie zu oft über das Körperlimit hinaus genutzt worden war, nicht verbergen. Eingebrannte lila Energieleitlinien. Magievergiftung.

Sie traten in den Strom der Leute und als sie den Bettler passierten, warf Chander ein paar Tauben in seine Schale. Anatols Lächeln war beinahe spürbar warm und Chander bugsierte ihn schnell ins Innere, wo sie in einer der fünf Schlangen warteten. Runde Lampen leuchteten währenddessen nur zwei Meter über den Wartenden auf sie und den schlichten Betonboden herab. Drei Minuten später musterte sie die Dame am Tresen über den Rand ihrer Brille und ließ ihre Lippen in ein wölfisches Lächeln gleiten. „Guten Abend und Willkommen."

„Zwei Tickets, bitte", flötete Wiesel und legte gleich einen Schein in Wert von zwanzig Tauben auf das Holz zwischen ihnen. „Der da schaut nur zu."

Die Dame schob zwei Armbänder in Blau und eines in Lila rüber und hob ihre linke Hand, im selben Moment wie die Pforte neben dem Tresen von rot zu grün wechselte.

Chander schob Anatol hindurch und dann durch die Tür, die in den äußersten Kuppelring führte. Der Duft nach Schweiß und verbrauchter Luft kroch ihm sofort in die Nase und er lief automatisch schneller, als könnte er dem Mief entkommen. Vor der Kammer mit der Nummer siebzehn blieben sie stehen. „Ist ganz einfach", meinte Chander. „Geh einfach rein und der Computer wird dir schon alles erklären. Wähle den privaten Modus aus, sonst wird alles was du tust übertragen." Er deutete an die Wand, wo mehrere Massagesessel mit jeweils einem Bildschirm aufgebaut waren.

Wiesel nickte. „Jau. Versuch es am besten zuerst mit dem freien Modus und power dich aus."

Der Blick des Reinen glitt von Wiesel zu der Öffnung. Seine Schultern hoben und senkten sich bei einem tiefen Atemzug. Er nickte und sobald er die Schwelle überschritt, schlossen sich die Stahltüren hinter ihm.

„Du bist so nett zu ihm", beschwerte sich Wiesel mit spielerisch in die Hüften gestemmten Händen. „Ich wäre ja eifersüchtig, wenn ich nicht sowieso schon wüsste, dass ich null Chancen bei dir habe. Nur weil ich nix zwischen den Beinen baumeln habe und du so unflexibel bist. Na ja, bis später." Damit betrat sie ihren eigenen Trainings-Würfel mit der Nummer achtzehn. Ließ Chander zurück, der ihr hinterherblinzelte und die Stirn runzelte. Den Kopf schüttelte und zu Boden blickte. Ihre Verkuppelungsversuche hatte er in all den Jahren bestimmt nicht vermisst. Unterbewusst glitt sein Blick an den Rändern von roten Flecken entlang. Wenn es Anatol wieder besser ging, konnten sie dem Polizeihauptkommissar schon morgen Nacht einen Besuch abstatten. Und der musste einfach etwas wissen. Er musste einfach.

Schatten huschten über den Boden und er brauchte ein paar Sekunden, bis er bemerkte, dass die Lampen ungleichmäßig flackerten. An, aus, an aus, einige strahlten Heller und Heller, die ersten explodierten. Dann lag die gesamte Umgebung im Dunkeln. Nur die grüne Notbeleuchtung und eine Quelle anderer Natur spendeten noch Licht. Es sickerte durch die Ränder der zitternden Tür zu Kammer siebzehn.

Wiesels Satz kam ihm wieder in den Sinn. Power dich aus.

„Heilige ... Scheiße!" Als der Mechanismus an der Wand nicht funktionierte, stemmte er die Schiebetürhälften mit Kraft auseinander und quetschte sich dazwischen hindurch. Er stolperte auf die andere Seite und die Tür schnappte hinter ihm wieder zu. Ein Sog erfasste ihn, drückte ihn weg von der Mitte, wo das Ding schwebte, das wie eine gigantische, zu stark eingestellte Wärmelampe auf der Haut prickelte. „Was zum ..."

Der Tanz von Sonne und MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt