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Elena

Diese Nacht habe ich von ihm geträumt. Von uns. Wir saßen zusammen auf einer Bank im Hydepark. Ein kleines Mädchen hat auf der Wiese vor uns gespielt, eingehüllt in ein süßes Blumenkleid, mit braunen Haaren und einer Haarspange. Sie hat wie ein Engel gelacht und Miro hat sie nach einer Weile über die Wiese gehascht. Sie sind zusammen auf das dunkelgrüne, saftige Gras gefallen, er hat sie herumgewirbelt und sie hat gekichert.
Wie soll ich diesen Traum deuten? Was will mir mein Kopf sagen? Ich bin verzweifelt. Seit meiner Abreise fühlt es sich an, als wären wir zwei Schiffe, die immer weiter auseinanderdriften. Als würden wir in entgegengesetzte Richtungen segeln. Miros verhalten mir gegenüber, macht die Sache auch nicht besser. Er ist plötzlich so distanziert, kühl. Etwas in seinen Augen hat sich geändert, wenn er mich ansieht. Der Gedanke das sich seine Gefühle mir gegenüber geändert haben könnten, macht mir Angst. Die zwei Wochen Urlaub sind wunderschön gewesen. Aber was ist, wenn er nicht mehr als das wollte?
Seit Tagen schiebe ich diesen Film in meinem Kopf. Er lässt mich nicht los. Ich bin verzweifelt und gekränkt, da der Kontakt immer weniger wird. Und zu allem Überfluss lag heute Morgen ein komischer Brief vor meiner Tür. An mich adressiert, doch mit keinem Inhalt.

Auf meinem Weg zur Arbeit habe ich mich ständig beobachtet gefühlt. Wie paranoid habe ich mich alle zwei Meter umgedreht, doch nichts entdeckt. Spielt mein Kopf mir langsam Streiche? Sind die Dinge, die ich gerade verspüre, nicht ernst? Bilde ich mir nur ein, verfolgt zu werden? Selbst im Laden fühle ich mich allein nicht wohl. Die zwei Stunden heute Morgen sind eine Qual gewesen. Nun da Mrs Petryl da ist und Stacy ebenfalls, fühle ich mich etwas Sicherer. Erzählt habe ich keiner von beiden etwas davon. Nicht einmal Lynn weiß etwas, mit der ich sporadisch schreibe. Gerade hat sie ein Dinner in Shanghai, mit ihren Kolleginnen. Es ist bereits abends dort und sie wird gegen vier Uhr dort losfliegen, zurück nach Heathrow. Ich freue mich auf meine beste Freundin, wir haben uns bereits ausgemacht das wir zusammen in ein Restaurant, ins Kino und shoppen gehen. Wir beide brauchen etwas Ablenkung. Wie ich mitbekommen habe, reist sie im November zu Eldaro. Die beiden telefonieren jeden Tag miteinander, scheinen sich wirklich gern zu haben. Zugegeben bin ich etwas neidisch darauf, dass sie so guten Kontakt hegen.
Ich reiche der Kundin ihren Kaffee, berechne ihr den üblichen Betrag und lasse sie zahlen. Heute fällt es mir besonders schwer, zu lächeln. Ich muss es mir aufzwingen. Stacy ist das auch schon aufgefallen.
»Sicher das alles in Ordnung ist?«, kommt sie fragend neben mir zum Stehen. Nickend wische ich die verschütteten Kaffeetropfen mit einem Tuch von der Arbeitsplatte. Im Hintergrund erklingt die kleine Glocke der Tür, als die Kundin den Laden verlässt. »Ja alles in Ordnung. Jeder hat doch mal einen schlechten Tag, oder?«, murmle ich ernst. Die Rothaarige nickt nachdenklich neben mir.
»Trotzdem, sag wenn etwas ist. Ich bin für dich da«, erinnert sie mich, tätschelt meine Schulter sanft. Tief durchatmend schlucke ich.     »Das weiß ich zu schätzen, danke Stace.«
»Immer gerne Elena.«
Stacy macht sich auf den Weg mit einem Teller Kuchen und Keksen zu Tisch zwei, an der ein älteres Pärchen wartet. Mich hingegen hat Mrs Petryl hinter die Theke beordert. Sie sieht mir an, dass ich heute nur halbherzig lächeln kann. Deswegen bedient sie die Tische mit.

