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Hayden

Als ich wieder leise die Wohnungstür hinter mir schließe, schrecke ich auf, weil Mum in der Tür des Flures steht. Sie sieht müde aus, lehnt im Türrahmen, im Pyjama und die Arme vor der Brust verschränkt.

"Du hast mich erschrocken.", sage ich und halte mir die Hand an mein Herz.

"War das Naomi? Was hat sie so spät noch hier gemacht?", fragt Mum, während ich mir die Schuhe von den Füßen streife.

"Wir wollten lernen.", antworte ich schulterzuckend.

"So so.", erwidert sie.

"Wir waren leise, ich dachte, du würdest schlafen."

"Ich habe Sophie ins Bett gebracht, konnte dann aber nicht mehr schlafen. Weißt du, ich wollte mit dir reden.", sie wird immer leiser.

"Was ist denn?", ich kenne diesen Tonfall. Er tritt immer dann auf, wenn Mum sich Sorgen macht.

"Die Babysitterin... ich wollte dich damit entlasten. Ich meine, du sollst rausgehen und deine Jugend genießen, und nicht ständig auf deine Schwester aufpassen.Ich dachte, ich könnte mehr arbeiten und das mit dem Geld würde irgendwie funktionieren, aber das tut es nicht. Mein Chef hat viele Azubis eingestellt, und er hat nicht noch mehr Arbeit für mich. Unser gesamtes erspartes ist leer und wir können bald auf die Straße ziehen, wenn wir nichts ändern."

Sie hält kurz inne und wartet darauf, dass ich etwas dazu sage, aber das tue ich nicht. Ich lasse sie weiter sprechen, bis sie mir sagt, was sie damit meint.

"Ich möchte nicht, dass du mehr arbeiten gehst oder mir mehr davon gibst, du unterstützt uns sowieso schon genug und was du selbst verdienst, solltest du auch selbst behalten dürfen. Ich kann nur Naomi leider nicht mehr bezahlen und deshalb habe ich überlegt, dass wir vielleicht in eine kleinere Wohnung ziehen könnten.", ihr Blick versteift sich, und ich sehe in ihrem Ausdruck, wie verdammt groß ihre Existenzängste sind.

Und ich selbst platze genauso vor Angst.

"Ich habe die Woche über schon im Internet geschaut, es gibt hier in der Nähe eine Siedlung, in der sehr günstige Wohnungen vermietet werden. Vielleicht ist es nicht das beste Umfeld, aber du könntest so weitermachen wie bisher, müsstest nicht die Schule wechseln. Die Wohnung wäre dann kleiner, aber ich könnte auch auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer schlafen und ihr hättet dann beide ein kleines eigenes Zimmer. Natürlich wäre das kleiner als hier, aber wenigstens etwas."

Ich nicke. Natürlich liebe ich unserer Wohnung und die Siedlung, in der wir leben. Aber ich weiß, dass weniger Kosten uns extrem entlasten würden. Ich will nur, dass Mum weniger Sorgen hat.

"Wir müssen Naomi auch nicht weiter als Babysitterin haben, Mum. Wenn das zu teuer ist, kann ich mich auch um Sophie kümmern."

"Nein, Schatz. Naomi ist nicht besonders teuer, es liegt nicht nur daran. Das ist das mindeste, was ich für dich tun kann. Du sollst Zeit für deine Freunde haben und dich um deine Zukunft kümmern. Das kannst du nicht, wenn du arbeitest und gleichzeitig viel zu viel lernst, und dich dann auch noch um deine kleine Schwester kümmerst."

"Okay.", ich nicke und sage dann nichts mehr, weil Mum sich sowieso nicht mehr überzeugen lässt. Sie hat ja recht, aber trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl, weil sie das nur wegen mir macht.

Ich seufze in mich hinein. Alles wird schon gut. Wenn ich mir das ganz oft sage, dann wird es vielleicht irgendwann wirklich gut.

Ich gehe nach oben in mein Zimmer, ziehe mich um und lege mich dann ins Bett.

Ich bin jetzt viel zu aufgekratzt, um zu schlafen. Stattdessen zücke ich mein Handy hervor und gehe auf Naomis und meinen Chat.

Ob ich ihr noch schreiben sollte? Sie ist sicherlich noch wach. Vielleicht würde ein kurzes Gespräch mit ihr mir helfen, nicht an all die Probleme nach zu denken, die Mum gerade angesprochen hat.

Ich überlege, was ich schreiben könnte, da kommt sie mir zuvor.

Naomi: Ich sehe, dass du online bist. Geh endlich pennen, junge Dame!

Ich muss grinsen. Ich stelle mir vor, wie sie wie ich gerade im Bett liegt und versucht, einzuschlafen.

Ich: Erwischt ^-^

Naomi: Gute Nacht, Hayden

Ich: Gute Nacht :)

Ich bin im Begriff, mein Handy auf meinen Nachttisch zu stellen, als es erneut vibriert.

Naomi: Träum was Schönes!

Mein Herz beginnt zu rasen. Wann habe ich das letzte Mal etwas schönes geträumt?

Ich starre auf die Nachricht und Panik steigt in mir auf.

Warum musste sie mich an diesen verdammten Traum erinnern? Wieder flimmern die Bilder vor meinem inneren Auge auf. Naomi unter der Menschenmasse angsteinflößender Psychos. Die Straße. Der weiße Van. Mir bricht der kalte Schweiß aus.

Wenn ich abends daran denke, dass ich wieder einen Albtraum haben könnte, kann ich nicht einschlafen. Schnell hole ich meine Kopfhörer aus dem obersten Regal meines Nachttisches und stecke sie mir in die Ohren.

Ich mache meine Playlist an und versuche, an etwas anderes zu denken. Nur kann ich an nichts anderes denken, als die letzten Stunden mit Naomi. Und Naomi erinnert mich jetzt an meine Träume. 

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt