Kapitel 12

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Ich bin wirklich überrascht, als ich die zwei Einkerbungen seiner bärtigen Wangen sehe. "Das heißt, dass unsere Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit auch welche haben werden." Kinder. Mein Lächeln wird magerer. Wenn ich mich dazu entscheide, das Angebot anzunehmen, dann muss ich ... wir werden irgendwann Sex haben. Er wird es beziehungsweise irgendwann sicherlich wollen. Scheiße. Ich will gar nicht daran denken. Ich wende den Blick wieder ab, schneide das zweite, größere Filet in Scheiben. "Ich weiß, dass du keine Kinder willst. Keine Angst, Schneeflocke." Ich nicke nur stumm. Mich ernüchtert mehr der Fakt, dass ich irgendwann mit ihm intim werde, statt der eigentlichen Schwangerschaft, die wahrscheinlich niemals passieren wird. Was sind seine Vorlieben? Hat er komische Fantasien, dadurch, dass er schon getötet hat? Blutfetisch? Ich kann mir bei ihm alles vorstellen. Am Ende hält er mir noch seine Waffe an die Schläfe, weil ihn das erregt. Gott bewahre. "Trägst du deine Waffe eigentlich immer bei dir?" "Ja, aber sie kommt eher selten zum Einsatz." Ja. Das letzte Mal war ja nur vorletzte Woche. "Und du trägst dein Messer immer mit dir herum?" Ich nicke. Ich habe es zwar nie benutzen müssen, aber es hat mir den Schutz vermittelt, den ich brauchte, wenn ich mal abends nach Hause gelaufen bin. "Kannst du gut mit Messern umgehen?" "Konnte früher einige Tricks mit dem Butterfly, aber meine Mutter hat es dann beschlagnahmt." Ich ärgere mich bis heute noch darüber, dass sie es mir aus der Jackentasche geklaut hat. Ich hatte so viel Spaß mit dem Ding!

Als ich mich an den Herd stelle, schaue ich einen Moment zu ihm hoch. Ich muss wieder an seine Grübchen denken. Echt süß. Verdammt süß. Mein Arm streift seinen Oberkörper, als ich die Mehlschwitze rühre. Er scheint sich kein Stück von der Stelle bewegen zu wollen und anscheinend reagiert er nicht allzu kitzelig. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ob es mir gefallen soll, dass er mir so nah ist oder ob ich doch mein kleines, bissiges Alter Ego Avin herauslassen soll, damit er gefälligst Platz schafft, aber dieses Mal lasse ich es zu. Nur dieses Mal. Einfach so. Nur, weil er so gut riecht. Es hat etwas erstaunlich Beruhigendes an sich, dass er mir so nah ist. Es leistet mir Komfort. Ich mag es, auch wenn ich es nicht mögen sollte. Ich mag es nur, weil ich immer eine Beziehung haben wollte. Nicht, weil er es ist. Ich wollte immer eine Beziehung haben, aber ich wollte nie jemanden kennenlernen. Alleine der Gedanke daran hat mich angeekelt bei der Degeneration der vermeintlichen Männer heutzutage. Mich stören schon die einfachsten Sachen, die heute von vielen Frauen toleriert werden. 25 Jahre alt und er spielt immer noch irgendwelche Videospiele? Hat ein ganzes Gamer-Set? Ich erschaudere alleine bei dem Gedanken daran. Respekt an meine Schwägerin, dass sie kein Problem damit hat, dass mein Bruder immer um 22:00 Uhr mit seinen Kollegen spielt und durch seine Kopfhörer nicht mitbekommt, wie laut er doch redet. Ich wäre durchgedreht.

"Bist du eigentlich jemand, der abends weggeht mit Freunden?" "Nein. Du?" Ich bin erleichtert. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich bei diesen Punkten zu meinem Vater aufschaue oder es mein eigener Geschmack ist, aber mich hat es nie angesprochen, falls ein Typ abends weggehen will. Vermutlich, weil Betrug normalisiert wurde in der Gesellschaft. "Geht schwer. Meine Freundin hat eine nervige Familie, die sie quasi einsperrt. Ich bete, dass sie endlich heiratet und frei ist." Wenn ich schon wieder an ihre Familie denke, kriege ich Aggressionen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Nasen gesehen, die sich in Dijans Leben einmischen. Ihre kurdische Seite der Familie kritisiert sie dafür, dass sie nicht verheiratet ist und ihre marokkanische Sippe kritisiert sie dafür, dass sie studiert und deshalb länger in der Uni ist. Sie ist zu viel unterwegs, behaupten sie. Krank. Einfach nur krank und widerlich. "Wenn du die Möglichkeit hättest, würdest du also?" Das ist auch so eine Sache. Ich lege den Kopf fragend schief. "Abends raus, nein. Dafür sind mir zu viele komische Gestalten auf dieser Welt. Ich habe mich schon komisch beobachtet gefühlt, als ich im Café am helllichten Tag mit ihr saß. Am Abend? Da werfe ich mich den Geiern perfekt zum Fraß vor." Daher kommt auch meine Abneigung gegen Männer, die in Cafés hocken. "Und wenn ich dich abends ausführen möchte, Schneeflocke?" Dann wäre es etwas anderes, denke ich mir sofort. Wenn er mich ausführen würde, müsste ich mir absolut keine Sorgen machen, egal wie sehr ich sonst auch die Blicke der einsamen Versager an mir abprallen lasse.

Durch den Weg deines HerzesWhere stories live. Discover now