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Naomi

"Sind bei dir auch Jungs mit langen Haaren, wo du zur Schule gehst?", Sophie leckt an ihrem blauen Eis. Ihr gesamter Mund ist blau, aber das scheint sie nicht zu stören. Zum Glück habe ich Taschentücher eingepackt.

"Natürlich.", antworte ich.

"Ist das schlimm?"

"Warum sollte es?"

"Weil die sich ja dann auch die Haare kämmen müssen. Stört die das nicht?"

"Nein, das scheint sie nicht zu stören.", erwidere ich schmunzelnd.

"Wenn meine Mum mir die Haare kämmt, tut das immer so weh!", beschwert sie sich. Allmählich frage ich mich, wie Kinder nur so unglaublich viel reden können.

Sophie labert mir jedes Mal mehr als ein Kotelett an die Backe, wenn ich auf sie aufpasse.

"Aber Hayden hatte auch mal ganz kurze Haare, also wie ein Junge. Da musste sie die gar nicht kämmen.", erzählt Sophie.

Ich erinnere mich an Sophies große Schwester zurück. Sie hat blonde, kurze Haare, die ihr bis zur Schulter reichen.

"Findest du, ihr stehen kurze Haare?", fragt Sophie weiter. Sie wartet gar nicht auf eine Antwort. "Hattest du auch mal so kurze Haare?"

"Ich hatte sie bisher nur bis hier.", ich deute an meinem Hals die Länge meiner Haare an. Ich mag es am liebsten, wenn meine dunklen Haare ein bisschen über die Schulter gehen.

"Du hast recht, mit dir ist Spazieren viel besser!", sagt Sophie und leckt an ihrem Eis.

"Hab ich doch gesagt. Das nächste Mal kannst du deine Mum ja fragen, ob sie dir auch ein blaues Eis kauft. Ich bin sicher, das macht sie.", schlage ich vor.

"Auf jeden Fall.", trällert sie.

Als wir wieder in der Wohnung der McJannes sind, spiele ich mit Sophie UNO. Sie verliert zweimal und das dritte Mal lasse ich sie gewinnen, obwohl sie wirklich ziemlich ungeschickt spielt.

Aber das liegt wohl daran, dass sie die ganze Zeit von irgendetwas anderem redet und sich kaum aufs Spiel konzentriert. Und, weil man mit vier noch kein UNO verstehen kann.

"Aber wenn Hayden mich abholt, dann holt sie mich immer schon voll früh ab und dann kann ich nicht mehr mit Jenny spielen.

Aber Jenny wird immer erst eine Stunde nach mir abgeholt oder so, ich weiß es nicht genau.", sie legt eine gelbe sieben über die grüne sechs.

"Wer lästert da über mich?", Hayden steht plötzlich in der Tür. Sie grinst uns an, sieht aber ziemlich erschöpft aus. Das Grinsen reicht nicht bis zu ihren müden Augen, die mit einem dicken Lidstrich schwarz umrahmt sind.

"Hayden!", ruft Sophie fröhlich, als sie sich zur Tür umdreht.

"Ich habe gerade schon einmal gegen Naomi gewonnen!", erzählt sie ihr.

"Super, Sophie.", entgegnet Hayden. Sie trägt ein langes schwarzes Shirt und darunter eine oversized Jeans, die sehr durchlöchert ist. Durch die Löcher scheint eine Netzstrumpfhose hindurch.

An den Armen trägt sie tausende von gold und silber gemischten Armbändern und ihre Hände sind von silbernen Ringen übersät. Bisher hatte sie immer etwas ähnliches getragen. Eigentlich viel zu warm für die Hitze, die draußen herrscht.

"Willst du mitspielen, Hayden?", fragt Sophie hoffnungsvoll. Sie zieht die Unterlippe vor und sieht ihre Schwester mit einem Hundeblick an. Ich muss grinsen.

"Ich koche erst einmal etwas zum Mittag. Später, ja?", sie verschwindet in der Küche.

"Okay.", Sophie klingt traurig, aber als sie sich wieder zu mir umdreht, ist ihr fettes Grinsen zurück.

"Ich komme sofort wieder, okay?", murmele ich und werfe ihr einen entschuldigenden Blick zu, ehe ich Hayden in die Küche folge.

Sie steht an der Theke, lehnt ihre Hände an der Kante und lässt den Kopf hängen. Der Anblick jagt mir eine Gänsehaut über die Arme.

"Hey, alles gut?", ich mache einen Schritt auf sie zu. Ich bin unsicher, wie ich mich verhalten soll. Sie tut mir leid und ich möchte ihr helfen, aber ich wüsste selbst nicht wie.

Sie zuckt ein wenig zusammen, als sie hochfährt und mich in der Tür stehen sieht.

"Klar, nur ein bisschen müde. Habe so viel zu lernen, du auch?", sie entfernt sich von der Theke und lächelt mich leicht an, wobei sie ein wenig errötet, als hätte ich sie bei irgendetwas erwischt.

"Ja, Klausurenphase.", ich nicke und presse die Lippen aufeinander.

"Wenn ich dir mit irgendwas behilflich sein kann... ", beginne ich, aber breche ab.

"Ach nein, schon gut. Ich denke, du hilfst uns schon sehr, in dem du auf Sophie aufpasst."

Mein Herz pocht in meiner Brust, und ich weiß nicht, ob es an ihr liegt oder daran, dass ich sie in so einem emotionalen Zustand sehe. Ich kenne sie überhaupt nicht und weiß nicht, wie ich sie einschätzen soll.

Ich habe den Eindruck, sie ist eher schüchtern und hat Probleme, sich Menschen zu öffnen, weniger, dass es ihr tatsächlich so gut geht, wie sie behauptet. Aber andererseits würde niemand einer Fremden seine Probleme erzählen.

"Okay.", ich nicke wieder. Nicke ich zu oft?

"Nicht, dass ich dich nicht hier haben möchte-"sie schüttelt energisch den Kopf.

"Nein, so hatte ich es auch nicht aufgenommen.", ich versuche mich an einem leichten Lächeln.

"Okay.", sie nickt und schaut zu Boden. Gott, ist das unangenehm.

"Ich gehe dann mal wieder zu Sophie.", meine ich. Hayden holt ein paar Zutaten aus dem Kühlschrank, während sie wieder nickt.

"Falls du doch noch Hilfe brauchst, dann sag Bescheid.", murmele ich. 

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt