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Miro

Kies knirscht unter den Rädern meines silbernen Mercedes. Die Auffahrt zur alten Fabrik ist weder gepflastert noch geteert, nur mit Kieselsteinen aufgeschüttet. Schon bald erstreckt sich die alte Munitionsfabrik vor mir, welche seit einer langen Zeit, zur Hälfte verfallen ist. Der alte Zaun marode, die Fenster des Nebengebäudes zerstört.
Auf den ersten Blick sieht die Fabrik verlassen aus, allerdings nur auf den ersten Blick. Meine geschulten Augen erkennen zehn Männer hinter den vergilbten Scheiben über dem Eingang. Vermutlich mit Maschinenpistolen und Munition. Sie warten auf einen falschen Schritt von mir. Dann werden sie die Windschutzscheibe mit Patronen durchlöchern wie ein Schweizer Käse. Sie sollten mir angst machen, aber das tun sie nicht.
Langsam kommt der Mercedes unweit vom Eingang, im alten Vorhof zum Stehen. Die roten Backsteinmauern sind überrankt und mit Efeu bedeckt, die graue Tür mit buntem Graffiti besprüht. Auf dem Kiefer mahlend, ziehe ich den Schlüssel aus dem Schloss. Keiner lässt sich blicken, als ich die Autotür öffne und den ersten Fuß auf den Schotter setze. Er knirscht unter meinen teuren Lackschuhen.
Galant erhebe ich mich aus dem tiefliegenden Wagen. Ich richte meinen Körper auf, straffe die Schultern und blicke an der Hauswand empor.
»Drecksladen«, murre ich. Ich knalle die Tür zu, bewege mich gelassen auf den Eingang zu. Die Männer hinter den Scheiben beobachten jeden meiner Schritte. Unbeirrt klopfe ich dreimal gegen das Metall, schiebe die Hände in die Taschen und wippe mit dem Fuß hin und her.

Die Tür springt auf, ein bulliger Kerl kommt zum Vorschein. Er mustert mich prüfend von oben bis unten, macht einen Schritt nach links und nickt hinter sich. Nette Begrüßung, denke ich mir. Stumm trete ich ein, die Tür fällt hinter mir ins Schloss. Der Mann streckt seinen Arm vor meinen Körper, verdeutlicht mir, dass ich stehen bleiben soll. Abwehrend hebe ich die Hände.
»Sag mir doch einfach was ich machen soll!«
»Du sollst die Schnauze halten«, fährt er mich sichtlich schlecht gelaunt an. Ich schnaube. Ich hasse diesen Schuppen jetzt schon. Mit seiner Hand deutet er an die Wand rechts neben uns. Ohne etwas zu erwidern, drehe ich mich mit dem Kopf zur dreckigen Wand und lasse die Hände neben meinem Kopf gehoben.
»Hast du Waffen dabei?« Genervt atme ich aus.
»Würde ich dann an der Tür klopfen?«, stelle ich die Gegenfrage. Er scheint keinen besonders hohen IQ zu haben.

Murrend tastet er mich ab, unter dem geöffneten Jackett das weiße Hemd hinab und die Seiten meiner Hosenbeine bis zu meinen Schuhen. »Bist sauber«, brummt er. Sogleich lasse ich die Arme sinken und straffe selbstbewusst die Schultern.
»Sage ich ja.«
Der Proll nickt den Gang hinab. »Geh schon«, fordert er mich kalt auf. Einen Kommentar spare ich mir. Ich werde sie mir für seinen Boss aufheben.
Auf dem Weg zu Zakhar laufen wir den endlos scheinenden Flur hinab. Durch die alte Maschinenhalle und ein Treppenhaus. Tausende von Stufen später kommen wir im dritten Stock an. Neben alten Skulpturen nebeneinander aufgereiht halten die Männer vor den vergilbten Glasscheiben Wache, welche mich von unten im Auge behalten hatten. Gegenüber fällt alter Putz von den Wänden, wurde einfach an die Seite gekehrt. Spinnenweben zeichnen sich mit der einfallenden Sonne zwischen den Lampen ab. Nach etwa zehn Metern enden die Scheiben und nur künstliches Licht, erhellt den Rest des Flures. Ganz am Ende des langen Flures rahmt Holz einen breiten Durchgang. Dahinter erstreckt sich ein langes Zimmer mit vielen Fenstern viel Licht.
Der unfreundliche Proll führt mich hinein, räuspert sich und macht die Biege. Nun stehe ich allein da.

