Nachtkresse Büschel 2

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„Ihr solltet generell niemand entführen", schimpfte ich mit dem ersten vollständigen Atemzug, den mein verkrampfter Oberkörper zuließ. Unwillig schüttelte ich seine Hände ab.

Yessaia ließ mich los. Als er sich von mir fort lehnte, kam der helle Raum um uns herum wieder in den Fokus und warf einen kontrastreichen Schatten über sein Gesicht.
„Es ist keine Entführung, wenn man keine andere Wahl hat."

Da war ich allerdings anderer Meinung. Die Faust bereits geballt, hielt ich inne. Sie zitterte nicht mehr. Für einen Herzschlag überschlugen meine Gedanken sich, ehe ich mich demonstrativ dem fiebernden Mädchen zuwandte.

Ich warf ihm einen letzten verärgerten Blick zu, den er mit steinerner Miene erwiderte, und widmete mich wieder dem Messer. Ich hatte Moira schon einige Male dabei zugesehen, wie sie entzündete Wunden neu öffnete, um sie reinigen zu können.

Warmes Wasser, angereichert mit Nachtkresse, stand auf dem kleinen Nachtschrank zu meiner rechten und Andrew hatte auf meine Bitte hin mehrere Tücher und eine Pipette bereitgelegt.

Interessiert trat der Botschafter näher, doch kaum da ich mit dem Messer die ersten Fäden durchtrennte, drehte er sich schnell wieder fort. Unwohlsein löste jeden Zorn binnen weniger Herzschläge ab.

„Ihr könnt kein Blut sehen?" Es erschien mir ein ungewöhnliches Leiden für einen Soldaten. Meine Mundwinkel zuckten.

„Nicht von Menschen, die mir nahestehen", korrigierte er mich, das Gesicht strikt zur Wand gedreht. Er benötigte einen Moment, um sich zu fassen.

Sein Theater entlockte mir beinahe ein kleines Lächeln. Dann löste sich auf der letzte Faden und die Wunde öffnete sich ein kleines Stück weit. Wer auch immer sie vernäht haben mochte – mein erster Verdacht fiel gewaltig auf Andrew – hatte sich große Mühe gegeben, auch wenn sie immer noch von ungeschulten Händen zeugte. Ich vermutete viele Verletzungen bei Yessaia und seiner Schwester in den Kindertagen, um die er sich gekümmert hatte.

Als ich vorsichtig Wasser in die Wunde träufelte, schauderte Cini einmal auf, doch ihre Lider blieben fest geschlossen. Mit dem Handtuch fing ich Eiter und Wundflüssigkeit auf, dann wiederholte ich den Vorgang. Andrew hatte das Wasser reichlich mit der feinen blauen Kresse angereichert. Die Mischung musste fürchterlich brennen und ich war insgeheim dankbar, dass das Mädchen nicht bei Bewusstsein war. Doch ein anderer Gedanke hakte sich in meinem Kopf fest.

Der Steward hatte gewusst, wofür die Nachtkresse gut war. Warum hatte er die Wunde dann nicht gleich zu Anfang damit gereinigt? Er hätte jede Entzündung verhindert.
Die Frage irritiere mich, doch ich wagte sie nicht an den Botschafter zu stellen. Er erschien mir nicht wie der Typ Mann, der solche Anschuldigungen auf die leichte Schulter nahm. Entweder er würde mich eine Lügnerin heißen, oder den Diener einen Kopf kürzer machen. Apropos, warum war noch niemand aus dem königlichen Haushalt informiert worden?

Ich schüttelte den Gedanken ab. Ich musste den Grund für die Entzündung finden. Ein zurückgebliebenes Metallstück der Waffe oder Schmutz, den Andrew übersehen hatte? Behutsam öffnete ich die Wunde ein Stück weiter.
Was ich sah, war weder Metall noch Schmutz. Aber es ließ mein Herz für mindestens drei Schläge aussetzen, in denen ich ungläubig auf das Gewebe starrte. Feine violette Adern bildeten sich in der tiefsten Stelle der Wunde.

Hätte ich mir auch nur ein einziges Mal Madame Acós Studien zu Herzen genommen und mich ein klein wenig mehr in die Dame verwandelt, auf die sie so sehr hoffte, ich wäre an dieser Stelle in Ohnmacht gefallen.
Da ich allerdings meinen Anfall heute schon gehabt hatte und Yessaia immer noch hinter mir, mit dem Kopf zur Wand stand, blieb mir nichts anderes übrig, als die Wunde vorsichtig loszulassen und vom Stuhl aufzustehen.
Wie war das möglich? Ich meine, wie hoch waren die Chancen, dass es sich um dasselbe Gift handelte, das auch Moira hingerafft hatte?

Die letzte NevanamWhere stories live. Discover now