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Miro

Kauend betrachte ich meine Begleitung. Sie stochert in ihrer kochend heißen Lasagne, verzieht die Lippen rund, um zu pusten.
»Sehr heiß?«, lächle ich fragend. Sie nickt hungrig. Amüsiert pikse ich mir ein paar Stücke Lachs und Gemüse an, halte die Gabel nach oben.
»Möchtest du?«, biete ich ihr an. Zögerlich späht sie auf meine Gabel, nickt dann aber. Sie neigt sich nach vorne, umschließt meine Gabel mit ihren roten Lippen langsam, unterbricht nicht einmal unseren Augenkontakt. Die Flammen der Kerze spiegeln sich in ihren waldgrünen Augen wider. »Danke«, nuschelt sie mit vollem Mund, wischt sich mit dem Ringfinger über den rechten Mundwinkel. Ich schiebe mir die nächste Gabel in den Mund.
»Gerne.«
»Bist du hier öfters?«, wechselt sie das Thema. Neugierig schaut sie sich wie schon vor einer halben Stunde in unserer Ecke um, scannt jedes noch so kleine Detail.
»Bei Gelegenheit ja«, antworte ich ihr. Sie nickt mit vollem Mund, streicht sich ihre Haare hinters Ohr und nippt an ihrem Glas. »Es ist schön hier... irgendwie etwas heimisch. Das Restaurant erinnert mich an das Café, in dem ich in London arbeite«, erzählt sie strahlend. Ich lege den Kopf schief und lehne mich zurück.
»Erzähl mir davon«, bitte ich sie. Bis jetzt hat sie kaum etwas über ihre Heimat erzählt, bis auf die Sache mit dem Krankenhaus natürlich.
»Der Laden ist klein und ist in eines der alten, schmalen Häuser gequetscht. Im Winter, wenn der Schnee vor die Fenster geschaufelt ist und man die obere Schicht durch das Glas sieht, duftet es nach Zimtstangen und warmen Kakao. Wir rieseln frisches Weihnachtsgewürz auf die Creme, dazu gibt es Cookies. Und Mrs Petryl kocht Tee für die Mitarbeiter. Man kann die Maschine den ganzen Tag aus dem Aufenthaltsraum hören.« In Erinnerungen schwelgend lacht sie auf, stochert gedankenverloren in ihrem Auflauf.
»Es klingt schön. Ich bin zwar kein Kakao-Typ, aber werde dir sicher mal einen Besuch abstatten.«
»Das musst du, vielleicht können wir dann mal den Stern auf den Baum stecken, ohne eine Leiter«, schmunzelt sie. Ich lache leise. Der Gedanke daran ist zu lustig. Ich sehe sie vor mir, auf der letzten Stufe einer Leiter mit dem verzweifelten Versuch nicht umzufallen, während sie den Stern auf die Krone steckt. Dabei wackelt der Baum und ist kurz davor umzufallen.
»Erzähl mir mehr...«, bitte ich. Die Dunkelhaarige räuspert sich, gießt Wasser in ihr Glas.
»Was möchtest du wissen?«
»Wie du wohnst? Ob du aus London stammst?«
»Okay... Also meine Mom stammt aus Bath. Dort wurde ich geboren und in ein Kinderheim gegeben, da die Ämter ihr das Sorgerecht entzogen haben. Sie hat Drogen genommen und ist schon gestorben...«, sie lässt eine Pause, atmetet tief aus. Ich merke, wie ich mit diesem Thema alte Wunden geöffnet habe.
»Du musst nicht wenn-«
»Schon Gut«, unterbricht sie mich schnell.
»Naja meine Mom ist gestorben als ich zehn war und meinen Dad kenne ich nicht. Ich weiß nur das er aus Kalabrien stammt. Kennengelernt habe ich ihn nie«, flüstert sie nachdenklich.
»Also bist du halbe Italienerin?«, stelle ich fest. Sie nickt.
»Ja, genau. Sieht man das?«
»Jetzt wo du es sagst, ja. Deine Haare definitiv... Ich mag es.«

