Kapitel 73

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Ich stand im Bad vor dem Spiegel und betrachtete den Knutschfleck, den mir David vor wenigen Stunden direkt über meinem Hosenbund gemacht hatte. Als ich daran zurück dachte, überkam mich ein Kribbeln und ich musste lächeln. Niemand konnte ihn sehen, da er ja von meinem T-Shirt verdeckt wurde, aber es war ein schönes Gefühl zu wissen, zu wem man gehörte, auch wenn David und ich nicht zusammen waren.

Nach der Knutschfleck-Attacke war nicht mehr viel passiert, beziehungsweise gar nichts. Wir hatten uns noch einmal geküsst, uns aber dann wieder unsere Shirts angezogen. Wir beide hatten ziemlichen Hunger und waren kurzfristig mit Davids Freunden (konnte ich sie mittlerweile schon zu meinen Freunden zählen? Zumindest mit Kyle verstand ich mich wirklich gut) in die Londoner Innenstadt zum Essen gegangen. Dabei hatten David und ich jede noch so kleine Chance genutzt, in der wir uns unbemerkt Küsse stehlen konnten. Ich dachte eigentlich, dass die anderen nichts von den kurzen Küssen mitbekommen hatten, aber Kyle hatte es offensichtlich bemerkt und uns beide von da an immer vielsagend angegrinst. Das sah echt unheimlich aus. Als unser Hunger schließlich gestillt war, hatten wir uns wieder auf den Weg zur Unterkunft gemacht (diesmal im Trockenen). Und jetzt stand ich hier und lächelte mich selbst im Spiegel an.

Ich riss mich von meinem Anblick los und verließ das Bad wieder.

David war wie so oft bei seinen Freunden, da sie sich irgendeine gruselige Serie reinzogen, auf einem Laptop, den jemand mitgebracht hatte. Darauf hatte ich wenig Lust, also hatte ich erneut abgelehnt meine Zeit mit den Jungs zu verbringen und später Albträume zu bekommen.

Ich las viel von dem bisher immer noch kaum angerührten Buch. Es war ziemlich traurig und umso mehr Seiten ich durchblätterte und förmlich verschlang, umso mehr Tränen versammelten sich in meinen Augen. Klar gab es auch schöne Stellen, aber selbst die konnten mich kaum mehr aufheitern. Die Zeit verging wie im Fluge und ich konnte mich nicht mehr von dem Buch losreißen, wodurch ich es am selben Tag noch fertig las. Das Ende war nicht gut ausgegangen und auch wenn ich das normalerweise hasste, musste ich zugeben, dass es dennoch ein verdammt gut geschriebenes Buch war.

Gerade als ich fertig war und das Buch zur Seite gelegt hatte, kam David ins Zimmer und sah mich erschrocken an.

"Alles okay Rose? Weinst du etwa?" fragte er mich bestürzt und ziemlich unbeholfen.

"Nein, alles gut. Also ja ich weine, aber nur wegen einem Buch." beruhigte ich ihn und musste grinsen, obwohl meine Augen wohl immer noch etwas glasig waren.

"Na dann ist es ja gut!" David seufzte erleichtert auf. "Jedenfalls gibt es jetzt schon wieder Abendessen. Soll ich auf dich warten oder kann ich schon mal vorgehen?" fragte er mich.

"Geh ruhig schon mal vor, ich wette man sieht noch dass ich geweint habe." Ich hatte nicht vor mit meinen wahrscheinlich etwas geröteten Augen von meiner ganzen Klasse gesehen zu werden. Ich würde einfach mein Gesicht waschen und versuchen es wenn nötig mit Make-Up zu überdecken.

David nickte und lief dann runter in den Speisesaal, wo uns schon das Abendessen erwartete.

So schlimm sah ich gar nicht aus, ich hatte aber ja auch nur ein paar Tränen vergossen, die meisten hatte ich erfolgreich unterdrücken können. Deswegen tat ich nicht viel mit meinem Gesicht und folgte dann David.

Obwohl ich nicht sonderlich viel Hunger hatte, nahm ich mir einiges zu essen und holte sogar noch Nachschlag, es schmeckte aber auch zu gut.

"Was ist denn mit dir los?" fragte mich Kyle lachend, als ich auch noch den letzten Rest in meinen überfüllten Magen stopfte.

Ich zuckte mit den Schultern und lehnte mich erschöpft zurück. Mich hatte Essen noch nie müde gemacht, aber ich hatte wohl auch noch nie so viel gegessen ohne dass ich eigentlich überhaupt Hunger hatte.

"Ich geh jetzt gleich ins Bett glaub ich. Gute Nacht." teilte ich den anderen mit.

Ich lief extra an David vorbei, bevor ich den Raum verließ, damit ich ihn im Gehen absichtlich unbemerkt berühren konnte. Daraufhin grinste er leicht.

Da ich wirklich müde war, ging ich ohne große Umwege ins Bett und schlief ein.

Diesmal merkte ich kaum, dass David zu mir unter die Decke schlüpfte, weil ich so fest schlief.

Deswegen wachte ich am nächsten Morgen auch nicht auf, als unser Lehrer wieder an der Tür klopfte und uns zu einem weiteren freien Tag verpflichtete, was wohl niemanden störte.

Erst als ich weiche Lippen auf meinen spürte, wachte ich langsam auf.

"Guten Morgen, Hübsche." murmelte David sobald ich meine Augen aufschlug.

Ich grummelte und drehte mich von ihm weg, da ich weiterschlafen wollte.

"Ich bleib noch liegen, ja?" nuschelte ich. Es klang zwar wie eine Frage, aber David konnt es mir ja schlecht verbieten, weswegen es eher eine Aussage war.

"Ist gut, wir dürfen heute auch wieder daheimbleiben." meinte David daraufhin. "Ich gehe duschen, ja?"

Ich nickte nur leicht als Antwort.

Er nahm sich Klamotten heraus und verschwand dann ins Bad, offensichtlich um zu duschen.

Da ich jetzt schon wach war, konnte ich nicht mehr weiterschlafen. Aufstehen wollte ich aber auch nicht. Deswegen streckte ich mich und griff zu meinem Handy, das neben dem Bett lag.

David war gerade eh nicht da, also konnte ich mal wieder in Ruhe mit May telefonieren und ihr die neuesten Sachen erzählen (über die Küsse mit David würde ich aber sicherlich nicht mit ihr reden). Außerdem wollte ich auch wissen, was zwischen ihr und Jacob in der Zwischenzeit passiert war. Und vielleicht gab es ja auch weitere Annäherung zwischen Claire und Mason.

Ich hatte schon Mays Nummer eingetippt und wollte sie gerade anrufen, da klingelte mein Handy von selbst und ich erhielt einen Anruf.

Ich drückte auf den grünen Knopf und nahm das Gespräch an. Hätte ich davor gewusst, was mir der Anrufer sagen wollte, hätte ich mir aber so lange wie möglich Zeit gelassen mit dem Annehmen, um mich auf Folgendes vorzubereiten.

Damit hätte ich definitiv nicht gerechnet.

Ich hatte noch nicht mal aufgelegt,  da rutschte mir das Handy aus der Hand und landete lautlos auf der weichen Matratze.

My Best Friends BrotherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt