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Elena

Der Abschied von Miro hat mir das Herz auf eine ganz neue Weise gebrochen. Eine die ich vorher nicht kannte. Zwar hat Lynn versucht, mich zu trösten, aber nicht einmal die monströse Eiswaffel am Flughafen konnte mich zum Lachen bringen. Ich kann nicht fassen, dass es vorbei ist. Das wir wieder nachhause fliegen. Ich bin eingeschlafen an Lynns Schulter, erst aufgewacht, kurz bevor wir gelandet sind.
Wir haben uns ein Taxi geteilt, erst zu ihrer Wohnung und dann zu meiner. Dort bin ich todmüde ins Bett gefallen. Erst am nächsten Morgen ist mir aufgefallen, dass ich vergessen habe, Miro zu schreiben das wir gut angekommen sind. Danach bin ich zur Arbeit. Gehört habe ich erst am Abend etwas von ihm. Wir haben telefoniert, später geskypt. Es hat gutgetan mit ihm zu sprechen.
Nun sind zwei Wochen vergangen und ich habe heute Morgen das Armband in der Post erhalten, eingepackt in einer roten Schatulle. Bei der Arbeit darf ich es leider nicht tragen, aber in meiner Freizeit trage ich es. Gerade gebe ich Kaffeebohnen in die Maschine und schließe den Deckel. Der angenehme Geruch der frischen Kaffeebohnen macht sich sofort im Café breit. Ich fülle die überschüssigen Bohnen in eine Box, schraube sie zu und verstaue sie unter dem Tresen in einer der Schubladen. Das typische Londoner Wetter herrscht draußen. Meine Kollegin Stacy, die gerade bunte künstliche Blätter am großen Schaufenster verteilt, seufzt.
»Muss es immer regnen? Ich bin es langsam leid... Vielleicht ist, dass das Zeichen, das ich nach Panama auswandern soll«, murmelt sie. Ich lache leise auf. »Klar, sicher. Du kennst doch den Herbst hier, es ist stürmisch, regnerisch und bewölkt«, erinnere ich sie. Mit dem Fuß schiebe ich eine der Boxen, die heute Morgen angekommen sind über den geputzten Boden hinter die braune Theke. Wie jeden Donnerstag bekommen wir frische Zutaten für die Kuchen und die Getränke. Mit einer Schere in der Hand hocke ich vor dem Pappkarton und durchtrenne das braune Paketband. Das ratschende Geräusch ist wie Musik in meinen Ohren, denn es bedeutet, dass es gleich herrlich nach noch mehr Kaffeebohnen riechen wird.
»Ich weiß... aber ich werde mich nie daran gewöhnen. Meine Mom ist der Meinung das es ein kalter Winter werden wird. Denkst du es schneit dieses Jahr zu Weihnachten endlich?«, will Stacy grübelnd wissen. Sie steht auf einem der Holzstühle, mit Klebeband in der Hand. Schulterzuckend Klappe ich den Deckel des Kartons auf, auch wenn sie mich nicht sehen kann. Da es leer im Geschäft ist, wie üblich zu dieser Uhrzeit, können wir offen reden.
»Vielleicht. Von mir aus. Weiße Weihnachten sind ohnehin die besten.«
Ich schwelge einen Moment in alten Erinnerungen von Lynn und mir. Die letzten Jahre haben wir zusammen am Weihnachtsmorgen Geschenke geöffnet und gefeiert. Sie ist genau wie ich, meistens allein. Ihre Eltern sind typische Weltenbummler, ziehen immer dahin, wohin es sie verschlägt. Obwohl ihr Haus unweit von London entfernt, liegt, reisen sie die meiste Zeit, eben auch an Weihnachten.

Ich höre Stacys Schritte auf dem alten Parkettboden. Sie nähert sich mir, beugt sich über die Theke und beobachtet, was ich tue. Mit einer Hand unters Kinn gestützt sieht sie hinab.
»Hast du die letzten Tage eigentlich mal was von deinem russischen Sahneschnittchen gehört?«, wechselt sie dann interessanterweise das Thema. Ich sehe auf, sehe die Neugier förmlich aus ihr hinaus sprühen. Mit der Kiste in den Händen erhebe ich mich und stelle sie zwischen uns. Mit der rechten Hand öffne ich die zweite Schublade, in der schon die anderen Bohnen ihren Platz gefunden haben. »Nein, er hat sicher viel zu tun...«, rede ich mir ein. Der Kontakt zu Miro wird seit Tagen immer weniger und ich habe Angst davor, dass er abbricht. Sind ihm die Dinge, die passiert sind, egal geworden? Die Dinge, die zwischen uns passiert sind? Ich rede mir schon seit Stunden ein, das er nur viel zu tun hat. Ich hoffe es zumindest.
»Und Lynn? Hat sie nicht was mit seinem Bruder gehabt?«
»Die ist gerade für zwei Tage in Shanghai mit ihrer Fluggesellschaft. Ich sehe sie erst nächste Woche wieder«, erkläre ich der rothaarigen. Nebenbei räume ich die Schubladen ein. Stacy schnappt sich den Lappen von der Theke, seufzt nur und richtet sich wieder auf. »Soll ich uns einen Kakao machen? Wir haben wieder Pulver«, schlägt sie vor und umrundet den Tresen, lehnt sich neben mir an die braune Arbeitsplatte. Nickend schließe ich die Schublade und greife mir den leeren Karton. »Eine gute Idee. Ich entsorge schnell den Pappkarton«, antworte ich. Stacy schwingt den Lappen, versenkt ihn im Waschbecken und zieht zwei Tassen aus dem Schrank. »Super!«
Zehn Minuten später rieche ich an der duftenden Tasse Kakao im Pausenraum. Stacy und ich gönnen uns fünf Minuten, da es noch immer leer ist. Der übliche Ansturm am Nachmittag beginnt gegen vier Uhr. Jetzt ist es erst kurz vor dreiviertel drei.
»Himmlisch« wispere ich gegen den Schaum des süßen Getränks. Stacy auf dem Stuhl mir gegenüber lacht.
»Ich wusste das du das Zeug liebst«, grinst sie hinter ihrer Tasse. Als Antwort nippe ich an dem warmen Getränk. Sofort spüre ich, wie sich mein Hals und Magen erwärmt. Ich muss noch einen Schluck nehmen. Entspannt lehne ich mich im Stuhl zurück und lasse meine Augen durch den Raum wandern. Unsere Chefin ist noch nicht in Sicht. Dabei sollte sie eigentlich schon da sein. »Hast du etwas von Mrs Petryl gehört?«, erkundige ich mich bei Stacy, lange nach einem Cookie auf dem Tisch. Meine Kollegin nickt mit vollem Mund. »Sie kommt später. Anscheinend hat sie einen Termin«, klärt Stacy mich auf. Ich nicke nun wissend.
»Verstehe. Dann müssen wir den Laden wohl noch eine Weile allein schmeißen.«
Mit diesen Worten erhebe ich mich und klopfe mir die Schürze ab. Ich trinke vorerst das letzte Mal aus meiner Tasse, dann ertönt das Klingeln der Tür. »Ich mache das schon«, murmle ich und verlasse den Pausenraum.

Vor der Theke steht ein Mann im Anzug. Unweit hinter ihm, einer links und einer rechts neben der Tür. Auf dem Gehweg im Regen parkt ein schwarzer SUV.
»Guten Tag, wie kann ich ihnen helfen?«, begrüße ich ihn höflich, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Auch wenn der Mann mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Sein finsterer Blick, der mir doch so vertraut vorkommt. Sein maßgeschneiderter Anzug und die Lederhandschuhe. Die Krawatte und das Hemd. Irgendetwas hat er an sich, was mir bekannt vorkommt. Vielleicht sind es seine Haare oder die Grünen Augen. Ich schwöre, dass ich ihn schonmal gesehen habe.
»Einen Kaffee zum Mitnehmen. Schwarz«, bestellt er sich. Sein Akzent zeigt mir, dass er nicht von hier ist. Ich nicke.
»Einen Moment.«
Ich versuche mich, von der Präsenz der zwei Türsteher nicht ablenken zu lassen, während ich den Becher unter die Maschine stelle und die Knöpfe betätige. Trotzdem habe ich ein Auge auf sie, wie sie auf mich. Ob er ein wichtiger Mann ist? Vielleicht ein Botschafter? Kommt es mir in den Sinn.
»Arbeiten Sie schon lange hier?«, fragt der einschüchternde Dunkelhaarige mich. Der Mann Mitte vierzig hat seine Augen auf mich gelegt, mustert immer wieder meine Gesichtszüge und Gestiken. Was eine komische Frage von einem Fremden. »Ja eine Weile«, murmle ich deshalb konzentriert. Mit einem Handgriff ziehe ich den Deckel für den Becher hervor und lege ihn neben die Maschine. Der Kaffee wird gleich fertig sein.
»Führt ihre Mutter den Laden?«
Noch so eine komische Frage. Was interessiert ihn meine Mutter?
»Nein. Meine Mutter ist tot. Mrs Petryl ist die Inhaberin, möchten sie etwas von ihr?«
Nicht das es ihn etwas angehen würde, das meine Mutter bereits von uns gegangen ist. Damit möchte ich mögliche weitere Fragen umgehen. Das Gesicht des fremden Mannes verändert sich kurz. Ich kann nicht deuten, was dies zu bedeuten hat. Seine Handschuhe knirschen leise, als er seine Hände zu Fäusten zusammenzieht. »Schon Gut. Dann habe ich Sie wohl verwechselt«, brummt er. Ich reiche ihm seinen Kaffee, drücke die Lippen fest aufeinander.
»Das macht zwei Pfund fünfzig«, rechne ich ihm an. Er legt mir einen Schein auf das Glas des Tresens, schnappt sich den heißen Pappbecher und tritt einen Schritt zurück. »Passt so, nehmen sie den Rest als Trinkgeld. Auf Wiedersehen«, verabschiedet er sich.
»Vielen Dank, einen schönen Tag noch.«
Ich sehe ihm nach, beobachte, wie die zwei Kerle ihm die Türen öffnen, sowohl die des Ladens als auch die des Wagens. Bevor er im inneren des dubiosen SUVs verschwindet, hält er im Regen inne und blickt ein letztes Mal zurück zu mir. Keine Sekunde später verschwindet er im Inneren des Gefährts. Die Personenschützer steigen ebenfalls ein, die Räder drehen sich. Sobald der Wagen aus meinem Sichtfeld ist, atme ich auf. Mir ist nicht bewusst gewesen, dass ich die Luft angehalten hatte. Mein Herz pocht nervös in meiner Brust, ich schlucke heftig.
»Wow... was war das denn?«
Ertönt Stacys fragende Stimme hinter mir. Ich drehe mich zu ihr, lehne mich gegen die Theke und schüttle den Kopf.
»Keinen blassen Schimmer.«

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now