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Die Spannung war förmlich greifbar. Der sterile Duft, der in jedem Krankenhaus zum Inventar zu gehören schien lag beißend in der Luft. Ich hasste diesen Geruch. Er genügte, um in meinem Inneren ein Unwohlsein auszulösen. Keine fünf Minuten hielt ich es aus still auf dem Platz neben meinem Vater zu sitzen. Leahs stolzierender Gang von einem Ende des Raumes zum Anderen und wieder zurück machte mich wahnsinnig. Ihre Unruhe schien auf mich überzuspringen. Zudem kam ich nicht umher alle paar Sekunden zu Sam hinüberzuschielen, der sich versuchte auffallend unauffällig im Hintergrund zu verbergen. In unregelmäßigen Abständen eilte Personal des Krankenhauses umher. Ich konnte beobachten wie sich jeder um mich herum bei dem Anblick von Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern in Erwartung von schlechten Nachrichten versteifte. Doch keiner von ihnen hatte Harrys Namen ausgerufen. Was wäre schlimmer? Noch stundenlang diese Ungewissheit auszuhalten, oder eine Todesnachricht zu erhalten? Ich schallt mich für diesen Gedanken. Natürlich würde sie Letzteres zerstören. Solange wir nichts Genaueres wussten bestand noch Hoffnung. Ich wollte nicht, dass ihnen diese genommen werden würde. Der Moment in dem einem der Tod eines geliebten Menschen offenbart wird ist bei weitem nicht der Schlimmste, wenn er einem auch den Boden unter den Füßen wegreißt. Aus Erfahrung konnte ich sagen, dass das Schlimmste danach kam. Ohne einen Menschen zu leben, der zuvor stets in deinem Leben war ist die wahre Herausforderung. Anfangs sind die Erinnerungen noch frisch, lebhaft, doch mit den Wochen, die vergehen verblassen sie allmählich. Nachdem mein Großvater verstorben war hatte ich große Angst davor gehabt ihn zu vergessen. Die ersten Tage nach seinem Tod überrollte mich die Trauer in Wellen. Ich fühlte mich schuldig in den Momenten in denen es mir meiner Ansicht nach besser ging als es sollte. Ich war nicht fair zu Mom gewesen, hatte meine Stimmungsschwankungen an ihr ausgelassen. Schon damals hatte mir das Leid getan, doch wir hatten unterschiedliche Arten gehabt mit seinem Ableben umzugehen. Während sie sich in die Planung seiner Beerdigung gestützt hatte, über seine Beerdigung sprechen wollte zog ich mich in meine eigene Welt zurück. Ich hatte versucht ihn für mich lebendig zu halten, so albern es war mit ihm gesprochen, eine Collage mit Bildern von ihm in meinem Zimmer aufgehangen und an die gemeinsamen Erlebnisse gedacht, während ich still und leise geweint hatte. Seine Beerdigung war fürchterlich für mich gewesen. Meiner Meinung nach fand diese Zusammenkunft für die Lebenden und nicht für die Toten statt. Ich hatte mir vorgenommen stark zu sein, niemanden meine Tränen sehen zu lassen und somit meinen Gefühlszustand zu offenbaren, doch ich hatte kläglich versagt. An diesem Tag hatten mich verschiedenste Emotionen umhergewirbelt. Alle hatten mich umarmen wollen. Ich hatte es zugelassen, aber lediglich um ihretwillen. Jede Berührung war mir zuwider gewesen. Ich hatte nur alleine sein wollen, meine Trauer mit mir selbst klären wollen.
Ich befürchtete, dass mir Seths Kinder, insbesondere Leah in dieser Hinsicht sehr ähnlich sein könnten. Es wäre fürchterlich, wenn sich der Seth, den ich kannte, lebenslustig, großherzig, witzig, noch ein wenig grün hinter den Ohren, von allen denen er wichtig war abschotten würde. Der Tod seines Vaters würde ihn verändern, aber er sollte nicht dauerhaft sein schönes, warmes Lächeln verlieren. Auch wenn wir uns nicht übermäßig nahe standen erinnerte er mich in vielerlei Hinsicht an eine aufgedrehtere, weniger schüchterne Version von Embry. Vielleicht spielte diese Ähnlichkeit eine Rolle, da mir sein Anblick, niedergeschlagen und blass im Gesicht, bereits jetzt das Herz zerquetschte. Mir war durchaus bewusst wie sehr Embry unter der Abwesenheit einer Vaterfigur litt. Zwar hatte Seth einen Vater gehabt, allerdings tat es wohlmöglich sogar noch mehr weh jemanden zu verlieren den man kennen und lieben gelernt hatte. Ich wollte mir darüber jedoch kein Urteil erlauben.

Leah hingegen war mir vermutlich ähnlicher als ich es bisher geahnt hatte. Jetzt wo ich darüber nachdachte erkannte ich viele Paralellen zwischen unseren Persönlichkeiten. Auf den ersten Blick wirkte sie stehts taff. Diese Eigenschaft besaß ich bedauerlicherweise nicht. Ich erinnerte mich erneut an das Abendessen bei den Blacks im vergangenen Jahr. Damlas war es mir vorgekommen als wüsste sie von meinen Schmerz in dem Moment in dem ich Jake mit Bella zusammen sah. Ich war mir sicher sie kannte dieses schreckliche, zerreißende Gefühl. Wir hatten es miteinander geteilt. Leah war nicht nur ein robuster Mensch, sondern hatte auch eine mitfühlende Seite. Sie wäre durchaus dazu geneigt sich hinter ihrer harten Schale zu verstecken. Es wäre eine Schande, wenn sie wegen eines Verlustes niemanden mehr an sich heranlassen würde nur um die Starke zu makieren.

Twilight - Bis(s) zur DichotomieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt