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D A R C Y   H U G H E S

Schwankend lasse ich den Raum mit der Leiche meiner Mutter zurück. Seit Langem habe ich mich nicht mehr so leer gefühlt. Einzelne Tränen fließen meinen kalten Wangen hinab. Der Schmerz, der sich in meiner Brust breitmacht, ist nicht in Worten zu fassen. Mein Kopf ist dem Explodieren nah, denn es fühlt sich beinahe so an, als hätte mir jemand die Kopfdecke aufgeschnitten und Rasierklingen reingeschmissen, die nun im Inneren meines Kopfes die Arbeit erledigen.

Ich ziehe die Stahltür hinter mir zu und versuche die Ereignisse zu verarbeiten, indem ich mich an die Tür lehne und die Augen schließe. Das penetrante Licht des Krankenhauses machen die Kopfschmerzen nicht besser, doch als ich die Augen geschlossen habe, zeigt es seine beruhigende Wirkung.

Heiße Tränen der Verzweiflung laufen mir die Wangen hinab. Auch wenn ich die Augen geschlossen habe, ist es kein Hindernis für meine Tränen. Wimmernd beiße ich mir auf die Unterlippe, um bloß keine Laute von mir zugeben.

Ich habe gerade keine Zeit im Selbstmitleid zu baden. Mein Vater braucht mich. Auch wenn ich am liebsten zu Boden gehen würde, um mir die Seele aus dem Leib zu weinen, hat das zu warten. Mein Vater ist momentan meine oberste Priorität.

Flatternd öffne ich die Augenlider, was sich gar nicht so als leicht erwiesen hat, denn meine Wimpern haben sich verklebt. Der leicht stechende Schmerz ließ mich wissen, dass sich meine Kopfschmerzen nicht mehr so penetrant sind, wie vor einigen Minuten.

Stöhnend halte ich mir die Hand vor die Augen, als das Licht in meinen Augen anfing zu brennen und mir damit die Sicht erschwert. Meine Tränensäcke fühlen sich mehr als nur angeschwollen an und als ich den Blick erhebe, sehe ich denselben Bestatter, der mich vorhin in diesen Raum geführt hat. In den abscheulich kalten Raum, indem meine tote Mutter liegt.

⋙Ich würde sie bitten zurückzugehen. ⋘, fordert der Bestatter, was ich nur mit einem Nicken zu verstehen gebe. Insgeheim möchte ich sowieso das Weite suchen. Nicht mehr in der Nähe meiner toten Mutter sein. Nicht einmal an sie denken, denn der Schmerz in meiner Brust macht es mir zu schaffen.

Wer würde denn in solch einer Situation nicht vor der Realität fliehen?

Starke Menschen, Darcy. Sie fliehen nicht vor der Realität, wie du. Sie stellen sich der Realität und kämpfen gegen sie an. Nicht wie du, die schnellstmöglich das Weite sucht. Du bist lächerlich, Darcy. Du fliehst vor der Realität, statt der Tatsache ins Auge zu blicken, um die Möglichkeit zu ergreifen und den Tod deiner Mutter zu akzeptieren.

Sofort schließe ich erneut die Augen und fasse mir an den Kopf. Die Stimme in meinem Kopf hat sich wieder in den Vordergrund gezwängt und macht mir zu schaffen. Dennoch ließ ich mich davon nicht beeindrucken. Ja, ich fliehe vor der Realität. Aber das nur, weil mein Herz die steinharte Realität nicht verkraften wird. Ich möchte noch so lange wie möglich in dieser Blase stecken bleiben, die mich vor der steinharten Realität schützen wird. Ich bin noch nicht bereit von meiner Mutter loszulassen. Sie war doch diejenige immer gewesen, die mich auffing, als es mir nicht gut ging.

Sie fing mich auf, als mich meine erste große Liebe betrogen hat. Sie war für mich immer dagewesen und doch konnte ich nicht rechtzeitig bei ihr sein, als sie ihre letzten Atemzüge tätigte. Stattdessen saß ich zu Hause auf meiner Couch und habe mich darüber geärgert, dass sie mich immer noch wie ein Kind behandelten.

Nur Gott weiß, wie sehr ich diese Worte bereue und alles rückgängig machen möchte. Meine Mutter wieder in die Arme nehmen, ihre weichen Wangen küssen und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe. Doch nun war es zu spät. Ich kann ihr weder sagen, was für eine tolle Mutter sie ist, noch wie sehr ich sie liebe.

Ein Jammern entkommt meine Lippen, weshalb ich die Augen öffne und ohne ein Wort zu sagen, Richtung Fahrstühlen gehe. Meine Beine sind dem Wegknicken nah. Doch ich muss mich zusammenraffen. Für Dad.

Es gab nur noch Dad und mich. Die Erkenntnis ließ mich schmerzhaft die Augen schließen. Ein Wimmern verlässt meine Lippen, ehe ich die Augenlider flatternd öffne und mich in den Fahrstuhl begebe.

Erschöpft lehne ich mich an die Aufzugwand und lasse ein schweres Seufzen raus, dass mir schon über den ganzen Tag auf dem Herzen lag. Ich streiche mir über die Tränensäcke und spüre wie angeschwollen sie eigentlich sind.

Der Fahrstuhl kommt in der zweiten Etage zu stehen, die Türen öffnen sich und erneut raffe ich mich und begebe mich zu den Türen der Intensivstation, um meinen Vater beizustehen. Heute ist an Schlaf überhaupt nicht zu denken, auch wenn es heißt, dass ich mit Schlaflosigkeit rechnen muss, die es mir zu schaffen machen wird. Im Moment ist es jedoch egal. Es gibt Wichtigeres.

Ich drücke die Klingel und warte darauf, dass mir jemand die Tür öffnet. Doch niemand öffnet sie mir, auch nicht als ich ein zweites Mal und ein drittes Mal klingele. Langsam, aber sicher macht sich ein schlechtes Gefühl in meinem Bauch breit, dass sich dermaßen schwer anfühlt, dass ich glaube jeden Moment auf den harten Boden zu prallen.

⋙ Wieso öffnet mir denn niemand die Tür? ⋘, murmele ich hektisch und ziehe schon wie eine Verrückte am Knauf der Tür, in der Hoffnung sie würde aufgehen, doch die Tür bleibt ungerührt an Ort und Stelle, was mich jammern lässt. Wie eine Verrückte schlage ich gegen die milchige Glastür, um die Aufmerksamkeit der Schwestern auf mich zu ziehen.

Doch als auch das nicht funktioniert, drücke ich penetrant an der Klingel, dass ich schon befürchte aus dem Krankenhaus zu fliegen. Konzentriert drücke ich weiterhin die Klingel, denn mein schlechtes Bauchgefühl will nicht lockerlassen. Stattdessen verschlimmert es sich mit jeder Sekunde, dass ich schon wortwörtlich in Panik gerate.

Anscheinend hat sich das penetrante Klingeln gelohnt, denn mit einem Summen öffnet sich die Tür, was mich erschrocken japsen lässt. Ich war so stark auf das Klingeln konzentriert, dass ich mich glatt erschrocken habe.

Lange lasse ich jedoch nicht auf mich warten. Schnell erhole ich mich von meiner Schockstarre und eile in die Intensivstation.

 Schnell erhole ich mich von meiner Schockstarre und eile in die Intensivstation

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Tut mir leid für die Verspätung!

Masslose Besessenheit {Band 1}Where stories live. Discover now