Zusatzkapitel Teil 2

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Elena

»Ich habe einen was?«
Fast falle ich vom Glauben ab, als ich die Worte aus seinem Mund höre. Einen Bruder soll ich haben? All die Monate und Jahre hat er ihn nicht einmal erwähnt. Wieso genau jetzt? Was habe ich oder besser gesagt er davon? Er hätte früher etwas sagen können. Ein einfacher Satz hätte gereicht um mich wissen zu lassen, das ich einen Halbbruder habe. Aber nichts, nada, niente.
In meinem Kopf herrscht Chaos. Ich bin nicht in der Erwartung, ein unbekanntes Familienmitglied zu begrüßen angereist, sondern weil ich ein paar Tage hier Urlaub machen wollte.
»Entschuldigt mich kurz«, murmle ich und erhebe mich vom Tisch. »Elena, ich habe auf den richtigen Moment gewartet!«, versucht er sich zu erklären, doch ich bringe ihn mit meiner gehobenen Hand zum schweigen. »Lass gut sein, Danielo. Das wird mir gerade alles zu viel«, bitte ich ihn. Er lässt mich gehen. Auch Miro tut dies. Er weiß das ich jetzt allein sein will. Fünf Minuten muss ich über alles nachdenken. Das sei mir gegönnt.
Hätte er mich nicht vorwarnen können? Das hat mich völlig unvorbereitet erwischt. Ich hätte nicht gedacht, das es je zu so etwas kommt. Wieso in aller Welt dachte er, jetzt sei der perfekte Zeitpunkt dafür? Weil ich für ein paar Tage hier bin? Weil Miro und Alina dabei sind?
Aufgewühlt streife ich mir durch die Haare und atme tief durch um nicht den Verstand zu verlieren. Es funktioniert keinesfalls.

Gerade als ich zur Toilette abbiegen will, stoße ich volle Kanne in jemanden herein. Erschrocken Kralle ich mich an dem Hemd des Mannes fest, der mich auffängt und mich davor bewahrt, Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Er ist ebenso verblüfft mich zu sehen, wie ich ihn. Mit klopfendem Herzen schaue ich auf. Seine großen Hände liegen an meinem Rücken, während ich mich weiter in seine muskulösen Oberarme Kralle. Hoffentlich lässt er mich nicht fallen...
»Wow, habe ich da was verpasst?«, fragt er und sieht an mir herab. Sobald ich ihm ins Gesicht blicke, stoße ich ihn von mir und trete zwei Schritte zurück. Seine fast schwarzen Haare liegen gekämmt auf seinem Kopf. Grübchen bilden sich als er mich angrinst. Seine Augen sind so warm wie Karamell. Ohne seinen Namen zu wissen, sehe ich dass dies nur mein Bruder sein kann. Er ähnelt Danielo ein wenig. Aber auch mir. Wir haben die gleiche Haarfarbe.

Schmunzelnd gleiten seine Augen über meinen Körper. »Du musst meine kleine Schwester sein«, stellt er fest. Meine sonst so glatte Stirn legt sich in tiefe Falten. »Kleine?«
»Ja? Hast du gedacht ich bin noch ein Baby oder was?«
»Eigentlich dachte ich, das es dich nicht gibt«, gestehe ich ihm. Mein Gehirn kann keinen klaren Gedanken fassen. Schluckend streiche ich mir mein Kleid glatt und fahre mir durch meine gewellten Strähnen. Wo wollte ich noch gleich hin?
»Denk nicht das ich es wusste. Ich war genau so Unwissend wie du«, verteidigt er sich. Im Grunde genommen ist mir das völlig egal. Ich bin zu überwältigt um darüber nachzudenken.
»Du bist ganz schön blass geworden, Elena, richtig? So heißt du doch?«, hakt er skeptisch mach. Nickend fasse ich mir an die Stirn und schließe meine Augen für zwei Wimpernschläge. »Ja, ja das ist mein Name. Und du?«
»Enzo«, stellt er sich mir charmant vor und streckt mir seine Hand entgegen. Ich nehme sie zögerlich an und er drückt sie sanft. »Willst du dich nicht hinsetzen? Nicht das dieses Kind gleich hier zur Welt kommt«, rät er mir scherzend und ich verdrehe meine Augen. »Du hast keine Ahnung davon, oder?«
Er schnaubt und strafft seine Schultern selbstgefällig. »Für wen hältst du mich? Natürlich nicht.«

Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. Wir haben den gleichen Humor. Er scheint nicht halb so schlimm zu sein, wie ich ihn mir ausgemalt habe. »Wo ist der Herr dieses Hauses eigentlich? Taucht nicht zu seiner eigenen Party auf«, schnalzt er missbilligend mit der Zunge und sieht sich im Haus um. Ich deute hinter mich. »Er sitzt auf der Terrasse. Ich wollte eigentlich nur-«
»Mich abholen, nett von dir«, unterbricht er mich, dreht mich herum und schwingt seinen Arm über meine Schulter. Zielstrebig läuft er auf den Garten zu, aus dem ich gerade gekommen bin. »Wie findest du die Villa?«
»Nicht so verwirrend wie beim ersten Besuch.«
»Mhm, hab hier irgendwo mal meine Babysitterin verloren. Ich bin sicher das sie hier noch irgendwo ist«, sagt er gelassen und deutet mit dem Finger auf die alten Mauern. Mit großen Augen sehe ich zu ihm auf und weiß nicht, ob er es ernst meint, oder scherzt. Er sagte es mir solch einer Standhaftigkeit, das ich nicht unterscheiden kann was Wahrheit und was Lüge ist. Einstig sein belustigter Blick sagt mir, das er mich voll reingelegt hat. »War nur ein Witz, Elena. Ich bin sicher die hat von allein in Danielos Schlafzimmer und wieder zurück gefunden«, merkt er an. Doch das verstört mich nur noch mehr.

Enzo und ich betreten die warmen Terrassenplatten zusammen. Danielo, der mit Alina auf dem Schoß am Tisch sitzt, macht große Augen. Auch Miro dreht sich zu uns um und runzelt seine Stirn über uns.
»Ihr kennt euch schon, wie ich sehe«, merkt unser Vater an. Enzos Arm verschwindet von mir, als er Miro sieht. »Noch ein Bruder? Wirklich Vater?«, fragt er seine Worte nicht beachtend. Danielo lässt Alina auf die Beine um sich selbst zu erheben. Unterdessen gehe ich auf Miro zu, um mich wieder neben ihn zu setzen. »Alles okay?«, fragt er mich leise. Ich rutsche meinen Stuhl etwas näher an ihn heran und nicke. Er legt seinen Arm um mich und drückt seine Lippen auf meine Haare. »Ich war nur überrascht, das ist alles«, versichere ich ihm und sehe zu meinem Vater. Er umarmt Enzo kurz, klopft ihm auf den Rücken und spricht ein paar Worte auf Italienisch mit ihm. Ich beherrsche ihre Sprache nicht. Es gibt nur ein paar Wörter, die ich aufgeschnappt habe. Alina kann besser mit ihm auf Italienisch kommunizieren als Miro oder ich. Sie lernt schnell.

»Du bist also ihr Mann, nehme ich an?«, wendet Enzo sich an Miro. Dieser erhebt sich um ihn zu begrüßen. Er stellt sich ihm vor. Mein Bruder lacht als er etwas zu ihm sagt, das ich nicht mitbekomme, da Alina mich von der Seite anredet.
»Ich habe Hunger Mama«, beschwert sie sich bei mir. Die fünfjährige blinzelt mich mit ihren süßen Augen an. Ich kann ihr nie widerstehen, wenn sie so schaut. »Gleich süße. Setz dich schonmal«, bitte ich und rücke ihr den Stuhl rechts neben mir zurecht. Sie hüpft auf die Sitzfläche und ich schiebe sie heran. Als Enzo mir gegenüber Platz nimmt, wird das Essen endlich serviert. Die ganze Zeit über bekomme ich mir wie Alina ihm schüchterne Blicke zuwirft. »Und du bist, Bella?«, möchte er wissen. Sein charmantes Lächeln bringt sie zum kichern. Die versteckt sich hinter ihrer Serviette und nuschelt etwas unverständliches. »Alina«, stelle ich sie vor. Mein Bruder nickt. Als die Köchin einen Teller vor ihn stellt und Enzo meiner Tochter eine Blume vom Tischgesteck reicht, klopft mein Vater ihm auf die Schulter und beugt sich zu ihm herüber. »Wann willst du eigentlich heiraten?«, will er von ihm wissen. Enzo reißt seine Augen auf, als hätte er einen Geist gesehen.
»Niemals natürlich«, erwidert er selbstsicher.
Wir lachten darüber, aber wussten noch nicht, das er sich bald in großen Schwierigkeiten deswegen bringen würde. In einer misslichen Lage, die ihm das Leben kosten könnte.

Saints and SinnersDonde viven las historias. Descúbrelo ahora