Meine Augen fallen als Erstes auf den langen Tisch, an dessen Kopfende sich der befindet, wegen dem ich hier bin. Das dutzend Stühle um ihn ist leer. Vor Zakhar steht ein Aschenbecher auf dem Tisch, er hält eine dampfende Zigarette zwischen den Fingern und lehnt gelassen im Stuhl. Unweit hinter ihm auf einer Gruppe Sofas, sitzen seine Handlanger, nehme ich an. Sie mustern jeden meiner Schritte akribisch, bis ihr Boss leise auflacht.
»Miroslav Rochevsko, was verschafft mir die Ehre?«, begrüßt er mich gestellt unschuldig. Mit einer Hand reibt er sich über seinen schwarzen, kurzen Bart. Die andere führt er an seine Lippen, um einen Zug seiner Kippe zu nehmen. Er deutet auf den Stuhl ihm gegenüber. Kiefer mahlend lasse ich mich in den Ledersessel nieder. Der rauchende Mann im dunklen Anzug schiebt mir ein Glas Alkohol zu, welches er mir zuvor eingegossen hatte. Ich werde keinen Schluck davon nehmen.
»Ich dachte nach all den Jahren harter Arbeit kannst du dir etwas Besseres leisten als diese alte, schäbige Fabrik«, merke ich spottend an. Der Schwarzhaarige lacht rau auf. Angewidert sehe ich mich im Raum um. Neben ein paar Regalen und einem überfüllten Schreibtisch gibt es hier nichts weiter.
»Ich bevorzuge meine „alte, schäbige Fabrik"«, zitiert er mich amüsiert, dennoch kühl. Ich weiß, dass mit ihm nicht zu scherzen ist. Und schließlich bin ich auch nicht zum Spaß hier. »Also sag schon was du willst«, fordert er mich laut auf. Mit einem Schluck leert er sein Glas, knallt es auf die massive Tischplatte und wischt sich die Lippen am Ärmel seines Jacketts ab. Klasse kann man sich offensichtlich nicht kaufen.
»Ich will wissen, wieso einer deiner Männer versucht hat, eine Frau aus unserem Club zu entführen«, verlange ich eisern. Schon vor meiner Ankunft habe ich beschlossen, nicht ohne eine Antwort zu gehen. Der Ältere tippt gelassen mit dem Zeigefinger gegen den Tisch, scannt mich intensiv ab. Vermutlich denkt er, meinen Schwachpunkt finden zu können, oder mich zu durchschauen. Es vergeht eine knappe Minute, bis er sich regt. Mit dem Oberkörper nach vornegelehnt, öffnet er den Mund. »Was interessiert dich eine Touristin?« Der hält sich anscheinend für clever.
»Rein geschäftlich. Das Mercury gehört uns, das bedeutet deine Leute haben Hausverbot. Selbst deine Mätressen«, erinnere ich ihn ernst. Die Regeln sind simpel; keine von seinen Leuten im Mercury. Dafür halten wir uns von seinem Stripclub am Hafen fern.  
»Und dennoch sitzt du hier...«
»Weil ich verlange, dass du dafür sorgst das sie sich zurückhalten!« Ich lehne mich wie er vor ein paar Minuten ebenfalls nach vorn, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen. Ich hoffe, er schnallt es endlich, ich habe es satt. Zakhar schnaubt mit zuckenden Mundwinkeln und lehnt sich zurück.

Er schnippt mit dem Finger, überkreuzt die Beine und streckt die Hand nach hinten aus. Einer der Männer vom Sofa nähert sich uns. Als er aus dem Schatten tritt, erkenne ich, dass er eine Sturmhaube trägt. Er reicht Zakhar einen braunen Umschlag und verschränkt die Hände vor dem Körper. Zakhars Augen haften für einen Moment auf mir. Dann öffnet er den Umschlag und zieht etliche Papiere heraus.
»Dann sag mir, wenn sie nur eine Touristin ist, wieso verkehrt sie dann mit dir?«, säuselt er provozierend. Rauschend pfeffert er die Blätter über den Tisch. Ich stoppe sie mit meinen Händen und erstarre innerlich. Der Mistkerl hat uns beschatten lassen. »Rokko, findest du nicht auch sie geben ein süßes Paar ab? Fast wie Romeo und Julia«, grinst der Mistkerl und lacht. Der große Türsteher neben ihm mit der Skimaske auf dem Kopf steigt ein. »Sterben die nicht am Ende?«, fragt der andere vom Sofa. Zakhar nickt, reibt sich selbstgefällig über den Bart. »Ganz recht, sie verrecken elendig.«
Ich mahle auf meinem Kiefer, greife mir die Blätter und zerknülle sie in meinen Händen. »Was willst du von ihr?«, fahre ich ihn zornig an. Mein Puls steigt ins Unermessliche, Adrenalin durchströmt meine Adern, wie ein langer Regenschauer der Bäche flutet. Mir juckt es in den Fingern. Ich will ihn töten, ihn in Stücke Reißen und in der Newa versenken. Aber zuerst werde ich ihm das dämliche Grinsen aus der Fresse schlagen.
»Ihr Name ist Elena, oder?«, umgeht er meine Frage. Meine flache Hand klatscht in Sekundenschnelle auf den Tisch, ich erhebe mich sauer. »Sag mir verdammt nochmal was du von ihr willst! Ich weiß ganz genau das deine Hunde es waren, die sie umgefahren haben!«, zische ich und schleudere die beschissenen Bilder in seine Richtung. Sie zeigen uns im Auto, wie wir den Ball verlassen, in der Stadt und selbst an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind vor Vlads Herrenschneiderei. Und das ergibt verdammt nochmal alles keinen Sinn für mich.
Endlich verschwindet das Grinsen aus Zakhars Gesicht. Der Mann in den vierzigern drückt seine Zigarette auf dem Tisch aus, schnalzt mit der Zunge und schüttelt den Kopf.   
»Ich muss schon sagen wie sehr deine Unwissenheit mich amüsiert, Miroslav.«
»Was faselst du da?«
»Du hast keinen Schimmer, keinen blassen Schimmer...«
»Von was?«
»Von allem. Aber zum Glück kann ich dir weiterhelfen«, säuselt er und lacht wieder. Er deutet mir, mich wieder niederzulassen. Mit Fäusten stütze ich mich auf dem Tisch ab und starre ihn an, nicht willig mich nur einen Millimeter zu bewegen. »Setz dich auf den verdammten Stuhl, dann erzähle ich dir etwas, was deine Welt auf den Kopf stellen wird.«

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now