Kapitel 14

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Meine Tage vergehen mit Verärgerung, die primär an meine Mutter gerichtet sind, auch wenn ich sie verstehe. Ich habe sie nicht angeschrien oder sie angemeckert, sondern wurde wieder still und lethargisch. Ich habe keine Lust zu reden. Mein Zimmer bleibt abgeschlossen und meine Überstunden beginnen wieder. Ich kann nicht verstehen, wieso sie so schnell wieder nachgeben kann, verstehe es aber dann, weil der Junkie Psychoterror vor der Tür mit dem permanenten Klopfen und Klingeln spielt. Mein Vater hat sich schon mit ihr deshalb gestritten, aber sie konnte nichts anderes als Argument bringen, außer ihr sensibles Herz und ihre Angst. Denkt sie nicht einmal an ihre anderen Kinder hier in der Wohnung? Hat sie dafür kein sensibles Herz? Versteht sie nicht, dass sie der verfickte Grund dafür ist, dass dieses Leid überhaupt entsteht? Ich will gar nicht so denken, weil meine Mutter diejenige ist, die am meisten leidet. Es ist falsch so zu denken, wenn ich nicht einmal halb so sehr leide, wie sie es leider tut. Mit ihrer Angst, vor die Tür zu gehen. Mit ihrer sofortigen Stressreaktion, wenn es an der Tür klopft - selbst, wenn es nicht der Junkie ist. Meine Mutter ist traumatisiert und geprägt durch ihn. Durch ihren eigenen Sohn, der sie manchmal überwältigt, wenn sie ahnungslos aus der Stadt wiederkommt und so fest an den Handgelenken in die Wohnung gedrückt wird, dass sie schon Blutergüsse an ihrer sensiblen Haut tragen muss. Ich verstehe sie wirklich, auch wenn mich meine Wut manchmal überhäuft, aber ... ich bin einfach so sauer und enttäuscht.

Wieder und wieder lässt sie diese verdreckte Ratte rein. Immer und immer wieder. Immer und immer wieder beginnt das Schreien, die negative Energie in der ganzen Wohnung. Meine Schwestern haben erst vor kurzem wieder einmal nach langer Zeit Freundinnen einladen können und jetzt brauchen sie schon wieder ausreden, wieso es bei ihnen nicht geht. In der Nacht füllt sich mein Körper immer wieder mit Hass. Ich habe immer wieder Dialoge und Monologe im Kopf, die gegen meine Mutter und diesen Junkie gerichtet sind, aber ich werde sie niemals äußern. Niemals gegen meine Mutter, weil es sie verletzen würde und unwahrscheinlich gegen den Junkie, weil ich seine Fresse nicht sehen will. Ich nehme mir mein Essen und verschanze mich in meinem Zimmer damit. Meine Tür bleibt so lange abgeschlossen wie er in der Wohnung bleibt. Sollte er wissen, dass ich ein iPad und einen Laptop habe, wird er sein Handy sofort wieder verkaufen, weil er ja von mir etwas haben kann. Wenn er davor ist zu sterben und eines dieser elektrischen Waren sein Leben retten würden, würde ich selbst dann die Übergabe verweigern. Meine Mutter würde dann an meiner Tür kleben und mich anflehen, ihm das iPad oder den Laptop zu geben, damit er sie in Ruhe lässt, aber da spiele ich nicht mehr mit. Wenn sie ihn reinlässt, soll sie mit den Konsequenzen klarkommen - das sage ich mir, solange ich wütend bleibe. Ich würde alles tun, um ihr zu helfen, aber mich selbst werde ich nicht mehr vergessen.

Ich kann von Glück sprechen, dass ich die ganzen Schnitte und Färbungen nach meiner Schicht übernehmen kann. Meine Kollegen aus der Pathologie zeigen sich mit reichlich vielen Geschenken und Snacks als extrem dankbar. Ich habe sogar ein Rituals of Mehr Set geschenkt bekommen - ein kleiner Trost in meinem unzufriedenen Leben. Der einzige aktuell, denn ich wurde bis jetzt nicht wieder vor der Tür von blauen Augen überrascht. Nicht, dass ich mir Hoffnungen gemacht habe, aber es wäre sicherlich ein guter Ausgleich, mal jemanden zu sehen, den ich mehr als nur erdulde, ehe ich nach Hause gehe und den Junkie wieder lautstark anschreien muss, damit er rafft, dass er um 23:00 Uhr nicht lautstark mit irgendwelchen Gestalten zu telefonieren hat, wenn drei Schwestern zur Schule gehen und ich arbeiten muss. Wenn er zurückschreien würde, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Vermutlich wie damals einfach das Küchenmesser ziehen und ihn in die Ecke treiben. Klassische Konditionierung nenne ich das. Auch wenn er Respekt vor mir hat, hasse ich ihn. Er wird niemals meinen Respekt erhalten. Niemals für all das, was er getan hat. Ich werde den Augenblick niemals vergessen, als wir aus unserem Familienurlaub wiederkamen und die Wohnung verwüstet war.

Damals war er noch 19 und mit irgendeiner verheiratet, die er von der Hauptschule kannte. Vor uns wirkte er wie ein Rechtgeleiteter. Er hat gebetet, wurde frisch aus dem Knast entlassen und meine Mutter war erleichtert - nur temporär. Noch während des Urlaubs, den wir bei unserer Familie in Zaxo verbracht haben, hatte sie schon ein schlechtes Gefühl und mein Vater hat ihr gesagt, dass sie sicherlich etwas Schlechtes erwarten wird und das war auch so. Der Fernseher war weg. Die Playstation meines damals noch nicht verheirateten Bruders ebenso. Die eigentlich verschlossene Schlafzimmertür meiner Eltern war aufgebrochen und durchlöchert. Ob durch stumpfe Gewalt, mit derselben Brechstange, die für das Aufbrechen der Tür gebraucht wurde oder mit einer Waffe, weiß ich nicht. 10.000 € waren weg, der Goldschmuck meiner Mutter ebenso. Schon damals habe ich kaum darauf reagiert. Wie sollte auch ein so junges Mädchen handeln und denken? Das Zimmer, das ich damals mit meinen Schwestern geteilt habe, war unversehrt. Nur meine Bodysprays wurden mit dreckigen, verschmierten Fingern angefasst. Ich habe ihnen den Tod gewünscht. Das tue ich bis heute noch.

Durch den Weg deines HerzesWhere stories live. Discover now