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Miro

»Hey, es geht schon wieder die Mailbox dran... Ist bei dir alles in Ordnung? Du hast sicher viel zu tun, aber wenn du die Nachricht hörst, ruf mich mal an, wegen unserem Treffen... Bis später Lämmchen.«
Ich komme mir dumm vor. Noch nie zuvor habe ich jemanden auf den Anrufbeantworter gesprochen, geschweige denn einer Frau. Elena geht allerdings immer noch nicht ans Telefon, ich fange an, mir Sorgen zu machen. Sie würde mich nicht einfach so ignorieren. Ob etwas passiert ist? Vielleicht steckt sie in der Klemme? Nachdenklich drehe ich das Telefon in meinen Händen, schnalze dabei mit der Zunge. »Elena, Elena...«, murmle ich. Meine Augen bleiben an dem Kalender hängen, welcher am Rande des Schreibtisches platziert ist. Heute ist Donnerstag, was bedeutet das mein Flieger heute Abend noch nach London geht. Mein erster Termin dort, wird morgen früh neun Uhr englischer Zeit sein, was bedeutet, dass es hier etwas später sein wird. Um ein Hotel habe ich mich schon gekümmert, ich hielt es für besser. Antworten tut sie ohnehin nicht. Ich muss der Sache noch vor meiner Abreise auf den Grund gehen. Doch zuerst, habe ich andere Dinge zu erledigen.
Galant erhebe ich mich aus dem Sessel des Schreibtisches, stecke mein Handy, so wie mein Portemonnaie und meine Autoschlüssel ein. Den Laptop lasse ich zugeklappt liegen. Ich bin spät dran, weswegen ich mich etwas beeilen muss. Vater und die anderen werden sicher schon warten. Um schneller an mein Ziel zu gelangen, eile ich die Treppen nach unten in die große Halle. Über den gewienerten Schachbrettboden in den linken Flur, vor dort aus in Richtung Garage. Dort schließe ich die Tür hinter mir und drehe mich zum großen Werkzeugschrank. Zwischen Hammer und Meißel hängt ein unscheinbarer roter Schraubenzieher. Einer von vielen in diesem Schrank. Ich ziehe ihn nach unten, trete einen Schritt zurück. Die Türen des Schrankes klappen automatisch zu. Ein Riegel ertönt hörbar, es zeichnet sich der Rahmen eines Durchgangs an der Steinwand dahinter ab. Räder drehen sich, der Werkzeugschrank offenbart einen Raum. Schnell husche ich die nachfolgende Treppe hinab, gehe sicher, dass die Tür sich wieder geschlossen hat, und halte am Fuße der Treppe inne. Bevor ich den langen, unterirdischen Flur vor mir betrete, werfe ich einen Blick auf die schwarze Kamera. Der Sensor darin wird mein Gesicht erkennen und die Alarmanlage deaktivieren. Ein leiser piep verrät mir, dass das nun geschehen ist. Also setze ich meinen Weg fort. Durch die offene Tür am Ende des Flures höre ich meinen Vater sprechen. Sobald ich den Flur verlasse und das Gewölbe betrete, sieht man, dass dies einer der alten Weinkeller war. Ein Vorteil für unsere Geschäfte, denn diese Gewölbe würden allem standhalten. Fast keiner weiß mehr von der Existenz dieser Räume. Nicht mal auf den Bauplänen sind sie notiert.