Meine Augen treffen wieder auf ihre. Ein schmales Lächeln kommt ihr über die Lippen.
»Ich hatte wirklich Spaß heute Abend, dafür wollte ich dir nochmal danken«, haucht sie.
»Ich auch, es war angenehm mal nicht stundenlang zwischen meinen Cousinen zu stehen und mich in Alkohol zu ertränken«, Scherze ich, meine es aber ernst. Dieser Haufen ist mir zu viel.
»Sie sind schon eine Handvoll, oder?«
Elena schüttelt schmunzelnd den Kopf zu ihren Worten. »Sind sie«, stimme ich zu. »Meine Familie kann sehr anstrengend sein, es war schön mal ein paar Stunden etwas Sinnvolleres machen zu können«, gebe ich zu.
»Wie mich aufs Kreuz zu legen?«
»Zum Beispiel«, grinse ich dreckig.
Elenas Mundwinkel zucken stetig nach oben. Sie schiebt sich zügig eine Gabel voll Lasagne in den Mund, seufzt gut gelaunt und trinkt einen Schluck. »Möchtest du?«, biete mir sie dann an, wie ich ihr vor zehn Minuten. Dankend lehne ich ab. »Lasagne ist nicht so mein Ding«, erkläre ich. »Mehr für mich«, zuckt Elena mit den Schultern, verschlingt die Gabel fast.   

Unsere Teller sind fast leer als wir uns beide geschafft zurücklehnen.
»Ich kann nicht mehr...«, murmelt die Braunhaarige mit vollem Magen, tupft sich die Lippen mit einer Serviette ab.
»Mir reicht es auch, aber es war sehr gut.«
»Finde ich auch, ich muss Nochmal mit Lynn herkommen.«
»Oder mit mir?«
»Wenn du mich mitnimmst?« Elena legt fragend den Kopf schief.
»Was für eine Frage«, schüttle ich den Kopf.    
»Natürlich.«
»Da bin ich ja beruhigt«, scherzt sie. Die Stoffserviette findet ihren Platz neben dem Teller, sie streicht sich durch die dunklen Haare und wirft einen Blick aus dem Fenster. Der Regen ist nicht versiegt, es strömt wie aus Eimern auf die Stadt hinab. »Die Geräusche sind beruhigend«, merkt Elena an. Meine Augen landen auf den Tropfen auf der bodentiefen Scheibe. Unter uns erkenne ich die Straße, auf der wir vorhin angekommen sind. Gegenüber das Dach eines Reihenhauses, dahinter erkennt man die Lichter der Stadt, das Ufer der Newa zwischen den Bäumen und Laternen. Einige Menschen erkenne ich in der Ferne mit Schirmen, andere unter trockenen Dächern.

»Sehe ich auch so. Früher lag ich immer heimlich im Gästezimmer unter dem Dachfenster und habe mir den Regen angehört, bis ich eingeschlafen bin«, gebe ich lachend zu. Das habe ich bis jetzt noch niemanden erzählt. Ihre strahlenden Augen treffen meine. »Ich auch, im Heim. Es gab einen alten Dachboden, auf dem ich mir eine Decke ausgebreitet hatte. Nachts habe ich mich dort hin geschlichen und dort geschlafen, wenn eine der Erzieherinnen mal wieder schlecht drauf war«, erzählt sie mir.
»Wie lange warst du da?«, möchte ich leise wissen. Sie runzelt nachdenklich ihre Stirn, spielt mit ihren Händen.
»Acht Jahre, dann bin ich bei meiner Tante gelandet. Mit elf war ich aber wieder da, danach haben sie mich nach London in eines gebracht. Seitdem wohne ich dort«, murmelt sie nachdenklich, zwingt sich ein kleines Lächeln auf. »Aber ich will nicht mehr darüber sprechen, lass uns die Stimmung nicht versauen«, bittet sie mich. Natürlich nicke ich, respektiere ihre Worte. Trotzdem gehen mir ihre Worte nicht aus dem Kopf, als ich das Glas hebe, um mit ihr anzustoßen.
»Auf den Abend, Lämmchen.«
Elena verdreht seufzend die Augen und tippt ihr Glas gegen meines. »Lass das«, nuschelt sie verlegen. Ich lache rau auf. »Wieso? Ich mag den Spitznamen«, frage ich sie unschuldig. »Ich aber nicht, Miroslav«, kontert die junge Britin eiskalt, wackelt mit den Augenbrauen und legt es darauf an, mein Blut vor Erregung zum Kochen zu bringen. Ihr intensiver Blick löst viel in mir aus, was sie genau weiß. Die Kleine ist raffiniert, das muss man ihr lassen. Deswegen schaue ich darüber hinweg, dass sie mich bei meinem gehassten vollen Namen angesprochen hat.
Rache ist süß.

Saints and SinnersOù les histoires vivent. Découvrez maintenant