Der Tag vergeht langsamer als sonst. Jede Minute fühlt sich wie eine Qual an. Ich bin müde, mein Rücken schmerzt und ständig steigt mir Galle auf. Hoffentlich entwickelt es sich nicht zu Sodbrennen. Das fehlt mir noch.
»Machst du den Pausenraum noch? Dann übernehme ich die Bleche«, schlägt Stacy mir vor. »Klar, gibst du mir den Lappen?«, bitte ich sie. Lächelnd wirft sie mir den frischen Lappen zu und schnappt sich die dreckigen Bleche unter dem Glas der Theke. Ich verschwinde im Pausenraum, leere dort unseren Wasserkocher und die Teekanne, während Stacy neben mir in der Küche die Bleche schrubbt. Unsere Chefin ist schon nachhause, sie hat uns den Laden anvertraut, da sie wieder auf ihre Enkelin aufpassen muss.
Geschafft wische ich die Teekanne aus und spüle den restlichen Tee mit Wasser aus. Zum Schluss trockne ich sie ab und stelle sie neben den Wasserkocher, damit Mrs Petryl sie morgen wieder in Betrieb nehmen kann.
Schnell wische ich über den Runden Tisch, lege meine Schürze ab und hänge mir die Tasche um. Genau in der Sekunde kommt auch Stacy und zieht sich um. Zusammen löschen wir die Lichter, sie schließt ab, da sie morgen öffnet und daher den Schlüssel hat.

»Dann bis morgen, hab viel Spaß noch auf deinem Date«, wünsche ich ihr im kalten auf dem Bordstein. Die Nacht über London ist bereits hereingebrochen. Stacy lacht. »Danke«, sagt und umarmt mich kurz, »werde ich sicher haben.« Zwinkernd grinst sie mich an, wackelt mit den Armen und klatscht ihn die Hände. »Wünsch mir Glück, vielleicht werde ich heute noch flachgelegt«, bittet sie mich daumendrückend. Das erste Mal heute bringe ich ein echtes lachen über die Lippen. »Mache ich, erzähl mir morgen, wie es war«, kichere ich. Stacy nickt eifrig, dreht sich und winkt mir. »Bis morgen!«, ruft sie noch.
»Bis morgen«, erwidere ich, laufe in die entgegengesetzte Richtung.
Sobald ich sie nicht mehr sehen kann, fühle ich mich wieder unwohl. Bis zu meiner Wohnung sind es noch zehn Minuten und die Panik, die in mir aufkriecht, wird von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Ein schwarzer SUV passiert mich, ich werde nervöser. Schritte erklingen hinter mir. Mein Herz schlägt auf. Adrenalin schießt durch meine Adern. Hektisch fische ich das Handy aus meiner Jackentasche und will Miro anrufen. Vielleicht kann er mich etwas beruhigen. Vermutlich spinne ich einfach.
Plötzlich quietschende Reifen. Eine Schiebetür. Vermummte Gestalten im Laternenlicht. Hände haschen nach mir noch, ehe ich rennen kann. Ein Tuch trifft gewaltsam auf meinen Mund. Ein erstickender laut verlässt meine Lippen, daraufhin macht sich ein abscheulicher Geruch in meiner Nase breit. Mein erster Instinkt sagt mir – ich soll die Luft anhalten. Doch die schnellen Bewegungen machen dies fast unmöglich. Ich muss atmen!
Mein Telefon fällt klirrend zu Boden. Ich kratze dem Unbekannten die Arme auf, trete den anderen, doch der beißende Geruch des Tuches, benebelt meine Sinne. Todesangst macht sich in mir breit. Weinend trete ich um mich, boxe den einen gegen den Oberkörper so gut ich kann, doch die Dunkelheit holt mich ein. Sie werfen mich hart in den Transporter, fesseln mich und pressen mir das Tuch so lange auf die Nase, bis ich mein Bewusstsein verliere und den Kampf um meine Freiheit ebenso.

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now