Kapitel 24 ~ Die Zukunft der Vergangenheit

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Schon seit fünf Tagen war ich hier. Schon seit fünf Tagen hatte ich mein normales Leben verlassen und bin an der Nordsee untergetaucht. So langsam aber sicher legte sich das Chaos in meinem Kopf, welches durch Katherine entstanden ist.
Vorhin hatte ich noch mit Madison telefoniert. Als sie hörte, was geschehen war und wo ich mich befand, fiel sie fast aus allen Wolken. Sie hielt mir vor, dass ich einfach so gegangen bin, ohne was zu sagen. Sie hielt mir vor, dass ich nicht nur Katherine, sondern auch Lexa verletzt habe. Sie hielt mit bestimmt über eine Stunde einen Monolog darüber, dass ich aufhören solle wegzurennen. Und ja, sie hatte recht ich renne weg. Ich renne weg von allem, was ich selbst nicht zu kontrollieren vermag. Ich hatte einfach gewaltige Angst davor die Planung meines Lebens in vier statt zwei Händen, meinen eigenen Händen zu legen.
Irgendwann hatte sie sich von ihrem ersten Schock erholt, sowie ihren Monolog beendet. Danach wurde das Gespräch um einiges freundlicher und netter. Aber wirklich weiter geholfen hatte sie mir trotzdem nicht. Zumindest nicht bei der Lösung des Dramas. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, dass ich aus ihrem Haus buchstäblich geflohen bin. Einfach zurückkommen und so tun, als wäre nicht passiert ist nicht möglich. Abgesehen davon, weiß ich immer noch nicht was ich Lexa sagen soll.

Nach dem Telefonat fühlte ich mich wieder schlechter. Das Chaos in meinem Kopf wurde wieder lauter. Egal wie sehr ich versuchte dagegen anzukämpfen. Jedoch ist mir nun etwas klar geworden. Lexa war ein Fehler und Katherine war... was Katherine für mich war wusste ich nicht.

Wie auch die letzten Tage bereitete ich mir ein unspektakuläres Abendessen zu. Ich hatte zwar eingekauft, aber wirklich etwas Sinnvolles war dabei nicht herumgekommen. Nachdem ich gegessen hatte, lief ich, wie jeden Abend, am Strand entlang. Einfach den Kopf freibekommen und an nichts denken. So war es zumindest jedes Mal aufs Neue mein Plan. Nur leider funktionierte der Plan nicht sonderlich gut. Ich dachte nun um so mehr nach. Nicht nur über das Chaos in meinem Kopf, sondern auch über meine Vergangenheit. Dieser Ort bringt einfach zu viele Erinnerungen mit sich.
An den Tagen, an denen ich etwas früher unterwegs war als sonst, kamen mir ab und zu Familien mit Kindern entgegen. Ich fragte mich, ob wir früher auch für andere so ausgesehen hatten. Ob wir auch so viel Glück und Freude ausgestrahlt haben.
Mittlerweile bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass wir wahrscheinlich niemanden das Gefühl von Freude und Glück geschenkt hatten. Ich erinnerte mich daran, wie verkrampft meine Eltern die meiste Zeit waren, da sie sich dauernd über irgendwelche Sachen stritten. Irgendwann wurden die Familienaktivitäten immer weniger und irgendwann hörten sie ganz auf. Denn als ich älter wurde, durfte ich immer eine Freundin mit hierhernehmen. Somit waren wir immer zu zweit unterwegs.  Früher habe ich mich natürlich darüber gefreut und mir nichts dabei gedacht. Aber heute weiß ich, dass meine Eltern dies auch aus Eigeninteresse getan hatten. Welche Eltern nehmen auch sonst kostenlos ein fremdes Kind mit in den Urlaub.
An anderen Abenden, so wie heute, war es schon stockdunkel und niemand war mehr an Strand unterwegs. Nur ganz selten sah man eine Person, welche wie ich planlos durch die Gegend streifte. Ob es ihnen genauso, oder ähnlich erginge wie mir? Vielleicht bin ich nicht die einzige Person, welche hier ihren inneren Frieden wiederherstellen will.

Nach ungefähr einer Stunde kam ich an einem Leuchtturm an. Eigentlich war ich ohne Ziel unterwegs gewesen, aber mein Unterbewusstsein hatte eine andere Idee. Früher war dieser mein Versteck gewesen, wenn ich alleine sein wollte. Wenn meine Eltern sich zum Beispiel wieder gestritten hatten. Hier konnte mich keiner finden und ich konnte in Ruhe nachdenken, ohne das mich jemand stören konnte. Je älter ich wurde, desto wichtiger wurde mir dieser Ort. Ich kam oft hier her, wenn es mir schlecht ging, oder wenn mir alles einfach zu viel wurde.
Niemand wusste von diesem Ort. Niemand außer Charly. Charly war meine frühere Freundin. Wir waren knapp 4 Jahre zusammen gewesen. Wir waren paar mal zusammen hier gewesen und nach oben geklettert und haben uns den Sonnenuntergang angesehen.
Bei diesen Erinnerungen verkrampfte sich mein Magen. Nach Charly hatte ich keine wirkliche Beziehung mehr gehabt.

Ich entschloss mich die Treppe des Leuchtturms hochzusteigen. Als ich oben ankam, lehnte ich mich ans Geländer und zündete mir eine Zigarette an. Meine Gedanken schweiften wieder zu Charly ab. Obwohl zwölf Jahre vergangen sind, glaubte ich das ein kleiner Teil meines Herzens sie immer noch liebte. Wir sind damals ohne einen Streit auseinander gegangen. Eigentlich hatten wir uns allgemein in den vier Jahren kaum gestritten. Als wir uns trennten, wollten wir Freunde bleiben. Jedoch hatte sich keiner von uns je wieder bei dem andern gemeldet. Irgendwie bereute ich es. Charly und ich waren immer das perfekte Team gewesen, auch vor unserer Beziehung. Wir wussten beide, dass eine Beziehung riskant war, riskant für unsere Freundschaft. Naja, am Ende schienen unsere Befürchtungen wahr geworden zu sein.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nie den genauen Grund erfahren habe. Also den Grund warum Charly sich von mir getrennt hatte. Sie meinte, dass sie mich nicht mehr so liebt, wie ich es verdient hätte, aber irgendwie glaubte ich, dass da mehr dahinter steckte.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich garnicht bemerkt hatte, dass ich nicht alleine war. Etwa einen Meter von mir entfernt stand eine weitere Frau am Geländer und schaute in den tief dunkelblauen Himmel. Im Gegensatz zu mir, schien sie mich sehr wohl bemerkt zu haben. In diesem Moment stand sie direkt hinter mir.
„Nicht erschrecken. Ich wollte nur auf mich aufmerksam machen, bevor sie mich für einen Verfolger halten. Sie haben mich vorhin nicht bemerkt, wo sie hier hergekommen sind.", sagte eine Stimme hinter mir.
Als ich mich umdrehte, fiel ich fast in Ohnmacht. Nicht weil sie mich erschreckt hat, sondern weil mir ihre dunkelblauen Augen so bekannt vorkamen.
„Charly?", sagte ich mit heiserer Stimme.

The Anderson Story (gxg) Where stories live. Discover now