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Das Einzige, was ich in den letzten Tagen machte, war warten.
Meine Geduld reichte langsam nicht mehr aus, aber ich konnte nichts erzwingen.
Logan musste von selbst aufwachen, es lag in seiner Hand.
Stunden verbrachte ich im der Notaufnahme, nur um dann von Logans Mutter Bericht erstattet zu bekommen, er läge unverändert in seinem Bett.
Ich war kein Familienmitglied, das hieß, ich durfte ihn nicht sehen.
Logans Mutter hatte mir zwar versprochen, sie würde das hier regeln, aber ich bezweifelte, dass die Ärzte eine Ausnahme machen würden.
Ich blätterte in der Zeitschrift weiter, die Bilder mit den glücklich lächelnden Personen waren einfach nur grotesk und paradox gegenüber der angespannt traurigen Stimmung im Krankenhaus.
Die nächste Seite beinhaltete einen Artikel über Trauer und wie man am Besten damit umgehen konnte.
Ich schnaubte auf und rollte meine Augen.
Das war wohl ein Scherz?
Schnell blätterte ich weiter. Die Seiten zeigten einige späte Frühlings- und auch Sommerlooks.
Dann kamen die Beziehungsratschläge.
Belustigt las ich mir ein Problem nach dem Anderen durch, nur um dann zu erkennen, dass meine ehemalige Beziehung genau dieselben hatte.
Alles deutete auf Vertrauen und dessen Missbrauch, sowie Ehrlichkeit und Lügen hin.
Mit einem Stirnrunzeln schlug ich die Zeitschrift wieder zu. Ich sah Logans Mutter auf mich zukommen, ich richtete mich auf und lächelte sie an.
"Wie geht's ihm?", fragte ich nach und vergrub meine Hände in den hinteren Hosentaschen.
"Soweit ganz gut", sagte sie erschöpft.
Ich nahm die kurz in den Arm und drückte sie fest.
Wäre ich die Mutter von Logan, würde ich mir genauso Sorgen machen.
"Annabelle", meinte sie ruhig und löste sich von mir. "Ich bin dir unendlich dankbar für deine Unterstützung. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte, du bist eine wahre Freundin, danke."
Ihre Worte berührten mich sehr. Ich konnte das Brennen in meinen Augen spüren, aber schnell blinzelte ich es weg und drückte sie wieder.
"Ich habe übrigens tolle Neuigkeiten", verkündete sie ganz stolz.
Erwartungsvoll schaute ich sie an.
"Ich konnte mit einigen Kompromissen dich zu Logan lassen."
Mir fiel die Kinnlade runter. Egal, was für Kompromisse es waren, ich würde sie in Kauf nehmen.
"Du darfst endlich zu ihm", flüsterte sie und drückte meinen Arm.
Ich war nicht vorbereitet auf diesen Moment. Ich hätte angenommen, es würde erst in paar Tagen oder auch gar nicht passieren.
Die Überraschung war um so größer.
Sehnsüchtig schaute ich in den Gang hinein. Ich wollte ihn endlich sehen, aber mein Gewissen krallte auch an Logans Mutter, ich konnte sie nicht einfach alleine lassen.
"Geh", wisperte sie. Anscheinend sah sie, wie ich mit mir innerlich rankte.
Ich atmete tief ein und nickte schließlich.
Meine Beinen fühlte sich an wie Beton, bei jedem Schritt schlug mein Herz schneller.
Nervös blieb ich vor Logans Tür stehen und hielt inne, bei der Türklinke.
Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Ich hatte Angst ihn so kaputt zu sehen. Aber ich musste es, ich musste sehen, wie es ihm ging.
Langsam öffnet ich die Tür, trat hinein und drehte mich mit gesenktem Blick zu ihm um.
Vorsichtig hob ich meine Augen und sah Logan an.
Es war, als würde mir jemand die Beine wegziehen und ich falle.
Meine Nägel drückten sich in meine Handinnenflächen, sodass es weh tat.
Wie betäubt ging ich auf das Ende des Bettes zu und sah ihn von vorne an.
Logan sah nicht mehr aus, wie er, wie vor ein paar Wochen.
Seine Haut war blasser, seine komplette Haltung steif. Ich konnte nur ein paar Wunden entdecken, die zu heilen begannen haben, der Rest war mit Verbänden eingewickelt. Doch das, was ich sah, raubte mir den Atem aus meiner Lunge.
Die Blutergüsse und blauen Flecke waren größten Teils grünlich, vereinzelt noch lila.
Die Schnitte sahen allesamt tief aus, aber es bildete sich wieder eine Kruste.
Sein Kopf war ebenfalls von einer Bandage umwickelt.
Ich schluckte und wischte mir schnell mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen.
Vorsichtig ging ich um sein Bett rum und schlang die Arme um mich.
Wie konnten sie ihm so etwas antun?
Seine eigene Familie, sein Vater?
Ich schluchzte auf.
Ich weinte nicht, weil ich Mitleid hatte, ich weinte, weil ich wütend war, so absurd es klang.
Logan wollte ein einfacheres Leben haben, ohne diese bescheuerte Gang, und ich konnte ihn zu hundert Prozent verstehen.
Langsam setzte ich mich auf den Stuhl, gleich neben seinem Bett und beobachtete seinen Brustkorb, der sich gleichmäßig heute und wieder senkte.
Bei ihm zu sein beruhigte mich etwas. Immerhin konnte ich jetzt das Außmass seines Austrittes sehen und nicht weiter fürchten.
Zufällig sah ich auf seine linke blasse Hand, vorsichtig hebte ich meinen Arm, aber hielt inne.
Ich biss mir auf die Unterlippe.
Was machte ich gerade?
Logan war eigentlich kein Teil meines Lebens mehr, das Kapitel sollte abgeschlossen sein. Er hatte mir mein Herz gebrochen, mich ausspioniert, nur um Informationen an Joseph weiterzugeben.
Ich wusste nicht mal, ob er mich mochte.
Annabelle, ich liebe dich, Logans Worte hallten in meinem Kopf auf. Als ich die Wahrheit von ihm bekam, meinte er, er konnte die Informationen irgendwann nicht mehr weitergeben. Dabei wusste ich nicht, ob es ebenfalls geschauspielert war, wenn ja, verdient er meinen höchsten Respekt.
Ich haderte mit der Situation.
Einerseits hatte er mich zu tiefst verletzt, andererseits konnte ich nicht abstreiten, dass meine Gefühle für ihn längst verflogen sind.
Ich legte den Kopf in meinen Nacken und stieß die Luft aus.
Verdankt, warum musste alles so kompliziert sein?
Mein Blick schweifte zu dem Jungen, für den ich noch immer etwas empfand, auch wenn er der Grund für meine Tränen war.
Schließlich legte ich meine Hand auf seine und zeichnete Kreise mit meinem Daumen.
"Ich bin hier, Logan", flüsterte ich, sodass nur er meine Nachricht verstehen konnte, obwohl ich wusste, er würde mich nicht hören. "Immer."

Good Badboy ?!Where stories live. Discover now