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Elena

Ich lag die halbe Nacht wach. Während Lynn neben mir leise geschnarcht hat, habe ich über alles gegrübelt. Über das was passiert ist vergangene Nacht. Über ihn.
Er verschwindet nicht mehr aus meinem Gedächtnis, seine Stimme nicht mehr aus meinen Ohren. Seine Hand in meinen Haaren, sein klopfendes Herz. Ich fühle mich komisch, je länger ich darüber nachdenke. Merkwürdig.
Dabei ist er nichts Besonderes gewesen - nur eine Nacht, mehr nicht. Das hat er selbst gesagt. Und trotzdem kann ich ihn nicht vergessen. Was ist nur los mit mir?

Müde wälze ich mich in Richtung Fenster, schaue über meine schlafende beste Freundin hinweg hinaus in die Stadt. Es sind bereits gute fünfundzwanzig grad draußen, hat mir mein Handy vorhin angezeigt. Obwohl es erst neun Uhr ist. Ich fühle, dass es ein sehr warmer Tag sein wird.
Meine Finger ziehen gedankenlos die Strähnen meiner Haare nach, die neben mir auf dem Kissen liegen. Die dunkle Haarpracht schmiegt sich in die Laken, gibt nur wenig von ihnen preis. Ich versinke wieder in Gedanken. Diesmal driften sie zu Lynn und dem Kerl aus dem Club ab. Miros Bruder. Seinen Namen habe ich bereits vergessen, aber sein Gesicht nicht. Er schaut aus wie er, nur die kleine Narbe unter seiner Augenbraue unterscheidet sie.
Trotzdem sind sich beide noch zum Verwechseln ähnlich. Lynn wird sicher noch öfters heute über ihn sprechen. Ob sie ihn auch anrufen wird, so wie er sagte? Der kleine Zettel mit dem geprägten Logo des Mercury, liegt zwischen uns auf dem Nachttisch. Sie wird es tun.
»Was schaust du so? Denkst du etwa noch an gestern?«, stichelt Lynn mich müde. Sie ist gerade erst wach geworden. Seufzend erwidere ich ihren Blick und zucke mit den Schultern.
»Ich war nur in Gedanken«, murmle ich und schlage die Decke ein Stück zurück. Langsam, aber sicher wird mir zu warm unter der weichen Decke.
»Hm... vielleicht an den gutaussehenden Russen gestern?«, wackelt sie mit den Augenbrauen. Ich strafe sie mit einem bösen Blick.
»Nein«, Lüge ich.
Sie beginnt zu grinsen.
»Was habt ihr eigentlich zusammen gemacht? Du warst sehr lange weg«, möchte sie wissen und schwingt sich aus dem Bett.
Während sie zum Minikühlschrank läuft, um eine Flasche Wasser gierig zu leeren, überlege ich, ob ich es ihr erzählen soll. Ich entscheide mich dafür, da ich eigentlich keine Geheimnisse vor ihr habe. Davor setze ich mich auf, überkreuze die Beine und lehne meinen Oberkörper gegen das Kopfteil. »Er... er hat mich gerettet. Der Typ an der Bar wollte mich kidnappen, mir wehtun. Miro hat sich darum gekümmert und mich wieder zurück gefahren«, gestehe ich.
Lynn verschluckt sich sofort an ihrem Wasser und hustet aufgeregt. »Wie bitte?«, quietscht sie schrill und tastet mit weit aufgerissenen Augen auf den Stuhl neben ihr.
Plumpsend fällt sie auf ihn, stellt die Wasserflasche beiseite und deutet mir weiterzusprechen. »Das war das Ende. Mehr gibt es nicht zu sagen«, murmle ich und spiele an der Bettdecke. »Das soll es gewesen sein? Wann kommt die Stelle mit der heißen Affäre?«, kreischt sie ungläubig.
»Da war nichts. Können wir das Thema bitte wechseln?«
»Hm? Nein.«
Lynn erhebt sich vom Sessel und wirft mir eine gekühlte Flasche Wasser zu. »Willst du duschen und ich bestelle uns etwas zu essen?«, schlägt sie vor und legt den Kopf schief. Sie steht am Bettende, wartet auf meine Antwort. Dankend nehme ich die Flasche, trinke einen großen Schluck und schlage die Decke endgültig zur Seite. »Ja, mach das. Ich beeile mich«, versichere ich ihr und tapse Richtung Bad. Die Müdigkeit sitzt mir noch immer in den Knochen. Mein Körper fühlt sich an, als hätte ich zwei Tage nicht geschlafen, so ausgelaugt und fertig.
Im Badezimmer schalte ich das Licht ein, verriegle die Tür danach. Aus dem Zimmer höre ich wie Lynn Frühstück über das Telefon bestellt. Ich hoffe, es gibt eine ordentliche Dosis Kaffee für mich. Ab und zu schaffe ich es, eine Tasse zu trinken, ohne mich gleich übergeben zu müssen. Ich hasse es, aber ertrage es manchmal. Danach bin ich auf jeden Fall wacher.
Schnell entledige ich mich meinen Sachen, schalte die großzügige Dusche ein und steige unter den warmen Regenfall aus der Düse. Wie automatisch klappen meine Augen zu, genießen das Prasselnde nass auf meiner Haut. Das Wasser rinnt mir über das Gesicht, hinab auf meine Schultern, über meine Haare. Ich schäume mir meinen Körper mit Shampoo ein, welches nach Blumen duftet. Zehn Minuten später trockne ich mich ab.
Es dauert keine weiteren zehn Minuten, da bin ich umgezogen und habe mir die Haare getrocknet. Das warme Wetter hilft dabei.
Gerade als ich die Tür zum Zimmer öffne, das Licht lösche und mein Sommerkleid zurechtrücke, klopft es an der Eingangstür. »Zimmerservice«, ruft ein Russe mit starkem Akzent.
»Moment...«, rufe ich und gehe die drei Schritte durch den Flur nach links zur Tür. Meine Hand langt nach dem Knauf, der sich mit einem Mal umdrehen lässt. Die Tür springt auf, ein schicker Mann in Butler Kluft kommt mit einem kleinen Wagen zum Vorschein. Silberne Glocken verstecken das üppige Frühstück, welches auf einer weißen Tischdecke liegt. Der Mann räuspert sich, wackelt an seiner Krawatte und deutet auf den Boden. »Sie haben fallen gelassen Box«, erklärt er mir. Verwundert trete ich einen Schritt zurück und schaue hinab. Meine Augen werden groß. Vor der Türschwelle befindet sich eine schwarze edle Box, etwa so groß wie meine Hand. Das tiefe Schwarz gibt einen großen Kontrast zum beigen Umschlag, auf dem nichts notiert ist.

