KAPITEL 12| Gabe

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Gabriel 'Gabe' Parker
In der Falle, Alaska
27. Januar

Immer wieder sprang das Rauschen des Funkgeräts an. Ich hatte es keine Stunde ausgehalten. Immer wieder hatte ich das Funkgerät aus gemacht und immer wieder hatte ich die Stille nicht ertragen. Also hatte ich es wieder angeschaltet. 
Doch seit heute Morgen, war das sporadische Rauschen zu einem gezielten Rauschen geworden. Alle halbe Stunde sprang es an und ich hörte Stimmen, doch ich verstand sie nicht. Ich hatte versucht zurück zu funken, doch das Signal schien nicht durchzukommen. 
Also war ich, noch bevor die Sonne aufgegangen war, aus dem Haus und hatte zuerst die Antenne am Dach kontrolliert. Doch die war in Ordnung. Zur Sicherheit hatte ich den Schnee vom Dach geschippt. Nur um ganz sicher zu sein. Aber noch immer kein klares Wort. 
Als ich dann aber zur Außenantenne kam, die ein paar hundert Meter weiter stand, war mir das Problem sofort aufgefallen. Ein Baum war unter der neuen Schneelast umgestürzt und hatte die Antenne umgerissen. Auf den ersten Blick sah es nicht danach aus, als könnte ich das so einfach reparieren. Und doch versuchte ich es. 
Es dauerte einige Stunden, bis ich den Baum Stück für Stück abgetragen hatte. Ein paar weitere Stunden brauchte ich, um die Antenne aus den Ästen zu befreien. Die Sonne war schon am untergehen, bevor ich tatsächlich abbrechen musste, um die Tiere zu versorgen und auch selbst etwas zu essen zu bekommen. Wobei ich eigentlich keinen Hunger hatte. 
Ich spürte die Erschöpfung irgendwann, aber ich hatte keinen Appetit. Also aß ich nur, weil ich musste. Trank Tee um die Kälte zu vertreiben und ließ mich verträumt auf das Sofa sinken. Dieser Ort fühlte sich mit jedem Tag kälter an, doch gleichzeitig fühlte sich diese Kälte mit jedem Tag auch irgendwie normaler an. Auch wenn sich jeder Tag, jede Stunde, jede Minute wie eine Strafe anfühlte. Eine Strafe die ich nie absitzen konnte, weil ich in diesem Leben gefangen war. Ich hatte mich noch nie so gefangen gefühlt wie jetzt gerade. Und ich konnte absolut nichts dagegen tun.
Wie jeden Tag bekam ich eigentlich keinen Schlaf. Ich lag wach, starrte an die Decke und bildete mir ein zu hören, wie Sky im Schlafzimmer leise atmete. Doch eigentlich war es nur Rufus, der im Bett lag und träumte. Vermutlich träumte er das gleiche wie ich. 
Erst spät in der Nacht fiel ich in einen leichten Schlaf. Zu meinem Glück war er traumlos und so musste ich nicht mit meinen Dämonen kämpfen. Denn mit jeder weiteren Nacht ging mir dafür die Kraft aus. 
Und auch wenn ich nicht ausschlief, so war ich schon vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen und kämpfte mich zur Antenne. Vielleicht war es nur ein Hobbyfunker der meine Frequenz aufgeschnappt hatte, doch vielleicht war es auch Sky. Die Wahrscheinlichkeit war niedrig, doch nicht bei null. Und solange es eine Chance gab, dass sie dort irgendwo war und mich versuchte zu erreichen, solange würde ich weiter machen. Du hättest mit ihr gehen sollen. Dann würdest du dir keine Sorgen um sie machen. 
Quälte mich diese Stimme in meinem Kopf. Ich wusste sie hatte Recht. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich hatte sie nicht begleiten können. Ich hatte es nicht geschafft und mit jedem Tag bereute ich es mehr. Nichts in meinem Leben bereute ich so sehr wie ich das bereute. 
Aber ich war nicht bereit für die Welt da draußen. Ich hatte meine Familie nicht mit dem besten Eindruck verlassen. Ich hatte es da draußen nicht ausgehalten. Die Ärzte meinten es es PTBS. Doch für mich war es einfach die Hölle auf Erden. 
Ich hatte viele Fehler gemacht. Ich hatte meine Familie vergrault. Ich hatte viel Scheiße gemacht, doch ich wollte nicht das Sky mich je so sah. Ich war weit gekommen. Ich hatte mich im Griff, war ruhiger geworden und hatte seit Jahren keine Ausbrüche mehr. Ich würde es mir nicht verzeihen können, sollte ich sie je verletzen. Jedenfalls körperlich. 
Und doch träumte ich jeden Tag. Erdachte mir Szenarien die ich mir wünschte und stellte jedes Mal ernüchtert fest, dass all das unmöglich war. Die Welt war besser dran ohne mich. Und auch Sky war besser dran ohne mich. 
Irgendwann würde sie einen Mann finden, der sie lieben würde und den sie lieben würde. Allein bei dem Gedanken daran brannte Eifersucht in mir. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie ein anderer Mann sie auch nur ansah. Wie er sie berührte und ihr dieses süße Seufzen entlockte. Dieses unglaubliche Stöhnen. Ihre Stimme. Ihr Lachen. All das verfolgte mich, wenn ich die Augen schloss. Ich wünschte mir der einzige Mann zu sein, der all das von ihr je hören würde und doch wusste ich wie falsch, egoistisch und unmöglich das war. 
Sky war da draußen und stellte sich all dem, vor dem ich mich fürchtete. Sie stellte sich der Welt und bot ihr die Stirn, während ich hier war und mich vor der großen weiten Welt versteckte. Dabei war das was mich quälte genau hier bei mir. In meinem Kopf. Denn nichts da draußen war schlimmer als meine Erinnerungen, meine Gedanken und die Ängste die mir den Atem raubte. Alleine dieses Wissen hätte ausreichen müssen und doch war ich noch immer hier und tat so als wäre ich hier aus einem Grund, der eigentlich nur eine Ausrede war. Eine Ausrede, weil ich Angst vor mir selbst hatte. Von nichts kam halt nichts. Und ich war ein Idiot. Genau wie all die anderen Männer die sie nicht gesehen hatte. Ich war noch ein größerer Idiot. Denn ich sah sie, ich liebte sie und trotzdem war ich hier und nicht bei ihr. Weil ich ein Feigling war. Weil ich ein Idiot war und weil ich sie nicht verdiente. Einfach weil ich nicht für sie gegen meine Dämonen kämpfte. Und das alles unter dem Deckmantel meiner beschissenen Selbstlosigkeit. Paah! Ich war ein verdammter Heuchler. Ich war ein verdammtes Weichei und Sky hatte deswegen schon jemand besseren verdient. 
Das traurige aber war, dass jedes Mal wenn sie mich angesehen hatte, wollte ich ein besserer Mann sein. Ich hatte mich gefühlt als wäre ich ein besserer Mann. Sie hatte mich dazu gemacht ohne etwas zu tun. 
Ich wollte sie so unbedingt beschützen, sie retten. Dabei war nicht ich es, die sie retten musste. Ohne es zu wollen hatte sie mich gerettet. Sie war meine Rettung und ohne sie war ich verlorener als jemals zuvor. 

Freezin' Soul ( Freezin' 2)Where stories live. Discover now