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Hayden

Ich nicke wieder.

Ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie sie dabei ist, das Zimmer zu verlassen, aber dann doch vorher stoppt.

"Oder willst du jetzt eine Runde mit uns spielen, und wir kochen danach zusammen? Vielleicht macht dir das bessere Laune.", ich sehe wieder zu ihr. Sie sieht nervös aus. Ich finde es süß, dass sie sich solche Gedanken über mich macht, aber ich mache mir dadurch auch zu viele Gedanken.

Ob sie vielleicht falsch von mir denkt. Ich wollte nicht, dass sie mich so sieht. Ich habe nicht gemerkt, wie sie in die Küche gekommen ist. Und jetzt ärgere ich mich darüber, dass sie meine Schwäche gesehen hat.

Ich fühle mich so ausgelaugt, habe zu viel gelernt und zu wenig geschlafen. Gleichzeitig bin ich hin und hergerissen zwischen der Rechtskunde Klausur und dem Treffen mit Eve.

Ich habe ihr so halb zugesagt und jetzt plant sie einen Übernachtungs Abend mit Reeses mit weißer Schokolade, einer schnulzigen Liebeskomödie und einer Menge Wein zum Abschalten. Ich weiß, dass ich sowieso hingehen werde, einfach weil das zu süß von Eve ist.

Und jetzt weiß ich nicht, was ich Naomi antworten soll. Wenn sie sich schon solche Gedanken macht, sollte ich ihr auch zuvorkommen, oder? Außerdem würde ich sie gern besser kennenlernen.

"Okay.", murmele ich und folge Naomi ins Wohnzimmer. Ihre Haare wippen ein wenig mit ihren Schritten mit und das hat eine Wirkung auf mich, die ich nicht beschreiben kann.

"Spielst du doch mit, Hayden?", Sophies Augen werden groß und sie schnappt sich sofort die Karten und versucht, sie zu mischen. Aber sie ist erst vier, und sie kann das noch nicht wirklich.

Sie legt die Karten auf den Tisch und wirft sie alle durcheinander.

"Soll ich das vielleicht machen?", ich lege Sophies Hände sanft von den Karten weg und sammle sie auf. Naomi hilft mir.

"Obwohl sie es behauptet, denke ich nicht, dass sie den Sinn des Spiels verstanden hat.", kommentiert diese, während wir die Karten mischen. Sophie spielt mit dem Saum ihres Hello-Kitty Shirts.

"Ich habe es ihr schon ein paar Mal erklärt, aber sie versteht es noch nicht. Nur, die Spiele, die sie im Kindergarten spielt, sind mir zu langweilig, deshalb spiele ich mit ihr nur UNO und sowas.", erzähle ich.

"Da bin ich auch froh drüber, weil ich die sonst auch mit ihr spielen müsste.", entgegnet sie. Wir müssen beide schmunzeln.

"Fangen wir jetzt an?", meine kleine Schwester wackelt ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her.

"Zappel nicht so, das macht mich nervös.", sage ich ihr und teile die Karten aus.

Sie hört auf und nimmt sich ihre Karten.

Die nächste halbe Stunde spielen Naomi und ich eher zu zweit als mit Sophie, weil Sophie einfach irgendwelche Karten legt.

Jedes Mal, wenn sie beispielsweise eine blaue vier über eine rote eins legt, werfen Naomi und ich uns einen amüsierten Blick zu. Es macht tatsächlich ziemlich viel Spaß, bis Sophie kurz vorm Ende aufhört, weil sie keine Lust mehr hat.

Erst dann holt mich die Realität wieder ein. Ich muss noch lernen, und kochen. Für einen kurzen Moment bereue ich, mit Naomi und Sophie gespielt zu haben und dadurch meine Zeit verschwendet zu haben.

Nein, das war keine Zeitverschwendung.

Also, im Prinzip schon, aber wenigstens habe ich Zeit mit Sophie verbracht, was auch schon lange nicht mehr so wirklich vorgekommen ist. Also, außer sie zum Arzt zu Begleiten, meine ich.

°°°

Die Gegend, in der Eve wohnt, kenne ich nur zu gut. Fast besser, als die Gegend, in der ich wohne.

Früher sind Eve und ich so oft durch die Straßen geschlendert und haben über irgendwelche Leute aus unserer Klasse gelästert.

Manchmal haben wir Klingelstreiche gemacht, aber nur bei Häusern, wo die Besitzer Eves Eltern nicht kannten. Wir haben uns beim Kiosk an der Ecke zum Kreisverkehr Gummibärchen und Eis gekauft. Einmal haben wir versucht, Zigaretten zu klauen, aber wir wurden erwischt.

Und weil da immer nur ein Typ arbeitete, haben wir uns danach drei Sommer lang nicht mehr getraut, da hinzugehen. Weil es uns so peinlich war. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir seitdem gar nicht mehr da.

Ich gehe den kleinen steinversäten Weg bis zum Haus von Eves Familie. Sie hat einen großen Bruder. Er heißt Dave und ist fast nie zuhause, weil er mit seinen Freunden die Nächte durchmacht und am nächsten Tag schwänzt.

Obwohl Eve schon viel Scheiße gemacht hat, ist sie also trotzdem nicht das Problemkind der Familie.

Und das ganze, obwohl Eves Eltern eigentlich total vernünftig sind. Sie haben beide gute Jobs und verdienen ziemlich viel, aber deshalb sind sie auch selten zuhause.

Jedes Mal, wenn ich Eve frage, sind sie auf irgendeiner Business Reise, weswegen Eves Haus für eine Übernachtungsparty immer die erste Auswahl war. Zwar arbeitet meine Mum noch mehr, aber sie geht auf keine Geschäftsreisen.

Ich klingele und warte ein paar Sekunden, bis ich von drinnen Schritte höre. Ich werde ein wenig nervös, aber das bin ich gewohnt.

Irgendwie bin ich immer nervös, wenn ich irgendwen besuche. Es ist komplett egal, wer das ist.

"Hayden, da bist du ja endlich!", Eve fällt mir um den Hals, ehe sie die Tür öffnet.

"Tut mir leid, ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, nicht wenigstens einmal in die Rechtskunde Unterlagen zu schauen, bevor ich hier herkomme.", gebe ich zu und lege meine Arme um sie.

"Ich habe alles geplant. Kennst du Shape of Water?", fragt sie mit aufgeregter Stimme.

Ich schüttele den Kopf.

"Echt nicht? Wie kann man den denn nicht kennen?", erwidert sie entsetzt.

"Aber auch gut, weil wir den heute gucken werden."

"Schon wieder so eine schnulzige Romanze? Du weißt doch, dass ich darauf nicht stehe, Eve!", wir gehen durch den Flur in Eves Zimmer, wo sie bereits viele kleine Schalen mit den unterschiedlichsten Snacks hingestellt hat.

"Nein, ich schwöre, da ist kein Schnulz bei. Nur eine gute Romanze. Wobei keine typische.", sie senkt den Kopf nach rechts.

"Du wirst schon sehen.", meint sie schließlich und grinst in sich hinein. Irgendwie sieht das niedlich aus.

Auf dem übergroßen Bett hat sie ganz viele Kissen drapiert und zwei Kuscheldecken hingelegt, die zwar für die Temperaturen viel zu warm sein werden, aber ich finde es trotzdem schön, dass sie sich solche Mühe gemacht hat.

Ich bin so müde, dass ich schon nach der Hälfte des Films neben Eve einschlafe, die Eliza Esposito bis zum Ende zusieht, wie sie sich in einen Amphibien Mensch verliebt.

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt