Kapitel 38

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Es ist mehr als nur krank und moralisch verwerflich, aber ich fühle mich gerade jetzt so unbeschreiblich stark zu ihm hingezogen. Dass er jemanden gefoltert und ermordet hat, kümmert mich kaum. Sein Zustand hingegen fesselt mich, auch wenn er mir Angst macht. Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie stark ich entspannen kann, aber jetzt, wo ich auf ihm sitze, fühle ich mich in der Kontrolle. Meine Beine zittern - von meiner Hand, die die Wanne abstöpselt, will ich nicht anfangen. Ich bin immer noch angespannt und ich vergesse das Ausatmen öfter als gesund für mich ist. Azad so kühl und ruhig zu sehen, passt überhaupt nicht. Er ist zwar ein besonnener Mann, der nicht unbedingt viel reden muss, aber gerade wirkt seine Stille unausweichlich bedrückend. Ich will mich ablenken, nehme daher wieder den Schwamm zur Hand und reibe sanft die kleinen Flecken weg. Bei seinen Händen habe ich viel zu tun, das weiß ich. "Hast du offene Wunden an den Fingern?" "Nein. Meine Impfungen sind alle noch gültig." Gut möglich, aber weiß Gott, was der Typ alles hatte. "Infektiöses Material." "Mir gefällt es, Blut auf meiner Haut zu haben." Oh Gott. "Lass dein Blut untersuchen", gebe ich strenger von mir, als ich fester über sein Schlüsselbein fahre. "Was immer du dir wünschst, Schneeflocke." Er schmunzelt schief. Es ist nicht sein typisches Grinsen. Er ist immer noch in dieser Trance und ich weiß nicht, woher ... hat er ... er würde niemals Rauschmittel nehmen.

Ich will es gar nicht tun, aber meine Hände schlingen sich um seinen Hals. Mein Herz rast. Wenn er unter Drogen steht, muss ich weg. Nein. Kein Junkie. Kein verfickter Junkie. Meine Wut ist groß. Azad bemerkt die Bedrohung, zieht aber nur seine Augenbrauen zusammen. Ich spreche noch nicht. Ich muss Anzeichen absuchen. Er zittert nicht. Er schnieft nicht. Er ist nicht hibbelig. Seine Atmung ist ruhig und er hatte Appetit. Trotzdem kann ich Kokainkonsum nicht ausschließen. Ich taste in seiner Nase herum, mit der Angst, keine glatte Scheidewand zu fühlen. Meine Hand reagiert schneller als ich registrieren kann, als ich seine Nasenscheidewand kneife und kratze und für eine versuchte unterdrückte Reaktion sorge. Seine Lider kneifen sich zusammen, seine Nase rümpft sich. Kein Koks. Er spürt es. Ich sehe sogar Tränen in seinen Augen deshalb. Ich lasse von seinem Hals ab, was ihn sowieso nicht wirklich interessiert hat. "Wofür war das?", fragt er halb so neugierig, wie er wahrscheinlich wirkt. Es stört mich ungemein, dass er so kühl ist. Das ist mein Part! "Ich muss dich auf Drogen testen." "Ich nehme keine Drogen." "Ich glaube dir kein Wort-," "Avin." Mir wird kalt. Kaltes, langsam fließendes Wasser läuft bei dem warnenden Aussprechen meines Namens meinen Rücken hinunter. Ich kann nicht anders. Ich muss von ihm zurückrutschen, egal wie fest er mich an meinen Oberarmen hält. Ich brauche Platz. Ich weiß nicht, ob er unter Drogen steht, so normal er auch auf den ersten Blick aussieht.

"Ich nehme keine Drogen. Ich weiß, dass du traumatisiert wurdest. Ich habe es nicht nötig, dich anzulügen. Ich bin in einem Zustand, in dem ich dringend deine Wärme benötige und nicht dein Misstrauen!" Aber ... ich kann das nicht. Es überfordert mich. Ich war ängstlich, dann erregt, dann misstrauisch und die ganze Zeit über unsicher und jetzt weiß ich wirklich nicht weiter. Azad bemerkt es. Er sieht den Hilfeschrei in meinen Augen. Ich brauche ebenso seine Wärme gerade. Seine Augen schließen sich. "Avin", setzt er leise an. Ich bin so unglaublich erleichtert, als er mich in seine Arme zieht und mir einen Kuss auf die Schläfe drückt. Ich weiß wirklich nicht mehr weiter. Was ist, wenn er etwas oral eingenommen hat? Was ist, wenn er dort das Koks konsumiert hat? Ich muss an sein Zahnfleisch rankommen. Ich rieche keinen Alkohol, aber ... ich weiß es nicht. Ich könnte weinen deshalb und ich spüre wirklich, wie meine Drüsen kleine Tränen abgeben. "Ich schwöre es dir, Avin. Ich habe nichts im Blut. Ich habe und werde nichts konsumieren." Ich hoffe es so sehr. "Ich bin oft nach dem Internen so. Ich schalte ab. Mir hat jemand gefehlt, der mir die Wärme gibt, die ich in dem Moment nicht spüre." Ich verstehe ihn. Ich verstehe ihn so sehr. Ich habe zu oft nach Wärme in der einsamen Dunkelheit gesucht, wenn sich alles wiederholt hat. Als ich wieder im enttäuschenden Strudel der Monotonie gefallen bin. Ich verstehe ihn so gut.

Durch den Weg deines HerzesWhere stories live. Discover now