»Da bist du ja endlich!«, stößt Vater hervor und wirft die Arme in die Luft. Er steht zwischen Holzkisten und raucht angestrengt. Mit der Zigarre zwischen den Lippen nuschelt er aber nur.
»Tut mir leid, ich habe die Zeit etwas vergessen bei der Arbeit«, entschuldige ich mich ehrlich. Zwischen den bereits geöffneten Holzkisten bleibe ich stehen. In der Späne, die die Fracht beschützt, erkenne ich bereits, dass erste Fünkchen Gold hervor blitzen.
»Ist alles da?«, frage ich nach. Lew tritt in mein Sichtfeld, er hält ein Brecheisen in der Hand, vermutlich um die Kisten zu öffnen. Er nickt.
»Alles perfekt. Stefan und ich haben die Ware bereits gelistet, alles geprüft.«
Nickend nähere ich mich dem Gut. Ich strecke die Hand zu Lew aus, welcher mir, ohne zu zögern den weißen Handschuh reicht. Wir müssen sichergehen das keinerlei Fingerabdrücke auf der Ware sind. Ich ziehe ihn mir über die rechte Hand, lange nach dem ersten Schmuckstück. Die goldene Kette in der Box ist mit hochkarätigen Diamanten und zwanzig Smaragden besetzt.
»Hübsches Ding. Wohin geht es?«, erkundige ich mich, halte es gegen das Licht der Lampen. »Frankreich, von dort nach Spanien. Es ist ein Geschenk für unseren neuen Partner«, grinst Vater. Es ist für den Spanier, der vor ein paar Tagen da war.
»Seiner Frau wird es gefallen.«
»Oder seiner Mätresse«, erwidere ich. Vater lacht lauthals, klopft mir auf die Schulter.
»Wie auch immer mein Junge, pack Sie wieder ein und lass Lew die nächste Kiste öffnen. Da müsste was für deine Mutter dabei sein«, grinst er schelmisch. Ohne ein Wort zu verlieren, lege ich die Kette wieder zwischen die Späne, sehe zu, wie mein bester Freund den Deckel draufschlägt.
»Gib mir das Brecheisen«, bitte ich ihn. Er wirft es mir über die Holzkiste zu, ich fange es geschickt mit der linken Hand auf, drehe es in meinen Händen. Ich setze das Eisen an den schmalen Spalt zwischen Deckel und Seitenwand, brauche nur einen festen Hieb, um den Deckel aus den Angeln zu heben. Das marode Holz knackt, als es zerberstet und die Scharniere abspringen. Lew zieht den Deckel von der Kiste, schmeißt ihn auf das alte Kopfsteinpflaster. Das Brecheisen ebenfalls. Mit der behandschuhten Hand lange ich in die Späne, wühle ein wenig herum, bevor mir das erste Schmuckstück zwischen die Finger fällt.

»Bingo«, murmle ich neugierig und ziehe es hervor. Ein Armband hängt zwischen meinen Fingern, glitzert wunderschön im gesamten Raum. Zierliche Diamanten sind wie Blumen in silbernes Band eingefasst. In ihrer Mitte je ein funkelnder Saphir. »Wunderschön, nicht?«, fragt Vater als er neben mich tritt und es betrachtet. Es erinnert mich an das, was Elena trägt. Apropos, ich muss noch herausfinden, was mit ihr ist, bevor mein Flieger abhebt. Vielleicht kann mein Bruder mir etwas dazu sagen. Schließlich schläft er mit ihrer besten Freundin. Lynn muss doch wissen, was mit Elena ist. Deswegen reiche ich das Armband weiter, welches ein Geschenk für Mutter sein soll. Ziehe mir den Handschuh aus und werfe ihn Lew zu.
»Mir ist eingefallen das ich noch zu Eldaro muss. Schafft ihr das allein?«, rede ich mich raus. Lew nickt.
»Natürlich.«
»Gut, dann bis nachher.«
Mit diesen Worten verlasse ich die alten Gewölbe und komme wieder in der Garage heraus. Wo kann mein Bruder nur stecken? Ich werde zuerst im Wohnzimmer an der Minibar nachsehen. Nach der Arbeit hält er sich doch gelegentlich auf, wenn er nicht gerade im Mercury ist.

»Eldaro?«, rufe ich also durch die Hallen. Meine Stimme schallt an den Wänden wieder, trägt sie quer durchs Haus. Keine Antwort kommt zurück. »Wo steckst du zum Teufel?«, frage ich mich laut. Mit großen Schritten schreite ich die Treppe nach oben, drehe mich zu beiden Seiten, um den Flur zu erfassen. Sowohl der linke als auch der rechte sind leer.
»Was willst du von mir?«, ertönt meines Bruders Stimme aus der großen Eingangshalle. Tief ausatmend stütze ich mich mit den Unterarmen auf die eiserne Balustrade und verschränke die Hände.
»Wo hast du gesteckt?«, will ich genervt wissen. Der Mistkerl hat mich mit Absicht die Treppen hochgehen lassen. Er hebt schief schmunzelnd sein Glas Schnaps. »Kleiner Drink nach der Arbeit«, erklärt er mir, wie ich zuvor vermutet habe.
»Was gibt's Brüderchen?«, fragt er mich am Fuße der Treppe. »Frag Lynn, ob Sie weiß, was mit Elena ist. Sie geht nicht ans Telefon«, weiße ich ihn an. Bitten werde ich garantiert nicht. Mein Bruder schnaubt amüsiert auf.
»Ist dir mal in den Sinn gekommen das sie vielleicht einfach keinen Bock mehr auf dich hat?«, grinst er unverschämt. Ich denke nicht mal daran, darauf einzugehen. Dummer Idiot.
»Machst du es jetzt oder muss ich dir dein Handy klauen?«, hake ich nach.
»Was sind wir? Fünf?«
Ich lache laut auf.
»Du vielleicht viereinhalb, Eldaro. Also mach schon, Pronto.«

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now