»Nein, nein, das ist nicht von uns«, versuche ich ihm zu erklären, gehe in die Knie, um beides anzuheben. Ich drehe den Umschlag zwischen meinen Fingern, suche nach einem Absender oder Namen - vergeblich.
»Dann Geschenk?«, zuckt der Mann mit den Schultern. Kopfschüttelnd beiße ich mir auf die Lippe. »Bringen sie das Essen einfach rein, ich werde die Schachtel nachher an der Rezeption abgeben«, beschließe ich. Er tut still, was ich sage, fährt den Wagen an den kleinen Tisch, an dem Lynn schon sitzt. »Danke«, grinst sie ihn an. »Guten Appetit«, wünscht er uns, verschwindet wieder.
Sobald er weg ist, plumpse ich wie Lynn vorhin auf den Stuhl am Tisch und lege die Box ab. »Ich weiß nicht von wem das sein soll...«, murmle ich verzweifelt und rätsle gedanklich. Wer würde uns etwas vor die Tür legen? Wir sind in einem fremden Land, kennen -
»Hey!«, beschere ich mich, als die Flugbegleiterin mir den Umschlag wegnimmt und ihn öffnet. »Was?«, nuschelt sie mit vollem Mund, »nur so finden wir heraus von wem es ist!«
Sie hat recht, aber es stimmt, mich komisch zu wissen, dass die Person unser Hotelzimmer kennt. Vielleicht ist der, der mich kidnappen wollte doch nicht allein gewesen? Was wenn er einen Komplizen hatte?

Schluckend lehne ich mich an und drücke mir einen der köstlichen Muffins in den Mund, um mich etwas zu beruhigen. Die Blaubeeren im fluffigen Teig sind noch warm. Lynn pfeift leise, wackelt mit den Augenbrauen. Mit gerunzelter Stirn schaue ich ihr in die Augen. Sie räuspert sich, überschlägt die Beine und beginnt langsam, vorzulesen:
»Elena, sieh es als ein Geschenk für gestern an.«
Ich schlucke erneut.
»Und mehr steht da nicht?«, will ich wissen, reiße ihr das geprägte Briefpapier aus den Fingern, um die Zeile selbst zu studieren. Die geschwungene Schrift kommt mir nicht bekannt vor. Sie ist mit Tinte auf das Papier gesetzt worden, ohne Verfasser. Aber mir ist sofort klar, von wem es stammen muss. Es gibt nur einen, der mir einfällt und der heißt Miro.
»Also lief da doch was?«, fragt Lynn aufgeregt. Schnell schüttle ich den Kopf und werfe den Brief auf den Tisch, um mir die Schachtel zu greifen. Ich öffne sie vorsichtig, halte die Luft an, als ich sehe, was darin liegt. »Dieser Mistkerl!«, entflieht es mir sofort. Ich reiße die Augen auf, schüttle den Kopf abermals. »Was? Was ist da?«, will meine beste Freundin neugierig wissen und lugt über den Rand der Schachtel. »Heilige Mutter Gottes! Elena das Ding ist mehr wert als alles was wir besitzen!«, staunt sie und schlägt sich die Hand vor den Mund. Uns beiden hat es die Sprache verschlagen.

Ehrfürchtig betrachte ich das funkelnde Armband aus Diamanten und polierten Rubinen, eingefasst in Gold.
Trag es, steht auf einem weiteren Zettel im Deckel geschrieben.
»Wie kann er nur...?«, frage ich mich selbst. Die Blonde mir gegenüber nimmt mir die Schachtel ab, mustert das Schmuckstück penibel. »Ich habe ja schon viel Schmuck gesehen, die die Frauen der reichen Ehemänner immer tragen, deswegen bin ich mir sicher, dass es echt ist. Allein die saubere, akkurate Verarbeitung und Einfassung der Steine. Wow...« Fasziniert löst sie es aus der Schatulle.
»Nicht«, schreite ich ein.
»Ich werde es ihm zurückgeben. Der spinnt doch! Was in aller Welt hat den denn geritten? Mir einfach so ein teures Schmuckstück zu schenken? Wir werden nachher zum Mercury und das Ding wieder abgeben!«, stelle ich klar. Ich bin sauer, überwältigt und noch wütender. Ich will wissen, was das soll. Nur weil ich es ihm einmal im Bentley besorgt habe, heißt das nicht das er mich, wie eine billige Nutte bezahlen kann!

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now