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Hayden

Sophie rennt den ganzen Weg lang vor und wartet dann an der nächsten Ampel auf uns, während wir uns über alles und nichts unterhalten.

"Ich kenne auch einen Spielplatz in der Nähe. Da bin ich immer mit meiner Cousine hingegangen.", sagt Naomi auf einmal und folgt mit dem Blick den Straßen, als würde sie in Erinnerungen schweben.

"Ist der groß?", fragt Sophie sie.

"Sehr sogar."

"Gibt es da auch so eine gewellte Rutsche?", hakt meine kleine Schwester weiter nach.

"Soweit ich weiß ja?", Naomi sieht zwischen Sophie und mir hin und her.

"Gehen wir dahin, Hayden?", sie hüpft auf der Stelle auf und ab und sieht dabei zu mir hoch.

"Von mir aus.", ich zucke mit den Schultern.

"Yayy! Ein großer Spielplatz mit gewellter Rutsche!", jubelt Sophie. Naomi und ich sehen uns lächelnd an.

Also folgen wir die nächste Viertelstunde Naomis Wegbeschreibungen.

Eine Milliarde von kleinen Nebenstraßen und ein Reihenhaus nach dem anderen. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein. Die Gegend ist mir völlig neu.

Als wir wieder an einer Hauptstraße ankommen, weiß ich plötzlich, wo wir sind. Also, ich weiß es nicht. Aber ich kenne diese Straße.

Ich kenne sie ganz genau. Ich kenne jeden Stein und jedes Kaugummi auf dem Boden. Mein Puls beschleunigt sich und mir wird eisig kalt und zugleich bricht mir der Schweiß aus. Diese Straße.

Ich habe sie so oft gesehen. Immer stand ich an der gleichen Stelle. Aber jetzt stehen wir auf der anderen Straßenseite. Panisch schaue ich hinter mich.

Der weiße Van.

Er ist nicht da. Das ist nicht echt.

Wir stehen genau da, wo der weiße Van immer steht. Hektisch drehe ich mich um meine eigene Achse. Lauter Menschen laufen die Straße entlang, alles wirkt so natürlich. Keine Spur von all den gruseligen Gestalten aus meinen Träumen.

Es ist alles anders als in meiner Erinnerung aber gleichzeitig fühlt es sich genau so real an wie in jedem meiner verfickten Träume.

"Hayden? Du bist so blass.", höre ich Naomis Stimme neben mir. Ich bleibe stehen, ringe nach Luft.

Eins, zwei, drei Sekunden, dann lasse ich meinen Kopf hängen und schließe die Augen so fest ich kann. Ich halte die Luft an. Es klappt immer, wenn ich die Luft anhalte. Neben mir fragen Naomi und Sophie mich, was los ist, aber ihre Stimmen dringen nur entfernt zu mir durch.

Siebzehn, achtzehn, neunzehn, ich zähle die Sekunden, aber nichts passiert. Ich schaue auf, und diese Straße liegt immer noch vor mir. Wieder schaue ich hinter mich.

Wieder scanne ich alle Menschen ab, die mir in die Augen treten. Wieder ringe ich nach Luft. Mein Puls steigt weiter an, mir wird heiß. Ich kneife die Augen zusammen, halte wieder die Luft an. Warum funktioniert es nicht, wieso wache ich nicht auf?

Tränen rinnen mir übers Gesicht, meine Beine werden weich. Mir springen alle möglichen Szenen durch den Kopf. Der weiße Van.

Die alte Dame. Der Psycho Blick. Naomi. Meine Beine lassen nach, wieder ringe ich nach Luft, vor meinen Augen wird alles schwarz mit kleinen Sternchen, die blinken und blitzen und vor meinen Augen hin und her hüpfen. Ich blinzle heftig, halte mir die Hand an mein Herz, das mir bis zum Hals schlägt.

Meine Kehle wird trocken, mein Kopf schwer, ich falle. Ich schwebe. Wann wache ich endlich auf? Ich schließe meine Augen, und halte wieder die Luft an.

°°°

Als ich das nächste Mal die Augen öffne, tritt direkt ein stechender Schmerz in meinen Kopf. Alles ist verschwommen und dreht sich, also schließe ich die Augen direkt wieder.

Meine Arme und Beine fühlen sich schwer an. Ich versuche, mich aufzusetzen. Eine Hand kommt aus dem Nichts, packt meinen Arm und zieht mich hoch. Ich schreie auf.

"Alles ist gut, ich bin es.", ich erkenne Mums Stimme und versuche, die Augen zu öffnen, aber meine Lider fühlen sich schwer an.

Es ist, als wäre ich nicht lebendig und nicht tot, irgendetwas dazwischen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern und versinke in stechende Schmerzen an allen erdenklichen Stellen meines Körpers.

°°°

Ein ekelhafter Geschmack von Magensäure gemischt mit Brokkoli Suppe klebt auf meiner Zunge. Ich öffne die Augen und sehe mein Zimmer, alles ist noch genauso, wie ich es zurückgelassen habe.

Auf dem Schreibtisch liegen Naomis und meine Schulsachen und die kleine Schreibtischlampe ist an. Ich liege in meinem Bett, mit Klamotten und Schuhen. Bei dem Versuch, mich aufzusetzen, beginnt mein Kopf höllisch weh zu tun und mir wird ein wenig schwindelig.

Ich lasse mich zurück ins Kissen sinken und seufze. Was ist nochmal passiert?

"Mum?", meine Stimme klingt ein wenig heiser.

Ich höre laute und schnelle Schritte, bis meine Mum schließlich ins Zimmer gestürmt kommt.

"Schatz, du bist aufgewacht. Wie geht es dir?", sie setzt sich an mein Bett und sieht mich mit verzweifeltem Ausdruck an.

"Ganz okay.", murmele ich.

"Du hattest anscheinend eine Panikattacke und bist umgefallen. Die Notaufnahme ist komplett überfüllt, also dachte ich, ich bringe dich erstmal nach hause, bis du aufwachst.", ich erinnere mich vage an das, was passiert ist.

Ich hatte das Gefühl, zu träumen. Was genau es war, weiß ich nicht mehr.

"Mir geht es gut, ich brauche keinen Arzt. Ich habe wahrscheinlich nur etwas zu wenig geschlafen und mir zu viele Sorgen gemacht wegen den Vorabiklausuren.", weiche ich aus.

"Ruh dich aus, mein Schatz. Es wird bald besser.", sie schenkt mir ein vertrautes Lächeln. 

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt