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Naomi

"Mir geht es wirklich gut.", ich ziehe die Beine an meinen Körper und schlinge die Arme darum. Ich lege mein Kinn auf meine Knie und seufze.

"Du wirst trotzdem nicht mitkommen.", sage ich mit entschlossener Stimme.

"Nur, weil Mum es mir nicht erlaubt.", Hayden und ich sitzen nebeneinander auf dem Bett.

"Du hattest eine Panikattacke, Hayden! Das ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Du solltest zum Arzt gehen, statt auf eine beschissene Party.", zische ich. Nicht, weil ich sauer auf sie bin, sondern weil ich mir Sorgen mache.

Ich würde so unheimlich gern erfahren, warum sie so heftig reagiert hat. Was vorgefallen ist, woran es gelegen hat. Aber ich möchte sie nicht belasten.

"Ich weiß auch, was passiert ist. Aber ich hatte auch schon ein paar Panikattacken zuvor, die war nur eben ein wenig heftiger. Ich habe überlebt, und werde das auch tun, wenn ich mit zur Party komme.", Hayden verdreht die Augen.

"Ich mache mir nur Sorgen. Ich denke wirklich nicht, dass das eine gute Idee ist.", ich verziehe die Augenbrauen.

"Verstehe ich, Naomi. Aber was soll ich Eve denn sagen? Ich will ihr nicht die Wahrheit erzählen.", Hayden lässt sich nach hinten in ihre Decke fallen.

"Ich lasse mir was einfallen.", ich zwinkere ihr zu, woraufhin sie schmunzelt.

"Was meinst du damit?", fragt sie grinsend.

"Ach, das übliche. Du bist krank, Grippe und sowas. Oder du musst doch auf Sophie aufpassen, oder du hast eine Schicht aufgebrummt bekommen.", zähle ich meine möglichen Ausreden auf.

"Irgendwie glaube ich ja nicht, dass du gut lügen kannst.", ihre Augen funkeln mich an.

"Nein? Warum nicht?", erwidere ich. Ihr Grinsen ist flirty und irgendwie gefällt mir dieser Blick an ihr.

"Ich weiß nicht, habe ich so im Gefühl. Du siehst ziemlich brav aus."

"Ich? Du kennst mich wohl nicht gut genug.", ich setze einen herausfordernden Ausdruck auf.

Der Raum heizt sich auf, und die Spannung zwischen uns wird heftiger, je länger wir uns in die Augen sehen. Ich habe das Gefühl sie küssen zu wollen.

Wie es sich wohl anfühlen würde, ihre weichen Lippen zu berühren? Ihr durch ihr helles Haar zu streichen. Mein Mund wird ganz trocken und im nächsten Moment bricht sie den Blickkontakt ab.

"Gut, dann komme ich eben nicht.", meint sie und bringt mit ihrem plötzlichen Ton Distanz zwischen uns.

"Okay.", ich nicke. Ich habe erreicht, was ich wollte. Sie bleibt zuhause und ich brauche mir keine Sorgen um sie zu machen.

Trotzdem hat dieser Moment  mich gerade völlig aus dieser Bahn geworfen und ich wünsche mir irgendwie, ich könnte auch hier bei ihr bleiben.

"Dann werde ich mal gehen.", murmele ich und verlasse das Zimmer mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen.

°°°

Das Haus, indem Mac wohnt, ist groß und übermäßig beleuchtet.

Ich war schon so oft hier und irgendwie muss ich trotzdem immer an einen bestimmten Abend denken, wenn ich hier bin. Der Abend, an dem Mac, Nora, Jolene und ich in seinem Zimmer saßen.

Wir haben alten Wein von seinem Dad getrunken, wofür er hinterher eine Woche Hausarrest bekommen hat. Es war der erste Abend, den wir zu viert zusammen verbracht haben. Wir haben Musik gehört und Stundenlang gequatscht, bis wir völlig angetrunken und müde waren.

Ich kann mich noch so gut daran erinnern, weil es einer der schönsten Tage war, den wir zusammen verbracht haben. Da war irgendwie alles so toll, keiner hat sich Gedanken über die Zukunft oder irgendeinen Beziehungsstress gemacht.

Wir haben den Moment genossen, und das ist danach nur noch selten passiert.

"Da bist du ja!", Jolene wirft von hinten die Arme um mich.

"Ich habe dich beim Joggen vermisst.", sie legt ihr Kinn an meine Schulter.

"Ich konnte nicht, tut mir leid.", vorsichtig mache ich mich von ihr los und drehe mich zu ihr um.

Sie trägt ein enges schwarzes Kleid, und darunter zeichnet sich ihre mittlerweile zu schlanke Figur genau ab. Ihre Knochen sind an allen erdenklichen Stellen durchzusehen.

Ein unwohles Gefühl zieht durch meinen gesamten Körper, wenn ich sie so ansehe.

"Du... geht es dir gut?", in der Schule trägt sie meistens weite Klamotten, weswegen es ungewohnt ist, sie so zusehen. Sie kommt mir dünner als sonst vor. Nicht dünner. Mager.

"Klar. Wie gefällt dir das Kleid? Ein Zehner bei Ebay.", sie dreht sich, um mir ihr Kleid zu präsentieren.

"Es steht dir.", murmele ich unsicher. Was soll ich nur mit ihr machen? Fällt denn sonst niemandem auf, wie sie aussieht? Ich atme tief durch und wir gehen rein.

"Bereit für einen lustigen Abend? Ich war schon so lange auf keiner Party mehr.", höre ich Jolene euphorisch neben mir sagen.

"Jep. Ich hole uns erstmal einen Drink.", Alkohol könnte mir jetzt helfen. Mit genügend davon hätte ich vielleicht eine Chance, die Party nicht schon nach zehn Minuten zu verfluchen.

"Ich... hatte mir vorgenommen, nicht zu trinken.", entgegnet Jolene.

"Was?", die Musik dröhnt an meine Ohren und ich bin nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden habe.

"Ich möchte keinen Alkohol trinken.", schreit sie nah an meinem Ohr.
"Bist du mit dem Auto? Ich kann meinen Dad fragen, ob er uns abholt.", erwidere ich.

"Nein, darum geht es nicht.", ich verstehe nicht ganz. Natürlich ist es gesünder, keinen Alkohol zu trinken, aber Jolene ist immer diejenige von uns gewesen, die am meisten getrunken und nie verzichtet hat.

"Worum geht es dann?"

"Weißt du, wie viele Kalorien in Alk sind? Ich will meine Figur nicht kaputt machen.", meint sie schulterzuckend.

"Was? Du machst doch mit einem Drink deine Figur nicht kaputt.", ich schaue sie irritiert an.

"Ich will einfach nicht.", wiederholt sie.

Ich bin wie hin und hergerissen. Einerseits will ich nicht diejenige sein, die andere zu ungesunden Sachen überredet. Aber andererseits verhält Jolene sich nicht normal.

Abgesehen vom Alkohol, aber sogar in dem Thema macht sie sich Sorgen?

"Okay.", murmele ich und nicke. Ich werde einfach nichts dazu sagen. Ich werde sie ganz bestimmt nicht zwingen zu trinken, damit sie mal ein paar Kalorien mehr zu sich nimmt.

Ich verlasse sie und gehe in die Küche, um mir einen Drink zu holen. Ich begrüße Eve und Mac, die am offenen Fenster stehen und sich verliebt anschauen.

Im Wohnzimmer ist alles voll mit bereits angetrunkenen, tanzenden Jugendlichen. Allerdings niemand, den ich gut genug kenne, um mit ihm zu sprechen. Ich suche Nora eine Weile, aber finde sie nicht. Wahrscheinlich macht sie irgendwo mit Chase rum.

Als ich gar nicht mehr weiter weiß, flüchte ich mich auf den Balkon. Er ist so klein, dass kaum Jemand ihn überhaupt bemerkt, aber ich kenne ihn zu gut.

Ich liebe es, bei Partys dort zu sitzen und eine kleine Pause von dem Trubel und der dröhnenden Musik zu bekommen.

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt